Das klassische Bild vom Gleichgewicht in der Natur wird durch eine neue, im Wissenschaftsmagazin Nature erschienene Studie in Frage gestellt. Im Rahmen eines mehrjährigen Laborexperiments konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Konzentrationen der Arten einer Lebensgemeinschaft von Planktonorganismen selbst unter konstanten Bedingungen chaotisch schwankten. Dies macht eine langfristige Vorhersage der Artenhäufigkeit unmöglich, so die Forscher in Nature.
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„Diese Arbeit ist ein Durchbruch beim Nachweis chaotischen Verhaltens in Nahrungsnetzen.“, erläutert Klaus D. Jöhnk vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und Co-Autor der Studie.
Theoretische Ökologen haben bereits in den 1970er Jahren darauf hingewiesen, dass Populationen von Pflanzen und Tieren auch ohne äußere Einflüsse in einer unvorhersehbaren Art und Weise fluktuieren können. Diese Vorhersagen, abgeleitet aus der Chaos-Theorie, zogen heftige Debatten nach sich.
Nur wenige Wissenschaftler glaubten, dass Arten in natürlichen Ökosystemen solche chaotischen Schwankungen aufweisen würden. Die allgemeine Auffassung war, dass Fluktuationen nur durch eine Variation der äußeren Bedingungen zustande kommen, etwa durch Klimaveränderungen oder anderen Störungen des natürlichen Gleichgewichts.
Starke Fluktuationen in der Planktongemeinschaft
Diese klassische Perspektive wurde nun durch neue Forschungsergebnisse von Elisa Benincà und Jef Huisman von der Universität von Amsterdam, Niederlande, in Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Forschungseinrichtungen in den Niederlanden, Deutschland und den Vereinigten Staaten radikal verändert.
Der Kern ihrer Arbeit besteht aus einem Laborexperiment mit einer aus Ostseewasser isolierten Planktongemeinschaft. Mehr als acht Jahre lang hielt der Rostocker Biologe Reinhard Heerkloss die Planktongemeinschaften unter konstanten Licht- und Temperaturbedingungen und maß zweimal in der Woche die Entwicklung der verschiedenen Planktonarten. Zu seiner großen Überraschung näherten sich die Häufigkeiten der Organismen der Planktonarten keinem Gleichgewichtszustand sondern fluktuierten ungewöhnlich stark.
Eine statistische Analyse der Zeitreihen zeigte, dass diese Fluktuationen nicht etwa stochastischer Natur waren, sondern durch das dynamische Verhalten des Nahrungsnetzes selbst erzeugt wurden. Mit fortgeschrittenen Techniken der nichtlinearen Zeitreihenanalyse konnten die Wissenschaftler zeigen, dass es sich um deterministisch chaotisches Verhalten handelt.
Weitreichende Konsequenzen
Laut Benincà haben diese Ergebnisse weitreichende Konsequenzen: „Unsere Resultate zeigen, dass die Planktonabundanz in komplexen Nahrungsnetzen langfristig nicht vorhersehbar ist. Bestenfalls kann man eine Schwankungsbreite angeben. Bisher gingen wir davon aus, dass ein detaillierteres Verständnis der relevanten Prozesse es uns erlauben würde immer bessere Vorhersagen der Planktonabundanz zu erhalten, etwa auch im Hinblick auf die Reaktion auf externe Störungen wie einem Klimawandel. Wir wissen nun, dass dies nur eingeschränkt möglich ist.“
Theoretische Studien hatten bereits aufgezeigt, dass chaotisches Verhalten in Nahrungsnetzen möglich ist. Ein experimenteller Nachweis solchen Verhaltens konnte aber auf Grund unzureichender Langzeitdaten bis jetzt nicht durchgeführt werden.
(idw – Forschungsverbund Berlin/Universität Rostock, 15.02.2008 – DLO)