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Bionik

Künstliche Drüse produziert Spinnenseide

Robuste Textilfaser nach Vorbild der Spinnenfäden entwickelt

Foto des entwickelten mikrofluidischen Geräts
Das mikrofluidische Gerät ahmt die Seidendrüse von Spinnen nach. An einem Ende wird eine Protein-Lösung angebracht und mittels Unterdruck zum anderen Ende gezogen. Während die Proteine durch die Kanäle fließen, werden sie präzisen Veränderungen in der chemischen und physikalischen Umgebung ausgesetzt und fügen sich selbst zu Seidenfasern zusammen. © RIKEN

Nach dem Rezept der Natur: Forschende haben ein Gerät entwickelt, dass eine Faser mit ähnlichen Eigenschaften wie Spinnenseide herstellt – sie ist dünn, leicht und dennoch enorm reißfest. Die künstliche Seidendrüse baut die komplexe Molekülstruktur der Spinnenseide exakt nach, indem sie die natürlichen Bedingungen in der Drüse nachahmt. Der Einsatz der umweltfreundlichen Kunst-Seide könnte Textilien und andere Industriezweige nachhaltiger machen.

Natürliche Spinnenseide ist extrem robust und zugleich leicht und elastisch. Eine Faser aus Spinnenseide ist zum Beispiel reißfester als eine gleichdicke Stahlfaser und obendrein deutlich leichter und biologisch abbaubar. Diese Eigenschaften machen die Spinnenseide zu einem einzigartigen und industriell interessanten Material. Im Gegensatz zu Seidenraupen können Spinnen jedoch nicht ohne Weiteres als Nutztiere gehalten und „gemolken“ werden, unter anderem wegen ihres kannibalistischen Verhaltens. Das Biomaterial kann daher bislang nicht für kommerzielle Zwecke genutzt werden.

Forschende arbeiten seit Längerem daran, eine synthetische Textilfaser mit vergleichbaren Eigenschaften wie Spinnenseide herzustellen. Dabei versuchten sie bislang ohne Erfolg, die komplexe molekulare Architektur der Fasern nachzubauen. Spinnenseide ist eine Biopolymerfaser aus großen, fadenförmigen Proteinen mit sich stark wiederholenden Sequenzen, den sogenannten Spidroinen. Innerhalb dieser Proteinsequenzen befinden sich molekulare Zickzack-Strukturen, sogenannte Beta-Faltblätter. Nur wenn diese richtig ausgerichtet sind, erhält die Seidenfaser ihre einzigartigen mechanischen Eigenschaften.

Vorbild Seidendrüse

Eine Forschungsgruppe um Keiji Numata vom RIKEN-Forschungszentrum für nachhaltige Ressourcen in Japan hat nun einen anderen Ansatz gewählt. Statt die molekulare Struktur aus Spidroin-ähnlichen Bausteinen im „Reagenzglas“ nachzubauen, haben die Wissenschaftler die Drüse der Seidenspinne nachgebaut.

„Die Seidendrüse der Spinne fungiert als eine Art natürliches mikrofluidisches Gerät, bei dem kleine Flüssigkeitsmengen durch enge Kanäle fließen und dabei chemisch und mechanisch manipuliert werden“, erklärt Numata. Im Spinnkanal herrschen andere pH-Werte, Salzkonzentrationen und Scherkräfte als im Proteinspeicher der Spinne, wie frühere Studien ergaben. „Wir haben diese natürliche Spinnenseidenproduktion mithilfe von Mikrofluidik nachgeahmt.“

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Künstliche Seidendrüse entwickelt

Dafür entwickelten die Forschenden ein kleines rechteckiges Gerät, in das winzige Kanäle gebohrt sind. An einem Ende dieser Kanäle brachten sie je ein Reservoir mit einer Spidroin-Vorläufer-Lösung und zwei Pufferlösungen mit unterschiedlichem pH-Wert an. Mittels Unterdruck zogen sie dann die Lösung durch die mikrofluidischen Kanäle, sodass diese auf der anderen Seite wieder hervortrat.

Unter den richtigen chemischen und physikalischen Bedingungen in den Kanälen fügten sich die Spidroin-Proteine beim Durchfließen selbst zu kontinuierlichen Seidenfasern mit der charakteristischen komplexen Struktur von Spinnenseide zusammen, wie parallele Mikroskopie- und Spektroskopie-Analysen ergaben. Um diese richtigen Bedingungen zu finden, experimentierten die Wissenschaftler unter anderem mit verschiedenen Fließgeschwindigkeiten und pH-Werten.

Schließlich fanden sie die optimalen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Regionen des Apparats. „Es war überraschend, wie robust das Mikrofluidiksystem war, nachdem die verschiedenen Bedingungen erst einmal etabliert und optimiert waren“, sagt Numatas Kollege Ali Malay. „Der Faseraufbau verlief dann spontan, extrem schnell und hoch reproduzierbar.“

Anwendung in Textilien und der Biomedizin

Die neue Methode eröffnet die Möglichkeit, robuste und biologisch abbaubare Seidenfasern künstlich herzustellen. Diese könnten beispielsweise zu Kleidungsstücken gewebt werden und damit die derzeitige Textilherstellung umweltfreundlicher machen. Zudem könnte die synthetische Spinnenseide in der Biomedizin für chirurgische Nähte, Haut und Bänder genutzt werden, berichten die Forschenden.

Um wirtschaftlich rentabel zu sein und tatsächlich industriell angewandt zu werden, muss jedoch zunächst die Produktionstechnik der Seide weiter optimiert werden, sodass die künstliche Drüse kontinuierlich und in großen Mengen Seide produziert. „Wir werden bei diesem Prozess auch die Qualität unserer künstlichen Spinnenseide noch weiter verbessern“, sagt Numata. Unter anderem wollen sie die Vorläufer-Proteine modifizieren. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-44733-1)

Quelle: RIKEN

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