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Kognitionsforschung

Linkshänder navigieren doch nicht besser als Rechtshänder

Kein Zusammenhang zwischen Händigkeit und räumlichem Vorstellungsvermögen

Nahaufnahme einer linken Hand beim Schreiben
Männer sind etwas häufiger Linkshänder als Frauen. Das erleichtert es ihnen aber nicht, den Weg zu finden, zeigt eine neue Studie. © fizkes / Getty Images

Rechts wie links: Welche Hand wir im Alltag bevorzugt verwenden, hat keinen Einfluss auf unsere Fähigkeit zu navigieren. Linkshänder können sich nicht besser orientieren als Rechtshänder, wie Forschende ermittelt haben. Das widerspricht früheren Ergebnissen, wonach sich Linkshänder besser räumlich zurechtfinden sollen. Diese älteren Studien wiesen jedoch methodische Mängel auf, die nun überwunden wurden.

Wir Menschen schreiben meist nur mit einer unserer beiden Hände und nutzen auch bei anderen Tätigkeiten, etwa Umarmungen, überwiegend eine bevorzugte Hand. Entsprechend bezeichnen wir uns als Rechts- oder Linkshänder, es gibt aber auch beidhändige Menschen. Ob es einen Zusammenhang zwischen dieser Präferenz und den kognitiven Fähigkeiten einer Person gibt, wird seit langem wissenschaftlich untersucht. Eine dieser geistigen Fähigkeiten ist das räumliche Navigieren: Wie gut finden wir uns in unserer Umgebung zurecht? Das hängt von unserem räumlichen Vorstellungsvermögen ab.

Mehrere frühere Experimente mit je einigen hundert Probanden deuteten darauf hin, dass Linkshänder beim Navigieren besser abschneiden als Rechtshänder. Basierend auf Studien zur Asymmetrie unseres Gehirns wird angenommen, dass für das räumliche Vorstellungsvermögen unsere rechte Hirnhälfte zuständig ist, und dass diese von Linkshändern stärker genutzt werden kann als von Rechtshändern, wodurch sie besser navigieren.

Methodische Mängel früherer Studien

Diese Theorie wurde aber bislang nicht eindeutig belegt und es gibt auch einige Studien mit gegenteiligem Ergebnis. Ein Grund dafür ist, dass sich die Fähigkeit zu navigieren nur schwer im echten Leben messen lässt, weswegen die Experimente modellhaft mehr oder weniger alltägliche Situationen nachahmten. Noch schwerer ist es, aus den Daten einen Zusammenhang mit der präferierten Handseite herzustellen, ohne dass andere Einflussfaktoren die ohnehin nur schwache Korrelation verfälschen.

Außerdem kommen Links- und Rechtshänder in verschiedenen Ländern und Regionen unterschiedlich häufig vor – vermutlich aufgrund unterschiedlicher kultureller Akzeptanz. In Europa sind Linkshänder beispielsweise häufiger vertreten als in Ostasien und Südafrika. Außerdem ist Linkshändigkeit tendenziell seltener bei Frauen und älteren Menschen, belegen demografische Daten. Die bisherigen Studien zu Händigkeit und räumlichem Vorstellungsvermögen umfassten daher nicht nur Settings, die zu weit vom Alltag entfernt waren, sondern jeweils auch zu wenige und zu ähnliche Probanden, um ein belastbares Ergebnis zu liefern.

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Handyspiel liefert neue Erkenntnisse

Das hat sich nun geändert: Ein Forschungsteam um Pablo Fernandez-Velasco vom Trinity College Dublin hat nun eine großangelegte Studie mit 422.772 demografisch diversen Teilnehmenden aus 41 Ländern durchgeführt, die diese Makel ausräumen soll. Zehn Prozent der Testpersonen waren Linkshänder. Zur Analyse der räumlichen Fähigkeiten verwendeten die Forschenden die beliebte Videospiele-App „Sea Hero Quest“, mit der die Teilnehmenden spielerisch Navigationsaufgaben in elf unterschiedlich schweren Leveln lösen sollten.

In zwei Experimenten in London und Paris hatten die Wissenschaftler um Fernandez-Velasco zuvor nachgewiesen, dass die Leistung von Testpersonen, einen Weg in dem Spiel zu finden, mit ihrer Navigationsleistung im echten Leben vergleichbar ist. Mithilfe von “Big Data”-Analysetools untersuchten die Forschenden anschließend, wie gut die Teilnehmenden jeweils in der App navigierten und leiteten daraus ab, wie gut deren räumliches Vorstellungsvermögen ist. Das Ergebnis verglichen sie mit den demografischen Merkmalen der Testpersonen, der gestellten Aufgabe und ihrer angegebenen Händigkeit.

Linkshänder doch nicht besser als Rechtshänder

Das Ergebnis: Es gab keinen belegbaren Zusammenhang zwischen der präferierten Hand und den Navigationsfähigkeiten einer Person – unabhängig von ihrem Herkunftsland, ihrem Alter, ihrem Geschlecht und dem Schwierigkeitslevel der gestellten Aufgabe. Linkshändigkeit war in der Studie also weder mit einem besseren noch mit einem schlechteren räumlichen Vorstellungsvermögen verbunden.

Eine Ausnahme schienen die Teilnehmenden über 64 Jahren zu bilden: Bei ihnen fanden die Forschenden einen kleinen Leistungsunterschied beim Navigationsspiel, wobei Linkshänder besser abschnitten als Rechtshänder. Dieser Unterschied war jedoch höchstwahrscheinlich auf eine verzerrte Auswahl der Probanden zurückzuführen, wie die Wissenschaftler mit Blick auf andere Studien argumentieren. Demnach machen ältere Probanden häufiger falsche Angaben, darunter auch zu ihrer präferierten Hand.

Wo gibt es die meisten Linkshänder?

Während die neue Studie im Kernpunkt den früheren Annahmen widerspricht, decken sich ihre Nebenbefunde mit früheren Beobachtungen: Die Forschenden stellten fest, dass tatsächlich etwas mehr Männer (elf Prozent) als Frauen (neun Prozent) Linkshänder sind, dass sich mit zunehmendem Alter weniger Menschen als Linkshänder definieren und dass ihr Anteil je nach Land zwischen drei (China) und 13 Prozent (Niederlande) liegt. (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2023; doi: 10.1098/rspb.2023.1514)

Quelle: Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences

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