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Physik

Physiker erschaffen langlebigen Zeitkristall

Zeitkristall aus Halbleitermaterial "tickt" robust und stundenlang

Zeitkristall
Physiker haben einen kontinuierlichen Zeitkristall erschaffen, der besonders lange und robust "tickt". © Anterovium, Rulles/ iStock

Robustes „Ticken“: Physiker haben einen Zeitkristall erschaffen, der langlebiger und robuster ist als alle bisherigen Objekte dieser Art. Das regelmäßige „Ticken“ dieses Halbleiterkristalls hält über Stunden an – statt nur Millisekunden. Zudem sind die spontanen, regelmäßigen Spin-Oszillationen erstaunlich robust und vertragen auch Veränderungen der Experimentbedingungen, wie die Forschenden in „Nature Physics“ berichten. Dies könnte die Erforschung dieses physikalischen Phänomens weiter voranbringen.

Typisch für normale Kristalle ist das regelmäßige, symmetrische Gitter ihrer Grundbausteine. Doch es gibt Materialien, die eine solche Ordnung auch in der Zeit zeigen – sie ändern regelmäßig ihren Zustand. Solche Zeitkristalle wurden erst 2016 experimentell nachgewiesen, unter anderem bei Ytterbium-Ionen mit umklappenden Spins, aber auch in einem mit Radiopulsen angeregten Allerweltskristall. Allerdings erforderten diese Zeitkristalle eine Anregung, die ebenfalls periodisch verlief.

Spontane Oszillationen trotz stetiger Anregung

Doch im Jahr 2022 gelang es Physikern erstmals, auch kontinuierliche Zeitkristalle zu erzeugen: In einem Bose-Einstein-Kondensat aus Atomen traten regelmäßige Photonen-Oszillationen auf, obwohl das Ganze gleichmäßig bestrahlt wurde. Das Problem nur: „Dieser kontinuierliche Zeitkristall hatte nur eine Lebensdauer von wenigen Millisekunden und trat nur unter extremen Bedingungen auf, die spezielle Hardware erforderte“, berichten Alex Greilich von der Technischen Universität Dortmund und seine Kollegen. Das erschwert die Erforschung dieses ungewöhnlichen Phänomens.

Jetzt ist den Physikern um Greilich ein wichtiger Durchbruch gelungen: Sie haben erstmals einen kontinuierlichen Zeitkristall erzeugt, der langlebig und robust zugleich ist. Basis dieses neuartigen Zeitkristalls bildet das gängige Halbleitermaterial Indiumgalliumarsenid (InGaAs). In ihm bilden die Spins der Elektronen und Atome ein komplexes, durch quantenphysikalische Wechselwirkungen geprägtes System.

Ein „Ticken“ alle 6,9 Sekunden

Um diesen Halbleiter in einen Zeitkristall zu verwandeln, fügten die Physiker gezielt Fremdatome in Form von Silizium ein. Dies verzerrt das Kristallgitter des Halbleiters und führt auch zu verstärkter Interaktion der Elektronen mit den Atomkernen – einer Voraussetzung für die Entstehung der zeitlichen Oszillationen, wie die Forschenden erklären. Anschließend kühlten sie das Material auf sechs Kelvin herunter, setzten es einem Magnetfeld aus und regten es durch einen kontinuierlichen, zirkular polarisierten Laserstrahl an.

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Und tatsächlich: Unter dem Einfluss der kontinuierlichen Anregung wandelte sich das Halbleitermaterial zum Zeitkristall – die Atomkerne begannen zu „ticken“. Dabei zeigten ihre Spins eine periodische, streng regelmäßige Oszillation. „Die spektroskopischen Messungen enthüllten eine Serie von im gleichen Abstand aufeinanderfolgenden Spitzen“, berichten Greilich und seine Kollegen. Diese M-förmigen Spitzen wiederholten sich etwa alle 6,9 Sekunden. „Wir sehen ein klar periodisches Verhalten, das dem eines kontinuierlichen Zeitkristalles entspricht“, so die Physiker.

Oszillationen bleiben über Stunden stabil

Noch wichtiger jedoch: Der neue Zeitkristall erwies sich als ungewöhnlich robust und langlebig. Selbst nach 40 Minuten der Messdauer konnte das Team keine Anzeichen für ein Ende oder eine Degradation der Oszillationen erkennen. „Wir können daher relativ sicher davon ausgehen, dass dieser Zeitkristall mindestens noch einige Stunden, vielleicht sogar länger bestehen bleibt“, schreiben die Forschenden. Dies ist millionenfach länger als bei bisherigen Zeitkristallen.

Weitere Tests ergaben, dass der Indiumgalliumarsenid-Zeitkristall zudem relativ robust auf Veränderungen der Versuchsbedingungen reagierte: Als die Physiker die Stärke und Ausrichtung des Magnetfelds variierten, veränderte sich nur die Frequenz des Tickens, die Oszillation blieb aber stabil. Auch eine leichte Erhöhung der Temperatur von sechs auf 17 Kelvin verlangsamte das „Ticken“ nur. Erst bei stärkerer Erwärmung „schmolz“ der Zeitkristall und das Ticken hörte auf.

Neue Möglichkeiten der Forschung

Nach Ansicht von Greilich und seinem Team eröffnet der neue, langlebige Zeitkristall ganz neue Möglichkeiten, das Verhalten dieser exotischen Gebilde genauer zu erforschen. „Die im Vergleich zu anderen kontinuierlichen Zeitkristallen enorm gesteigerte Robustheit und kompakte Form dieses Zeitkristalls erlaubt es uns, grundlegende Aspekte der nichtlinearen Dynamik zu untersuchen“, schreiben sie.

Zudem könnte man nun gezielter nach möglichen Anwendungen solcher Objekte suchen, beispielsweise in der Informations- und Messtechnik. So könnten die regelmäßigen Spitzen dieser Zeitkristalle als präzise Frequenz-Taktgeber auf Mikrochips eingesetzt werden, wie die Forschenden erklären. (Nature Physics, 2024; doi: 10.1038/s41567-023-02351-6)

Quelle: Technische Universität Dortmund

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