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Physik

Neue Art von Zeitkristallen erzeugt

Physiker erzeugen "tickende" Spins erstmals in hochgradig geordneten Kristallgittern

Eigentlich ein Allerweltskristall: Monoammonium-Phosphat hat sich überraschenderweise als Ziitkristall entpuppt. © Michael Marsland/ Yale University

„Unmögliches“ Ticken: Physiker haben eine bisher unbekannte Form von Zeitkristallen entdeckt – Materialien, deren Spins bei Anregung periodisch umklappen. Das Ungewöhnliche daran: Dieses „Ticken“ trat in hochgradig geordneten Kristallgittern ohne Fehlstellen auf. Genau das aber galt bisher als nicht möglich. Jetzt muss die Theorie zu solchen Zeitkristallen entsprechend überprüft und umgeschrieben werden.

Kristalle wie Diamant, Quarz oder auch Wassereis bestehen typischerweise aus einem regelmäßigen Atomgitter. Die räumlichen Grundeinheiten solcher Kristalle wiederholen sich periodisch. Doch im Jahr 2017 gelang es Physikern erstmals, Kristalle zu erzeugen, die auch eine zeitliche Periodizität besitzen. Bei diesen Zeitkristallen wechseln die Spins der Atome in einem regelmäßigen Takt ihre Richtung – sie „ticken“ wie eine Uhr, wenn sie beispielsweise elektromagnetsicher Strahlung ausgesetzt werden.

Zeitkristalle auch ohne Störstellen?

Doch bisher hielt man Zeitkristalle nur in Materialien für möglich, die Fehlstellen und damit Unregelmäßigkeiten im Gitter aufweisen. Denn nur damit, so die Annahme, wäre das System gegen die allmähliche Aufheizung durch die treibende Strahlung gefeit. Physiker bezeichnen den Mechanismus dahinter als Vielkörper-Lokalisation. Jetzt jedoch haben gleich zwei Forscherteams Zeitkristalle aus hochgradig geordneten Materialien ohne Gitterfehler erzeugt.

Sean Barrett von der Yale University und sein Team entdeckten diese Eigenschaft zu ihrem eigenen Erstaunen sogar in einem Allerweltkristall – einer Verbindung, die in vielen Kristallzüchtungs-Sets für Kinder enthalten ist. „Mein Student Jared Rovny hatte Monoammonium-Phosphat-Kristalle (MAP) für ein völlig anderes Experiment gezüchtet, deshalb hatten wir einen im Labor“, sagt Barett. Die Forscher beschlossen daher, den Kristall auf Verdacht mit Radiopulsen zu beschießen.

„Tickende“ Phosphor-Atome im Kristall

Und tatsächlich: Der MAP-Kristalle begann zu „ticken“, wie die Physiker mithilfe von Magnetresonanz-Analysen feststellten. „Unsere Kristallmessungen waren von Anfang an erstaunlich eindeutig“, so Barrett. Die Spins der Phosphor-31-Atome im Gitter klappten in regelmäßigem Takt um. Ihre Frequenz lag dabei beim Zweifachen der treibenden Radiopulse.

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Obwohl das Gitter dieses Kristalls regelmäßig war und keine Störstellen aufwies, wurde er bei Bestrahlung zum Zeitkristall – das hatten Physiker bisher für unmöglich gehalten. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Signaturen eines diskreten Zeitkristalls im Prinzip sogar in im Kristallzüchtungs-Set von Kindern finden lässt“, sagt Barrett.

Sternförmige Moleküle mit Takt

Das zweite Forscherteam um Ganesh Sreejith vom Indischen Institut für wissenschaftliche Forschung in Pune nutzte keinen festen Kristall, sondern sternförmige Moleküle in einer Lösung. Bei diesen Molekülen besaß sowohl das Zentrum einen Spin als auch die wie Satelliten um die Mitte angeordneten Atome. Auch diese Moleküle wiesen eine kristalline, geordnete Struktur ohne Störstellen auf.

Als die Forscher diese Moleküle Radiopulsen aussetzten, wurden diese ebenfalls zu Zeitkristallen: Auch ihre Spins begannen, mit der doppelten Frequenz der Treiberpulse zu oszillieren. „Eine Kopplung zwischen dem Zentrum und den Satelliten-Spins resultiert in robusten Magnetisierungs-Oszillationen mit doppelter Periode“, so die Physiker.

Harte Nuss für die Theoretiker

Beide Experimente belegen damit, dass die bisherige Theorie zu Zeitkristallen offenbar unvollständig ist. „Das repräsentiert ein Puzzle für die Theoretiker“, sagt Barrett. „Es ist noch zu früh um zu sagen, welche Lösung für die aktuelle Theorie der Zeitkristalle gefunden wird, aber die Leute werden an dieser Frage mindestens über die nächsten Jahre hinweg arbeiten.“

Bei aller Faszination sind Zeitkristalle dabei keineswegs nur ein Phänomen für die Grundlagenforschung. Sie haben auch einen ganz praktischen Nutzen. Denn wenn man das Prinzip hinter ihrem Verhalten versteht, dann könnte dies zu Verbesserungen bei Atomuhren, Gyroscopen und Magnetometern führen, wie die Wissenschaftler erklären. Auch für Quantentechnologien könnten die Zeitkristalle eine wichtige Rolle spielen. (Physical Review Letters, 2018; doi: 10.1103/PhysRevLett.120.180603; doi: 10.1103/PhysRevLett.120.180602)

(Yale University/ APS, 04.05.2018 – NPO)

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