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Physik

Fällt Antimaterie nach unten oder oben?

Experiment enthüllt erstmals, wie Antimaterie auf die Schwerkraft reagiert

Antimaterie fällt
Physiker haben eine Art "Fallturm" für Antimaterie gebaut – und in ihm erstmals gemessen, ob Anti-Atome nach oben oder unten fallen. © U.S. National Science Foundation

Wichtiger Durchbruch: Physiker haben erstmals experimentell geklärt, ob Antimaterie von der Schwerkraft angezogen oder aber abgestoßen wird – bisher gab es nur theoretische Annahmen dazu. Doch nun belegt das ALPHA-g-Experiment am CERN, dass auch Antiwasserstoff von der Erdschwerkraft angezogen wird und nach unten fällt. Die Gravitation wirkt demnach auf Antimaterie ähnlich wie auf Materie, wie die Physiker in „Nature“ berichten. Ob der Effekt aber genauso stark ist, konnte die Messungen noch nicht eindeutig klären.

Antimaterie ist der spiegelbildliche Zwilling normaler Materie: Teilchen und ihre Antiteilchen haben zwar gleiche Grundmerkmale, tragen aber entgegengesetzte Ladungen und Spins. Kommen beide in Kontakt, löschen sie sich unter Energiefreisetzung gegenseitig aus – so weit, so bekannt. Unklar war aber bisher, wie Antimaterie auf die Gravitation reagiert: Wird sie angezogen wie normale Materie auch? Oder wird sie abgestoßen und fällt in einem Schwerkraftfeld nach oben?

Antimaterie und Materie
Teilchen und ihre Antiteilchen gleichen sich wie Bild und Spiegelbild, doch reagieren sie auch gleich auf die Gravitation? © Podbregar/ scinexx

„Seit die Antimaterie entdeckt wurde, hat man darüber spekuliert, dass sie andere Gravitationseigenschaften besitzen könnte als Materie“, erklärt Koautor Joel Fajans von der University of California in Berkeley und der ALPHA-Kollaboration. Zwar behandelt Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie alle Materieformen gleich, daher müsste Antimaterie seinem Äquivalenzprinzip zufolge genauso fallen wie normale Materie. Doch als Einstein seine Gleichungen formulierte, war die Antimaterie noch gar nicht entdeckt, denn dies erfolgte erst im Jahr 1932.

Das Problem der Störfelder

Deshalb ist bis heute eine Restunsicherheit geblieben. Denn direkt experimentell beobachten und nachweisen ließ sich die Reaktion der Antimaterie auf Schwerkraft bisher nicht. „Man könnte fragen, warum man nicht einfach das Offensichtliche getan hat und ein Stück Antimaterie fallen gelassen hat – ähnlich wie bei dem Galileo zugeschriebenen Fallexperiment“, sagt Fajans. „Das Problem ist jedoch, dass die Gravitationskraft unglaublich schwach ist, verglichen mit elektromagnetischen Kräften.“ Schon ein elektrisches Feld von einem Volt pro Meter übt eine 40 Billionen Mal stärkere Kraft auf ein geladenes Antimaterieteilchen aus als die Schwerkraft der Erde.

„Bisher war es daher unmöglich, die Gravitationsreaktion beispielsweise eines Positrons mit einem Fallexperiment direkt zu messen: Jedes elektrische Feld in seiner Umgebung würde das Antiteilchen weit stärker ablenken als die Schwerkraft“, erklärt Fajans. Hinzu kommt: Lange konnte man nur geladene Antimaterie-Teilchen wie Anti-Protonen oder Positronen erzeugen. In den gängigen Magnetfallen für Antiteilchen verfälscht ihre Reaktion auf die elektromagnetischen Felder daher jede Messung der Gravitationsreaktion.

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ALPHA-g
Das ALPHA-g-Experiment ist eine Art „Fallturm“ für Antiwasserstoff-Atome. © U.S. National Science Foundation

ALPHA-g: Ein „Fallturm“ für Antiwasserstoff

Doch im Jahr 2010 erzielten Physiker der ALPHA-Kollaboration am Forschungszentrum CERN bei Genf einen Durchbruch, der den Weg zum aktuellen Experiment ebnete: Es gelang ihnen, Anti-Protonen und Positronen zu neutralem Antiwasserstoff zu kombinieren und diesen in einer Magnetfalle zu halten. Diese ungeladenen Anti-Atome eröffneten die Chance, die Reaktion der Antimaterie auf Schwerkraft ohne Ablenkung zu messen. 2016 begann das ALPHA-Team mit der Entwicklung eines entsprechenden Experiments, 2022 war es einsatzbereit und die Messungen starteten.

Das ALPHA-g-Experiment besteht aus einer rund 25 Zentimeter hohen, zylindrischen Magnetfalle, in der jeweils rund 100 Antiwasserstoff-Atome auf einmal gefangen sind. „Die experimentelle Strategie ist vom Konzept her einfach: Man fängt und sammelt Antiwasserstoff-Atome, öffnet dann die Barrieren am oberen und unteren Ende der vertikalen Falle und versucht, den Einfluss der Schwerkraft an ihrer Bewegung beim Entweichen aus der Falle und am Auslöschen an der Apparatewand abzulesen“, erklären die Physiker.

Die gefangenen Anti-Atome sind zwar stark heruntergekühlt, bewegen sich dennoch mit rund 100 Meter pro Sekunde in der Falle umher. Sobald die Magnetbarrieren an den Enden wegfallen, entweichen sie daher nach und nach von allein. Wird der Antiwasserstoff von der Erdschwerkraft angezogen, müssten die Teilchen vorwiegend absinken und am unteren Ende der Falle austreten. Wirkt die Gravitation hingegen abstoßend auf Antimaterie, müssten die Anti-Atome bevorzugt oben aus der Falle entweichen.

Auch Anti-Atome folgen der Erdschwerkraft

Das Ergebnis der Messungen: Rund 80 Prozent der Antiwasserstoff-Atome traten unten aus der Magnetfalle aus und wurden dort bei Materiekontakt ausgelöscht. Die Antimaterie verhielt sich damit fast genauso, wie es auch eine Wolke aus normalen Wasserstoffatomen in dieser Falle tun würde. Konkret ermittelten die Physiker, dass der Antiwasserstoff mit 0,75 ± 0,29 g von der Erdschwerkraft angezogen wird. Damit liegt das Messergebnis mit seiner Fehlerspanne in Bereich der normalen Erdanziehung von 1 g, wie das Team erklärt.

„Wir haben damit ausgeschlossen, dass Antimaterie von der Gravitationskraft abgestoßen wird“, sagt Seniorautor und ALPHA-Kollaborations-Mitglied Jonathan Wurtele von der University of California in Berkeley. „Das gegenteilige Ergebnis hätte enorme Auswirkungen gehabt und würde dem schwachen Äquivalenzprinzip von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie widersprechen.“ Damit ist es zum ersten Mal gelungen, die Wirkung der Schwerkraft auf Antimaterie direkt zu messen.

Aufbau und Funktionsweise des ALPHA-g-Experiments am CERN.© CERN/ P. Traczyk und M. Brice

„Meilenstein der Antimaterie-Forschung“

„Dies ist ein Meilenstein in der Antimaterie-Forschung“, sagt Jeffrey Hangst, Sprecher der ALPHA-Kollaboration. „Denn in der Physik weiß man nichts genau, bevor man es nicht beobachtet oder gemessen hat – und dies ist das erste Experiment, das den Gravitationseffekt auf die Bewegung von Antimaterie direkt beobachtet.“ Die Ergebnisse klären die Frage, ob Antimaterie im Schwerefeld nach oben oder unten fällt und liefern damit ein weiteres Puzzlestück zum Verhalten der noch immer rätselhaften „Spiegelwelt“.

Die Messungen im ALPHA-g-Experiment könnten vielleicht sogar dabei helfen, das größte Rätsel der Kosmologie zu lösen: Warum löschten sich Materie und Antimaterie nach dem Urknall nicht sofort gegenseitig aus? Lange schon vermuten Physiker, dass kleine Unterschiede im Verhalten von Teilchen und Antiteilchen das Universum vor diesem Untergang bewahrten und der Materie zu ihrer heutigen Dominanz verhalf. Doch bisher konnten keine wesentlichen Unterschiede in den Teilchenmerkmalen und dem Verhalten nachgewiesen werden.

Gibt es vielleicht doch Unterschiede?

An diesem Punkt könnte ALPHA-g ins Spiel kommen. Denn noch ist nicht ausgeschlossen, dass die Gravitation vielleicht doch leicht anders auf Antimaterie wirkt. Zwar belegen die aktuellen Ergebnisse, dass die Schwerkraft auch auf Antiteilchen anziehend wirkt. Ob jedoch diese Anziehungskraft gleich groß ist wie gegenüber normaler Materie, können die Physiker aufgrund der großen Fehlerspanne noch nicht sagen. Das Team der ALPHA-Kollaboration hofft, diese Frage demnächst mithilfe weiterer Messungen klären zu können.

„Der nächste Schritt ist es, die Schwerkraftwirkung so präzise zu messen, wie wir können“, sagt Hangst. „Wir möchten testen, ob Antimaterie und Materie wirklich auf genau gleiche Weise fallen.“ Dafür wollen die Forschenden ihr ALPAHA-g-Experiment um ein Verfahren zur Laserkühlung der Anti-Atome erweitern. Dies verlangsamt den Antiwasserstoff und ermöglicht präzisere Messungen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06527-1)

Quelle: University of California Berkeley, National Science Foundation, CERN

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