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Medizin

Zelltransplantation macht blinde Mäuse sehend

Forscher wandeln Hautzellen direkt in funktionsfähige Lichtsinneszellen der Netzhaut um

Auge
Wenn die Sehzellen der Netzhaut zerstört sind, gibt es bisher keine Heilung. Doch im Labor gezüchtete Ersatz-Zellen könnten möglicherweise helfen. © Radu Bighian/ iStock.com

Licht ins Dunkel: US-Forschern ist es gelungen, blinden Mäusen mit zerstörten Netzhautzellen das Augenlicht wiederzugeben. Möglich wurde dies durch Ersatz-Lichtsinneszellen, die die Wissenschaftler aus umgewandelten Haut-Bindegewebszellen erzeugt haben. Nach Transplantation dieser Photorezeptoren konnte immerhin knapp die Hälfte der Mäuse wieder hell und dunkel unterscheiden, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Wenn die Lichtsinneszellen in unserer Netzhaut einmal zerstört werden, wachsen sie nicht mehr nach. Deshalb gibt es bisher keine Möglichkeit, eine Erblindung durch Augenerkrankungen wie die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) oder die Retinitis pigmentosa rückgängig zumachen. Allerdings gibt es erste Versuche mit elektronischen Retina-Implantaten und auch die Transplantation von Netzhautgewebe aus Stammzellen ist zumindest im Tierversuch erfolgreich – aber extrem aufwändig.

Aus Fibroblasten werden Sehzellen

Doch es gibt möglicherweise eine einfachere Lösung: Forschern um Biraj Mahato von der University of North Texas ist gelungen, Haut-Bindegewebszellen direkt und ohne Umweg über Stammzellen in Stäbchen umzuwandeln – die für die Hell-Dunkel-Wahrnehmung wichtigen Sinneszellen der Netzhaut. Für diese Reprogrammierung behandelten die Forscher die Fibroblasten von Menschen oder Mäusen mit einem Cocktail aus fünf chemischen Verbindungen.

Durch diese Behandlung gelang es Mahato und seinem Team, die genetischen und zellulären Prozesse in den Bindegewebszellen so zu verändern, dass diese äußerlich und physiologisch zu Sinneszellen wurden. In den umprogrammierten Zellen wurden nun Stäbchen-typische Gene abgelesen, während Fibroblasten-typische Gene herunterreguliert waren, wie die Forscher berichten.

Reprogrammierung innerhalb von zehn Tagen

„Dies ist die erste Studie, die zeigt, das eine Produktion von Photorezeptor-ähnlichen Zellen durch eine direkte chemische Umprogrammierung möglich ist“, sagt Co-Autor Anand Swaroop vom National Eye Institute in Bethesda. Der große Vorteil dabei: Während die Produktion von Retinazellen mithilfe von umprogrammierten Stammzellen sechs Monate dauern kann, benötigte dieses chemische Verfahren nach Angaben der Forscher nur rund zehn Tage.

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Doch wie gut funktionieren die im Labor gezüchteten Netzhautzellen? Und eignen sie sich für eine Netzhaut-Transplantation? Um das zu testen, implantierten die Wissenschaftler ihre neugezüchteten Stäbchenzellen in die Netzhaut von 14 Mäusen. Diese besaßen durch eine Gendefekt keine funktionsfähigen Lichtsinneszellen mehr und waren daher blind. Würden ihnen die Ersatzzellen helfen?

Netzhautzellen
Diese Immunofluoreszenz-Aufnahme zeigt die transplantierten Ersatz-Lichtsinneszellen (grün) in der Mäuseretina. © Sai Chavala

Blinde Mäuse sehen wieder Licht

Es zeigte sich: Zumindest einige blinde Mäuse erhielten durch die Ersatz-Zellen eine rudimentäre Sehfähigkeit zurück. „Drei bis vier Wochen nach der Transplantationen hatten sechs der 14 Mäuse einen Pupillenreflex schon bei schwachem Licht“, berichten Mahato und seine Kollegen. Dieses unwillkürliche Zusammenziehen der Pupille erfolgt nur dann, wenn das Gehirn ein Signal für einen Lichteinfall ins Auge erhält. In einem weiteren Test mieden diese Mäuse zudem hellerleuchtete Stelen im Gehege und suchten gezielt dunkle Bereiche auf.

„Diese Ergebnisse liefern den Beweis, dass chemisch induzierte Photorezeptorzellen die Sehfunktion blinder Mäuse wiederherstellen können“, konstatieren die Wissenschaftler. Dies wurde auch durch Netzhaut-Untersuchungen dieser Tiere bestätigt: Bei den erfolgreich behandelten Mäusen waren die Ersatz-Zellen angewachsen und über Synapsen mit Nerven verbunden. Sie ließen sich auch drei Monate später noch nachweisen. Bei den acht Tieren, bei denen die Behandlung nicht angeschlagen hatte, waren dagegen kaum transplantierte Zellen in der Retina zu finden.

Ein erster Schritt

Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass ihr Verfahren grundsätzlich dazu geeignet ist, funktionsfähige Ersatzzellen für die Netzhaut zu erzeugen. Allerdings ist die Erfolgsquote bei der Transplantation mit 43 Prozent noch ziemlich gering. Auch die Dichte der angewachsenen Zellen reicht nicht aus, um eine volle Sehfähigkeit wiederherzustellen – bisher können die Mäuse nur hell und dunkel unterscheiden.

Es dürfte daher noch einige Zeit vergehen, bis dieses oder ein ähnliches Verfahren auch beim Menschen eingesetzt werden kann. Dennoch sehen die Wissenschaftler in ihrem Ansatz eine vielversprechende Methode, um zerstörte Photorezeptoren künftig zu ersetzen. „Wichtig ist auch, dass wir herausgefunden haben, wie diese direkte Umprogrammierung auf zellulärer Ebene abläuft“, erklärt Swaroop. „Diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, nicht nur Ersatzzellen für die Netzhaut, sondern auch viele andere Zelltypen zu erzeugen.“ (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2201-4)

Quelle: NIH/ National Eye Institute

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