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Zellbiologie

Übersehener Mechanismus bei der Zellteilung

Wie zwei Reparatur-Enzyme die DNA-Enden unserer Chromosomen schützen

Illustration von Chromosomen mit Telomeren und DNA-Doppelhelix
Telomere schützen die Enden unserer Chromosomen, werden aber bei der Zellteilung kürzer. © wildpixel / iStock

Zwei Probleme, zwei Lösungen: Wenn sich unsere Zellen teilen, wird entgegen gängiger Annahmen nicht nur ein DNA-Strang der Telomere kürzer. Stattdessen treten Kopierfehler an beiden Strängen der Chromosomen-Endkappen auf, wie Forschende entdeckt haben. Ihre Experimente enthüllen aber auch, dass unsere Zellen gegen beide Verkürzungen ein passendes Mittel parat haben. Neben der Telomerase stockt ein weiterer Enzymkomplex die DNA-Ende wieder auf – beide zusammen verhindern, dass unsere Chromosomen immer kürzer werden, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Jedes Mal, wenn sich eine unserer Körperzellen teilt, wird die darin enthaltene DNA kopiert. Dabei wird die Doppelhelix in Einzelstränge geteilt und jeder Strang einzeln kopiert. Mit jeder Runde dieser Replikation geht aber auch etwas verloren: Die nicht-kodierenden Enden der Chromosomen, die sogenannten Telomere, werden kürzer, weil die letzten Basen auf einem der beiden Stränge von der Kopiermaschinerie nicht richtig erkannt und daher nicht mitkopiert werden.

„Die DNA-Replikationsmaschinerie kann das Ende einer linearen DNA nicht vollständig duplizieren, ähnlich wie man den Boden unter seinen Füßen nicht streichen kann“, erklärt Hiroyuki Takai von der Rockefeller University in New York.

Schutzwirkung der Telomere

Ohne Reparatur würden die Telomere daher an diesem Strang mit der Zeit immer kürzer, bis sie schließlich komplett verschwunden wären. Wenn diese Schutzkappe defekt ist, passieren mehr Fehler bei der DNA-Replikation, so dass unser Erbgut potenziell schädliche Mutationen ansammelt. Fehlen die Telomere ganz, kann sich die Zelle nicht mehr teilen und stirbt ab. Die Länge der Telomere bestimmt daher in gewisser Weise, wie alt wir werden.

Um dieses „Problem der Endreplikation“ zu lösen, hält unser Körper jedoch glücklicherweise ein Hilfsmittel parat: Ein Enzym namens Telomerase, dass die verkürzten Telomere am sogenannten „führenden“ DNA-Strang wieder verlängern kann, indem sie die fehlenden Basen anhängt. Diese Schutzwirkung wurde bereits vor Jahrzehnten entdeckt und 2009 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Dass wir dennoch altern, liegt unter anderem daran, dass die Telomerase im Lauf des Lebens immer weniger aktiv ist.

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Zufallsfund: Zweiter DNA-Strang schrumpft ebenfalls

Nun hat ein Team um Takai durch Zufall einen weiteren wesentlichen Schritt in diesem grundlegenden Prozess entdeckt. Takai untersuchte Zellen, denen eine andere molekulare Maschinerie fehlte, der sogenannte CST–Polα-Primase-Komplex. Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass dieser Enyzmkomplex kurze Basenfolgen an beschädigte Telomere anhängen kann. Takai analysierte, wann und wie diese Schäden entstehen und der CST–Polα-Primase-Komplex zu deren Reparatur benötigt wird.

Die Experimente zeigten überraschend, dass diese Telomerschäden nicht nur im „Normalmodus“ der Zellen entstehen, sondern ebenfalls während der Zellteilung bei der DNA-Replikation auftreten – und zwar am zweiten der beiden Stränge, der bislang problemlos zu kopieren schien.

Diese Beobachtung deutete darauf hin, dass das Problem der Endreplikation beide DNA-Stränge betrifft und nicht wie lange angenommen nur einen. „Die Ergebnisse passten einfach nicht zum gängigen Modell der Telomerreplikation“, sagt Koautorin Titia de Lange, ebenfalls von der Rockefeller University. „Zu diesem Zeitpunkt erkannten Hiro und ich, dass entweder seine Ergebnisse nicht stimmten oder das Modell falsch war. Da mir seine Ergebnisse sehr solide erschienen, mussten wir das Modell noch einmal überdenken.“

Struktur der CST–Polα-Primase
Struktur der CST–Polα-Primase, dem Enzym, das das neu entdeckte „Problem der Endreplikation“ löst. © Sarah Cai

Doppelte Reparatur gegen die Verkürzung

Detaillierte Folgeuntersuchungen und Mikroskopaufnahmen der Biochemiker in Labor-Modellen mit Hefe-Enzymen ergaben, dass die DNA-Replikationsmaschinerie tatsächlich nicht in der Lage ist, die letzten Basen der Telomere am sogenannten „nacheilenden“ DNA-Strang zu kopieren. Demnach verkürzt sich – anders als bislang angenommen – auch dieser Strang bei jeder Kopierrunde.

Die Ergebnisse belegen, dass es zwei „Probleme der Endreplikation“ gibt, nicht nur eines. „Viele Jahrzehnte lang glaubten wir zu wissen, was das Problem der Endreplikation war und wie es durch Telomerase gelöst wurde“, sagt de Lange. „Es stellte sich heraus, dass wir die Hälfte des Problems übersehen hatten.“ Die Telomerase ist demnach nur ein Teil der Lösung – die Zellen benötigen einen weiteren Enzymkomplex, um beide Stränge der verkürzten Telomere zu reparieren.

Und tatsächlich: Die Experimente von Takai und seinem Team bestätigten, dass der CST–Polα-Primase-Komplex diese Funktion übernimmt. Er kann den zweiten Strang der verkürzten Telomere reparieren – ähnlich wie es die Telomerase am anderen, „führenden“ DNA-Strang tut. Diese Funktion konnten die Forschenden auch in menschlichen Zellen nachweisen.

Relevant auch für Therapien

Aufgrund dieser Erkenntnisse müssen nun die entsprechenden Kapitel der Lehrbücher überarbeitet werden. Darüber hinaus könnten die Ergebnisse aber auch klinische Relevanz haben: Denn einige Krankheiten beruhen auf Mutationen in der CST–Polα-Primase. Ein Beispiel ist das Coats-Plus-Syndrom, das Störungen der Augen, des Gehirns, der Knochen und des Verdauungstrakts beinhaltet.

Da nun bekannt ist, welche Folgen die Mutationen für die Telomere der Betroffenen haben, könnten die Erkrankungen künftig auch gezielter behandelt werden, schreiben die Forschenden.
(Nature, 2024; doi: 10.1038/s41594-022-00766-y)

Quelle: Rockefeller University

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