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Medizin

Rückenschmerzen: Opioide nicht besser als Placebo

Behandlung mit Opioid-Schmerzmittel kann Rückenschmerzen sogar verlängern

Rückenschmerzen
Bei starken Rückenschmerzen werden häufig Opioid-Schmerzmittel verschrieben. Doch ihre Wirkung ist fraglich, wie nun eine Studie enthüllt. © wavebreakmedia/ iStock

Kontraproduktiv: Die bei starken Rückenschmerzen oft verschriebenen Opioid-Schmerzmittel wirken nicht besser als ein Placebo – und können die Schmerzen sogar verlängern, wie nun eine Studie belegt. Demnach zeigte das Opioid-Schmerzmittel Oxycodon nach sechs Wochen der Einnahme sogar eine etwas schlechtere Wirkung als das Placebo, ähnliches zeigte sich auch noch ein Jahr nach Ende der Behandlung. Dafür hatten die Opioid-Patienten ein doppelt so hohes Risiko für eine Sucht, wie Mediziner in „The Lancet“ berichten.

Ob durch Bewegungsmangel, Fehlbelastung oder Dauerstress: Rückenschmerzen sind längst eine Volkskrankheit. In manchen Fällen gehen die Schmerzen von selbst wieder weg, aber nicht immer: In vielen fällen werden die Rückenschmerzen chronisch und lösen immer wieder hartnäckige Beschwerden aus. Neben Physiotherapie hilft dann oft nur noch ein Schmerzmittel. Wirken die frei verkäuflichen Medikamente nicht, dürfen Ärzte auch Opioide verschreiben – und tun dies auch fleißig:

Weltweit bekommen im Schnitt 40 Prozent der Patienten mit Schmerzen im unteren Rücken irgendwann Opioid-Schmerzmittel verschrieben, wie internationale Erhebungen zeigen. In den USA nehmen sogar rund die Hälfte der Rückenpatienten Opioide, in Australien sind es zwei Drittel, wie Caitlin Jones von der University of Sydney und ihre Kollegen berichten. Das Problem: Bei längerer Einnahme können Opioide süchtig machen, gerade das Schmerzmittel Oxycodon gilt als klassische Einstiegsdroge in die Abhängigkeit.

Opioid versus Placebo

Doch wie gut helfen die Opioid-Schmerzmittel gegen hartnäckige Rückenschmerzen? Erstaunlicherweise gab es dazu bisher nur wenig belastbare Daten: Die meisten Studien haben die Wirkung nur über kurze Zeit hinweg untersucht, andere konnten nur geringe Effekte feststellen. Jones und ihr Team haben nun die erste dreifach verblindete und randomisierte Studie durchgeführt, die die Langzeitwirkung von Opioid-Schmerzmittel gegen Rückenschmerzen untersucht.

An der Studie nahmen 347 Menschen teil, die seit mehreren Wochen unter anhaltenden Rücken- und Nackenschmerzen von mindestens mittlerer Stärke litten. Die Hälfte der Teilnehmenden erhielt sechs Wochen lang täglich das Opioid-Schmerzmittel Oxycodon, die andere Hälfte ein Placebo. Weder die Patienten noch die behandelnden Ärzte oder die auswertenden Wissenschaftler wussten, welcher Gruppe ein Patient angehörte. Zu Beginn der Studie, nach sechs Wochen und nach einem Jahr wurden alle Teilnehmenden untersucht und nach dem Grad ihrer Schmerzen befragt.

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Schmerzbelastung blieb in der Opioid-Gruppe höher

Das Ergebnis: Nach sechs Wochen zeigte die Opioid-Behandlung keine signifikant bessere Wirkung als das Placebo: Die Schmerzbelastung der Rückenpatienten war nach der Einnahme des vermeintlich potenten Schmerzmittels nicht geringer als nach Einnahme des wirkungslosen Placebos. In vielen Fällen schien das Placebo sogar besser zu wirken: Die Patienten der Oxycodon-Gruppe gaben ihre Schmerzbelastung nach sechs Wochen der Behandlung mit 2,8 von 10 an, die Teilnehmenden aus der Placebo-Gruppe mit 2,3.

Ein Jahr nach der Behandlung sah es ähnlich aus: In der Opioid-Gruppe stuften die Patienten ihre Rückenschmerzen im Schnitt bei 2,4 ein, in der Placebo-Gruppe bei 1,8, wie das Team ermittelte. Zusätzlich hatten die Teilnehmenden aus dieser Gruppe mehr Nebenwirkungen und schlechtere Werte bei Tests der mentalen Gesundheit. „Damit deutet unsere Studie darauf hin, dass Opioide die Schmerzbelastung sowohl mittelfristig als auch langfristig eher erhöhen“, sagt Seniorautorin Christine Lin von der University of Sydney.

Opioide fördern die Chronifizierung

Damit bestätigen die Ergebnisse zum einen, dass auch Placebos gegen Rückenschmerzen helfen können. In früheren Studien haben solche Scheinbehandlungen ihre Wirksamkeit sogar dann bewiesen, wenn die Patienten wussten, dass sie ein Placebo erhalten. Zum anderen stützen diese Resultate Beobachtungen, nach denen Opioide das Schmerzgedächtnis und damit die Chronifizierung von Nervenschmerzen sogar aktiv fördern.

Die Studie bestätigte zudem, dass schon die vorübergehende, kontrollierte Einnahme von Opioid-Schmerzmittel das Risiko für eine Sucht erhöhen kann: Der Anteil der Teilnehmenden, die nach einem Jahr noch immer Opioide nahmen, lag in der Oxycodon-Gruppe bei 20 Prozent, bei der Placebo-Gruppe nur halb so hoch.

Verschreibungspraxis sollte überdacht werden

„Obwohl es keine Belege für ihre Wirksamkeit gegen Schmerzen im unteren Rücken und im Nacken gibt, werden Opioid-Schmerzmittel noch immer vielen Menschen verschrieben“, sagt Lin. „Angesichts der aktuellen Daten und der bekannten Risiken einer solchen Therapie raten wir Ärzten jedoch davon ab, diesen Patienten solche Mittel zu verschreiben. Denn die Opioide bieten den Betroffenen nicht die gewünschten Schmerzlinderung und erhöhen noch dazu das Risiko für einen Opioid-Missbrauch.“

Ähnlich sehen es auch die nicht an der Studie beteiligten Schmerzforscher Mark Sullivan und Jane Ballantyne von der University of Washington: „Zwar handelt es sich hier nur um die Ergebnisse einer Studie, dennoch wirft sie ernste Fragen über den Einsatz von Opioiden gegen akute Rücken- und Nackenschmerzen auf“, schreiben sie in einem begleitenden Kommentar. „Es ist Zeit, die gängigen Richtlinien und die Verschreibungspraxis für diese Mittel zu hinterfragen.“ (The Lancet, 2023; doi: 10.1016/S0140-6736(23)00404-X)

Quelle: The Lancet

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