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Mikrobiologie

Möglicher Auslöser für Parkinson entdeckt

Stoffwechselprodukte von Mikroben der Darmflora können Hirnzellen zerstören

Darstellung von Nervenzellen
Parkinson zählt zu den neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen Nervenzellen absterben. © CIPhotos / Getty Images

Mikrobielle Giftstoffe: Eine der Ursachen für Parkinson liegt womöglich in unserem Darm. Denn dort stellen manche Mikroorganismen Substanzen her, die unsere Nervenzellen schädigen können, wie Forschende herausgefunden haben. Demnach zerstört ein Stoffwechselprodukt des Bakteriums Streptomyces venezuelae vor allem die Neuronen, die Dopamin produzieren, und löste im Tierversuch Parkinson-ähnliche Symptome aus. Dies wirft ein neues Licht auf die Rolle des Mikrobioms für Parkinson und andere neurodegenerative Erkrankungen.

Parkinson ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der fortschreitend Nervenzellen zerstört werden, weil sich bestimmte Proteine anreichern und verklumpen. Besonders betroffen sind Neuronen, die Dopamin herstellen. Die Ursachen von Parkinson sind erst teilweise erforscht. Zwar sind genetische Veränderungen als ein Auslöser für die Krankheit bekannt, in 90 Prozent der Fälle treten Parkinson-Symptome jedoch ohne klaren genetischen Ursprung auf. Zudem ist das Alter ein bedeutender Risikofaktor für Parkinson, unklar ist jedoch, welche Alterungsprozesse beteiligt sind.

Wissenschaftler vermuten, dass auch Umweltfaktoren eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spielen könnten. Untersucht wird zum Beispiel, ob in der Umwelt vorkommende Pestizide aus der Landwirtschaft und Industriechemikalien mit der Neurodegeneration in Verbindung stehen. Viren werden ebenfalls als mögliche Auslöser diskutiert.

Welche Rolle spielt die Darmflora für Parkinson?

Im Verdacht stehen jedoch auch die Darmflora und das menschliche Mikrobiom insgesamt. Denn Parkinson-Patienten haben eine andere Mikroben-Kombination im Darm als gesunde Menschen, wie Untersuchungen zeigen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass einige Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen, sogenannte Metaboliten, selektiv Dopamin-produzierende Neuronen angreifen.

Ein Team um Anna-Katharina Ückert von der Universität Konstanz hat nun einen solches Stoffwechselprodukt des Bakteriums Streptomyces venezuelae genauer untersucht. Dieses Bakterium lebt zwar im Boden, verfügt aber möglicherweise über ähnliche Stoffwechselwege und -produkte wie Mikroorganismen in unserem Körper. Die Forschenden versprechen sich aus den Versuchen Hinweise auf die Art des schädlichen Metabolits und seinen Syntheseweg, um dies mit dem menschlichen Mikrobiom vergleichen zu können.

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Bakterien-Metabolit im Test

Für ihre Studie isolierte das Team zunächst das Stoffwechselprodukt des Bakteriums in mehreren Reinigungsschritten aus Extrakten von Streptomyces venezuelae und identifizierte es mittels Massenspektrometrie (MS) und Kernspinresonanzspektroskopie (NMR). Für weitere Tests stellten die Forschenden die identifizierte Substanz auch chemisch her.

Anschließend gaben die Wissenschaftler die isolierte sowie synthetisch nachgebaute Substanz im Labor zu menschlichen Dopamin-produzierenden Neuronen, anderen menschlichen Nervenzellen und nicht-neuronalen menschlichen Zellen. Dann beobachteten sie, ob sich die Gehirnzellen verformten oder starben. Zudem testeten Ückert und ihre Kollegen, ob verschiedene natürliche Hemmstoffe und Antioxidantien die Zellschäden verhinderten.

Bakterium produziert den Giftstoff Aerugin

Die Experimente ergaben: Bei dem Metaboliten handelt sich um eine Kombination zweier Stoffe, Aerugin und Aeruginol, zwei 2-Hydroxyphenyl-Thiazolin-Verbindungen, die auch im menschlichen Mikrobiom und in mehreren Krankheitserregern vorkommen. Beide Substanzen zerstörten in der Studie die menschlichen Nervenzellen, insbesondere die Dopamin-produzierenden Neuronen. „Normale“ Zellen blieben dagegen intakt. Da Aerugin toxischer war als Aeruginol, führten die Forschenden die weiteren Tests nur mit diesem Wirkstoff durch.

Ähnlich wie bei Parkinson führte die durch Aerugin ausgelöste Neurodegeneration in den Experimenten zum Absterben der Neuronen. Durch Zugabe bestimmter Antioxidantien und Eisen-Inhibitoren konnte die Wirkung an den getesteten Zelllinien jedoch aufgehoben werden. Daraus schließen die Forschenden, dass Aerugin nur in Kombination mit Eisen für die Zellen giftig ist.

Toxische Wirkung auch in Fadenwürmern nachgewiesen

Aber welche Folgen haben die identifizierten Giftstoffe von Streptomyces venezuelae in einem lebenden Organismus? Um das herauszufinden, setzten die Forschenden auch Fadenwürmer (Caenorhabditis elegans) dem bakteriellen Metaboliten Aerugin aus und untersuchten dessen Wirkung auf das Nervensystem des Modellorganismus.

Tatsächlich zeigten die Würmer nach Kontakt mit dem Bakteriengift Bewegungsschwierigkeiten und spezifische neuronale Muster, die denen von menschlichen Parkinson-Patienten ähnelten. Weitere Experimente mit angefärbten Neuronen ergaben, dass der Giftstoff in Fadenwürmern ebenfalls spezifisch die Dopamin-produzierenden Nervenzellen angriff.

Rückschlüsse auf Auslöser für neurodegenerative Erkrankungen

Die Studie bietet damit eine neue Perspektive auf die Auslöser von Parkinson. „Unsere Forschung stellt eine greifbare Verbindung her zwischen einem spezifischen bakteriellen Metaboliten und Symptomen, die Parkinson ähneln. Es ist ein weiterer Schritt, um zu verstehen, wie unsere Umwelt, bis hin zu den Mikroben um uns herum, den Beginn oder den Verlauf solcher Krankheiten beeinflussen könnte“, sagt Co-Seniorautor Marcel Leist von der Universität Konstanz.

Zugleich stellen sich durch die Entdeckungen neue Fragen: Könnten auch andere mikrobielle Substanzen neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson beeinflussen? Wie interagieren diese Giftstoffe mit unseren Neuronen? Und kann das Wissen um sie und mögliche „Gegengifte“ zu neuen Behandlungen oder Vorbeugemaßnahmen führen? Um dies zu beantworten, sind weitere Forschungen nötig.

„Obwohl unsere Studie erst einen Anfang darstellt, ist sie ein vielversprechender Schritt zur Entschlüsselung der molekularen Ursachen von Parkinson und anderen neurodegenerativen Erkrankungen“, sagt Co-Seniorautor Thomas Böttcher von der Universität Wien. (Environment International, 2023, doi: 10.1016/j.envint.2023.108229)

Quellen: Universität Wien, Universität Konstanz

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