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Medizin

Corona: Hilft EPO gegen Covid-19?

Erythropoetin könnte schwere Verläufe auf dreifache Weise abmildern

Erythropoietin
Das Hormon Erythropoietin (EPO) könnte Patienten mit schweren Verläufen von Covid-19 helfen. © gemeinfrei

Dopingmittel gegen Corona: Das aus dem Sportlerdoping bekannte Erythropoetin könnte auf dreifache Weise gegen Covid-19 helfen. Denn das blutbildende Hormon unterstützt Atmung und Lungenfunktion, hemmt entzündungsfördernde Botenstoffe und kann das Nervensystem vor Schäden schützen, wie Forscher berichten. Erste Fallberichte deuten zudem daraufhin, dass eine EPO-Gabe schwere Corona-Verläufe mildern kann. Eine klinische Studie soll dies nun überprüfen.

Landläufig ist Erythropoetin (EPO) vor allem als Dopingmittel bekannt. Doch dieses Wachstumshormon kommt auch von Natur aus in unserem Körper vor. Es wird bei Sauerstoffmangel ausgeschüttet wie er beispielsweise in der dünnen Luft der Hochgebirge auftreten kann. Das Erythropoetin regt dann die Bildung Roter Blutkörperchen an, wirkt aber auch auf das Atemzentrum im Stammhirn. Dadurch verbessern sich Sauerstoffaufnahme und -transport.

Doch das ist noch nicht alles: „In den letzten 30 Jahren ist immer klarer geworden, dass EPO in vielen Geweben und Organen des Körpers freigesetzt wird. Dort übt es vielfältige Funktionen aus und wirkt als gewebeschützendes Cytokin“, erklären Hannelore Ehrenreich vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen und ihre Kollegen. Studien zeigen, dass EPO die Wundheilung bei Diabetikern fördert sowie die Neubildung und Vernetzung von Gehirnzellen anregt.

Erste Hinweise auf positive Effekte

Im Zuge der Corona-Pandemie könnte sich Erythropoetin sogar als hilfreich gegen Covid-19 erweisen. Tatsächlich gibt es erste Beobachtungen, die dies stützen. So erhielt ein Intensiv-Patient im Iran wegen schlechter Blutwerte EPO, woraufhin er sich auffällig schnell von seinen schweren Covid-19-Symptomen erholte. Ähnliches zeigt sich bei Patienten, die aus anderen Gründen EPO bekamen: „Wir haben beobachtet, dass Dialyse-Patienten Covid-19 auffällig gut überstehen – und genau diese Patienten erhalten im Rahmen ihrer Dialyse regelmäßig Erythropoetin“, sagt Ehrenreich.

In Südamerika zeichnet sich zudem ab, dass Bewohner der höher liegenden Bergregionen weit seltener schwere Verläufe von Covid-19 entwickeln als Menschen im Flachland. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Hochgebirgs-Bewohner wegen der dünneren Luft von Natur aus mehr Erythropoetin bilden. Nach Ansicht von Ehrenreich und ihrem Team ist das kein Zufall. Denn ihre langjährigen Forschungen zu diesem Hormon legen nahe, dass EPO gleich auf mehrfache Weise gegen SARS-CoV-2 und die Folgen der Infektion wirken kann.

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Hilfe für Atmung und Lunge

Die erste Ansatzstelle für EPO sind Lunge und Atmung bei Covid-19-Patienten: Das Coronavirus zerstört Lungengewebe, löst schwere Entzündungen aus und scheint zusätzlich auch die neuronale Steuerung der Atmung anzugreifen. Hier könnte EPO sogar auf dreifache Weise schützend eingreifen, wie die Forscher erklären. So belegen Tierversuche, dass EPO durch seine antientzündliche Wirkung Lungenzellen vor Schäden schützen und Lungenödeme verhindern kann.

„EPO hat zudem positive Effekte auf das Nervensystem, die die Atmung von Patienten verbessern könnten“, so Ehrenreich und ihre Kollegen. So ist bekannt, dass EPO auf das Atemzentrum im Hirnstamm wirkt und so die Atemtätigkeit anregt. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass das Mittel bei Sauerstoffmangel auch den Zwerchfellnerv aktiviert und auf diese Weise das Luftholen intensivieren kann.

Hemmt den Cytokinsturm

Ein zweiter Wirkungsbereich ist die überschießende Immunreaktion bei vielen Covid-19-Patienten. Bei diesem „Cytokinsturm“ schütten die infizierten Zellen und Gewebe enorme Mengen an entzündungsfördernden Botenstoffen aus. Dies lässt Lungengewebe und Gefäße anschwellen, zerstört Zellen und kann zu einem Kollaps des gesamten Körpers führen.

Dieser Entgleisung der Immunantwort wirkt EPO entgegen: „Erythropoetin hemmt entzündungsfördernde Cytokine, schützt Zellen vor der Apoptose und fördert die Wundheilung“, berichten Ehrenreich und ihre Kollegen. „Zudem werden EPO-Rezeptoren auf verschiedenen Immunzellen exprimiert, wodurch das Hormon ihre Aktivierung, Differenzierung und Funktion direkt beeinflussen kann.“

Schutzwirkung auch auf Nerven und Gehirn

Eine dritte Schutzwirkung von EPO betrifft das Nervensystem. Schon länger zeigen Fallberichte, dass das Coronavirus auch Nerven und Gehirn angreift und eine ganze Palette von neurologischen Schäden und Ausfällen hervorrufen kann – von Riechstörungen über Kopfschmerzen und Schwindel bis hin zu Krämpfen, Lähmungen und Schlaganfällen. Einige Covid-19-Patienten leiden nach ihrer Genesung unter anhaltenden Nervenschäden.

Tierversuche und erste klinische Studien beim Menschen belegen jedoch, dass EPO auch Zellen der Nerven und des Gehirns schützen kann. „Unter schädigenden Bedingungen wie beispielsweise Hirnverletzungen werden EPO und der EPO-Rezeptor vermehrt gebildet“, berichten Ehrenreich und ihre Kollegen. „Dies hat neuroprotektive Effekte, wirkt dem Zellselbstmord entgegen und fördert die Regeneration der Nervenzellen.“ Diese Wirkung haben die Forscher unter anderem bei Schlaganfällen, Multipler Sklerose oder Schizophrenie bereits nachgewiesen.

Klinische Studie ist in Vorbereitung

Nach Ansicht von Ehrenreich und ihrem Team gibt es demnach genügend Anhaltspunkte dafür, dass EPO bei schweren Verläufen von Covid-19 helfen könnte. „Covid-19 kann so schwere Folgen für die Gesundheit haben, dass wir jedem Hinweis auf eine schützende Wirkung von EPO nachgehen müssen“, betont Ehrenreich. „Wir bereiten deshalb gerade eine Studie am Menschen vor, mit der wir die Wirkung von EPO bei Covid-19 untersuchen wollen.“

In dieser „Proof-of-Concept“-Studie sollen 20 bis 40 Patienten mit schwerem Verlauf von Covid-19 zusätzlich zu ihrer normalen Intensivbehandlung Erythropoetin bekommen. „Die intravenöse EPO-Therapie beginnt, sobald der kritische Zustand der Patienten eine mechanische Beatmung erfordert“, so die Forscher. Vergleiche mit einer Placebogruppe sollen dann zeigen, ob diese Behandlung den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen kann.

Sollte EPO wirken, könnte dies eine weitere günstige und gut verfügbare Therapieoption darstellen. Denn die Patente für dieses Medikament sind längst abgelaufen, so dass es bereits von vielen Herstellern produziert wird. Gleichzeitig erklärt dies auch, warum Pharmahersteller nur wenig Interesse daran haben, größere klinische Studien zu positiven Wirkungen von EPO zu finanzieren – es rentiert sich für sie nicht, wie Ehrenreich erklärt. (Molecular Medicine, 2020; doi: 10.1186/s10020-020-00186-y)

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft

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