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Geowissen

Wie extraterrestrische Relikte ins Erdinnere kamen

Kontinentgroße Anomalien im unteren Erdmantel könnten Überreste des Protoplaneten Theia sein

Kollision von Theia und Erde
Tief im unteren Erdmantel verbergen sich zwei kontinentgroße Anomalien. Könnten dies Relikte des mit der Erde kollidierten Protoplaneten Theia sein? © Hongping Deng/ Hangzhou Sphere Studio, China

Nicht von dieser Welt: Tief im Erdmantel liegen zwei riesige Materialklumpen, die extraterrestrischen Ursprungs sein könnten. Denn diese kontinentgroßen Anomalien sind wahrscheinlich Überreste des marsgroßen Protoplaneten, der vor rund 4,5 Milliarde Jahren mit der Erde kollidierte. Indizien dafür liefern seismische Daten, aber auch neue Simulationen der Ereignisse bei dieser planetaren Kollision. Sie zeigen, wie diese extraterrestrischen Relikte bis heute erhalten bleiben konnten.

Als die junge Erde vor rund 4,5 Milliarden Jahren mit dem marsgroßen Protoplaneten Theia kollidierte, hatte dies dramatische Folgen. Einem Szenario nach verdampfte dabei ein Großteil beider Himmelskörper und das ausgeschleuderte Material kondensierte und bildete den Mond. Einem anderen Szenario nach wurde beim Aufprall des Protoplaneten ein großer, halbgeschmolzener Brocken aus der Urerde herausgeschleudert, aus dem sich dann innerhalb weniger Stunden der Mond bildete.

mondbildende Kollision
Vor rund 4,5 Milliarden Jahren kollidierte der marsgroße Protoplanet Theia mit der jungen Erde. © Hernán Cañellas

Wo sind die Reste von Theia geblieben?

Doch wo ist der Rest des Protoplaneten geblieben? Gängiger Annahme nach sammelten sich die schweren Elemente aus Theias Kern vorwiegend im Mondkern. Wo aber Theias Mantel blieb, ist strittig. Bereits 2021 postulierte ein Team um Qian Yuan von der Arizona State University eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Antwort: Ihrer Ansicht nach könnten Teile des Protoplaneten bis heute am Grund des Erdmantels verborgen liegen.

Indizien dafür liefern zwei riesige Anomalien im unteren Erdmantel, jede von ihnen doppelt so groß wie der Erdmond. Diese sogenannten Large Low-Velocity Provinces (LLVP) liegen unter dem Pazifik und unter Afrika und bremsen seismische Wellen besonders stark ab. Dies deutet darauf hin, dass das Mantelmaterial dort besonders heiß und weich sein könnte. „Die LLVPs werden oft als intrinsisch dichtes Heterogenitäten interpretiert, die sich in ihrer Zusammensetzung vom umgebenden Mantel unterscheiden“, erklären Yuan und seine Kollegen.

LLSVP
Dieses Modell zeigt die Lage und Ausdehnung der beiden großen Mantelanomalien (LLSVP). © Sanne.cottaar /CC-by-sa 4.0

Kollision im Computer rekonstruiert

Theoretisch wäre es demnach durchaus denkbar, dass diese Anomalien aus „Fremdmaterial“ bestehen – wie den Überesten des Protoplaneten Theia. Das Problem jedoch: „Bisher dachte man, dass alle Relikte von Theia im Erdinneren längst ausgelöscht und durch Milliarden Jahre der dynamischen Mantelkonvektion homogenisiert worden sein müssen“, sagt Yuans Kollege Steven Desch. Zudem war unklar, warum die Reste des Protoplaneten überhaupt zwei so klar abgegrenzte Klumpen hätten bilden sollen.

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Um dieser Frage nachzugehen, haben Yuan und sein Team die mondbildende Kollision der Urerde mit Theia in zwei verschiedenen hochauflösenden hydrodynamischen Simulationen rekonstruiert. Diese bilden Zustand und Zusammensetzung der beiden kollidierenden Himmelskörper und die Dynamik des Erdmantels vor, während und nach der Kollision nach.

Zweigeteilter Erdmantel

Die Simulationen ergaben: Direkt nach der Kollision bildete zwar der obere Erdmantel einen glutflüssigen Magmaozean, der untere Erdmantel ab rund 1.300 Kilometer Tiefe könnte aber weitgehend fest und kühler als bisher angenommen gewesen sein. Für das Schicksal der Protoplaneten-Relikte bedeutet dies: Wenn sie dicht und damit schwer genug waren, um bis in diese festere Schicht des Mantels abzusinken, könnten sie einer kompletten Durchmischung mit irdischem Material entgangen sein.

„In unseren Mantelkonvektions-Simulationen haben wir festgestellt, dass dichtes, eisenreiches Material von Theia bis zum Grund des Erdmantels absinken und sich dort akkumulieren konnte“, berichtet Koautorin Mingming Li von der Arizona State University. Dafür würde es schon ausreichen, wenn das Protoplaneten-Material zwei bis 3,5 Prozent dichter war als das des Erdmantels. Früheren Studien zufolge wäre dies möglich, weil Theias Mantelgestein mehr Eisenoxid enthielt als das des Erdmantels.

Szenario
Kollision des Protoplaneten mit der Erde (links) und heutiger Zustand mit Mond und Theia-Relikten in Form der Mantelanomalien. © Hernán Cañellas

Zu zwei Haufen „zusammengefegt“

Nachdem das Protoplaneten-Material dann bis an die irdische Kern-Mantel-Grenze abgesunken war, sammelte es sich dort in zwei großen „Haufen“. Wegen ihrer höheren Dichte und abweichenden Zusammensetzung wurden sie von der Mantelkonvektion nicht zerstreut, sondern nur an den beiden Stellen unter Westafrika und dem Pazifik „zusammengefegt“, wie das Team erklärt. Dieses Ergebnis ergab sich in insgesamt neun verschiedenen Modellen mit jeweils leicht unterschiedlichen Parametern.

„Dies ist damit die erste Studie, die plausibel darlegt, dass abgegrenzte ‚Stücke‘ von Theia noch immer im tiefen Erdinneren existieren“, sagt Desch. Den Berechnungen seines Teams nach könnten bei der mondbildenden Kollision rund 0,017 bis 0,026 Erdmassen an protoplanetarem Material in den unteren Mantel gelangt sein. „Dies stimmt relativ gut mit den Schätzungen von 0,01 bis 0,06 Erdmassen für die LLVPs überein“, schreiben die Forschenden.

Extraterrestrische „Blobs“ im Erdinneren

Demnach könnte dieses Szenario nicht nur erklären, wo der Rest des Protoplaneten Theia nach der großen Kollision geblieben ist, sondern auch, wie die beiden riesigen Anomalien im unteren Erdmantel entstanden sind. „Wir haben nun eine Erklärung: Diese ‚Klumpen‘ sind die Überreste der planetaren Kollision, die unseren Mond bildete. Anders ausgedrückt: Diese massiven Blobs im Erdinneren sind extraterrestrisch!“

Eine mögliche Bestätigung für dieses Szenario könnten Gesteinsproben aus den über den beiden Anomalien liegenden Mantelplumes liefern. Denn solche Hotspot-Zonen befördern Material aus dem unteren Erdmantel bis in die Erdkruste – und könnte damit auch Anteile des Magmas aus den LLPS enthalten. „Studien zur isotopischen und chemischen Zusammensetzung solcher LLVP-verknüpften Plume-Proben und auch der Vergleich mit lunarem Basalt könnte unsere Hypothese testen“, erklärt das Team. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06589-1)

Quelle: Arizona State University

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