Anzeige
Astronomie

Was steckt hinter dem kosmischen Riesenring?

Warum die neuentdeckte "Big Ring"-Struktur im Kosmos nur schwer erklärbar ist

Big Ring und Giant Arc
Astronomen haben einen riesigen Ring (blau) aus Galaxien und Galaxienhaufen entdeckt. Er ist schon die zweite schwer erklärbare kosmische Großstruktur nach dem Giant Arc (rot). © Lopez et al./ University of Central Lancashire

Größer als erlaubt: Erneut haben Astronomen eine riesige Struktur im Kosmos entdeckt, die es eigentlich so nicht geben dürfte. Der ferne Ring aus Galaxien und Galaxienhaufen ist rund 1,3 Milliarden Lichtjahre groß und nach dem „Giant Arc“ schon die zweite Mega-Struktur, die gängiger kosmologischer Theorie widerspricht. Denn nach dieser dürfte es so große Strukturen im Universum nicht geben. Merkwürdig auch: Der Riesenring und der Riesenbogen sind etwa gleich alt und liegen relativ dicht beieinander – warum, ist Astronomen ein Rätsel.

Nach dem kosmologischen Standardmodell ist die Materie im Universum relativ gleichmäßig verteilt. Zwar gibt es großräumige Strukturen wie Galaxienhaufen, Supercluster oder den „Great Wall“. In großem Maßstab von hunderten Millionen Lichtjahren betrachtet ähneln sich aber alle Himmelsausschnitte in Bezug auf Galaxiendichte, Temperatur und Strahlung – so die Annahme. Doch 2021 haben Astronomen einen riesigen Bogen aus Galaxien und Galaxienhaufen entdeckt, der dem widerspricht: Mit 3,3 Milliarden Lichtjahren Länge ist der „Giant Arc“ weit größer als er sein dürfte.

Riesenring
Der Big Ring aus Galaxien und Galaxienhaufen zeigt sich etwa in der Mitte dieses Bildes der Materiedichte, das auf Basis von Spektraldaten erzeugt wurde. © Lopez et al./ University of Central Lancashire

Nach dem Riesenbogen nun ein Riesenring

Jetzt kommt eine zweite „unmögliche“ Großstruktur dazu – erneut aufgespürt von einem Team um Alexia Lopez von der University of Central Lancashire. Wie schon beim „Giant Arc“ entdeckten die Astronomen den riesigen kosmischen Ring über das Lichtspektrum ferner Quasare. Die Galaxien und Galaxienhaufen des „Big Ring“ hinterließen darin Absorptionslinien von Magnesium-Ionen, die ihre Existenz verrieten. „Dadurch lässt sich auch Materie kartieren, die sonst wegen ihres schwachen Scheins unsichtbar bleiben würde“, erklärt Lopez.

Der nun neu entdeckte Riesenring hat einen Durchmesser von 1,3 Milliarden Lichtjahren und einen Umfang von 4,4 Milliarden Lichtjahren. Er ist damit fast genauso groß wie der Giant Arc. Von der Erde aus betrachtet würde er am Himmel so viel Raum einnehmen wie 15 nebeneinanderliegende Vollmonde, allerdings ist er weder mit bloßem Auge noch mit Teleskopen direkt sichtbar. Dafür ist das Licht dieser rund 9,2 Milliarden Lichtjahre entfernten Struktur zu schwach, wie das Team erklärt.

Zu groß für das kosmologische Standardmodell

Damit gibt es nun schon zwei kosmische Großstrukturen, die den gängigen Modellen zur Materieverteilung im All widersprechen. „Unserem kosmologischen Standardmodell zufolge müsste Materie, in großem Maßstab betrachtet, gleichmäßig im Universum verteilt sein. Daher dürfte es keine Strukturen oberhalb einer bestimmten Größe geben“, sagt Lopez. Laut Berechnungen von Kosmologen liegt diese theoretische Größengrenze bei maximal 1,2 Milliarden Lichtjahren.

Anzeige

„Doch beide von uns entdeckten Großstrukturen sind weit größer: Der Giant Arc ist fast dreimal so groß und der Big Ring kommt zumindest in seinem Umfang fast an den Bogen heran“, sagt Lopez. „Von gängigen kosmologischen Theorien ausgehend sollten Strukturen dieses Ausmaßes gar nicht möglich sein. Und wenn, dann würden wir vielleicht eine dieser Strukturen im kompletten beobachtbaren Universum erwarten – wir haben aber nun schon zwei.“

Hinzu kommt, das Astronomen vor einigen Jahren einen rund fünf Milliarden Lichtjahre großen Ring aus Gammastrahlenquellen entdeckt haben. Er ist damit ebenfalls größer als es das kosmologische Standardmodell erlaubt.

Zwei Mega-Strukturen in enger Nachbarschaft

Noch überraschender ist die Tatsache, dass der neuentdeckte Riesenring und der Giant Arc im gleichen Himmelsbereich liegen. „Der Big Ring und der Giant Arc sind kosmische Nachbarn, was es noch faszinierender macht“, berichtet Lopez. Beide Großstrukturen sind etwa gleich alt und liegen am Himmel nur rund zwölf Winkelgrad voneinander entfernt. „Big Ring und Giant Arc liegen beiden nahe der Konstellation Boötes und sie existierten beide zu einer Zeit, als der Kosmos nur rund halb so alt war wie heute“, erklärt die Astronomin.

Schon einzeln sei schwer zu erklären, wie der Riesenring und der gigantische Bogen entstanden sind. „Zwei außergewöhnliche, ultra-große Strukturen in so enger Nachbarschaft zu finden, wirft die Frage auf, ob sie vielleicht sogar Teil eines einzigen, noch größeren Systems sind“, so Lopez. „Ihre extreme Größe, auffallende Form und kosmische Nähe könnten uns wichtige Informationen liefern – aber welche?“

Baryonische Akustische Oszillationen
Dichtewellen im Plasma des frühen Kosmos haben ringförmige Spuren in der Verteilung der Galaxien hinterlassen. © Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS), Zosia Rostomian/ LBNL

Relikt von Dichteschwingungen im frühen Kosmos?

Bisher können Astronomen nur darüber spekulieren, worum es sich bei den beiden Großstrukturen handelt und wie sie entstanden sind. Eine Hypothese wäre, dass der Big Ring und der Riesenbogen mit den sogenannten Baryonischen Akustischen Oszillationen (BAO) verknüpft sind. Dabei handelt es sich um die Relikte von Dichtewellen aus der Anfangszeit des Universums, die ringförmige Muster in der Materieverteilung hinterlassen haben. Auch eine erst kürzliche entdeckte Großstruktur im lokalen Universum könnte auf die BAO zurückgehen.

Das Merkwürdige nur: Die von den Baryonischen Oszillationen erzeugten Ringe haben typischerweise einen Radius von rund 500 Millionen Lichtjahren. „Der Big Ring passt damit nicht zur BAO: Er ist viel zu groß und bildet außerdem keinen geschlossenen Kreis“, berichtet Lopez. Denn auch wenn die Ringstruktur von uns aus gesehen kreisförmig erscheint, handelt es sich in Wirklichkeit um eine Spirale ähnlich einem Korkenzieher oder einer Sprungfeder, wie die Spektralanalysen enthüllten.

Zyklisches Universum und kosmische Strings

Andere mögliche Erklärungen beruhen auf Hypothesen wie der sogenannten Conformal Cyclic Cosmology (CCC) von Roger Penrose. Nach dieser war der Urknall nicht der Anfang von allem, sondern nur der Beginn eines neuen Zyklus des periodisch ausdehnenden und wieder kollabierenden Universums. Als ein Symptom dieses zyklischen Universums postulierte Penrose gigantische Ringe als Relikte der Hawking-Strahlung früherer supermassereicher Schwarzer Löcher.

Ebenfalls diskutiert werden Effekte sogenannter kosmischer Strings als Ursache für den Big Ring und Giant Arc. Bei diesen hypothetischen Gebilden soll es sich um extrem dünne, aber lange, fadenartige topologische Defekte im Raum handeln, die kurz nach dem Urknall durch die Aufspaltung der Grundkräfte entstanden sind. Durch ihre Gravitationswirkung sollen diese „Fäden“ auch die Bildung großräumiger Strukturen im Kosmos beeinflusst haben.

Es bleibt rätselhaft

Doch trotz aller Spekulationen: Bisher stellt die Existenz des Riesenrings und des Riesenbogens die Astronomen vor ein Rätsel. „Der Big Ring und der Giant Arc geben uns sowohl einzeln als auch zusammen ein großes kosmologisches Rätsel auf“, sagt Lopez. Dessen Lösung könnte aber wertvolle Einblicke in die Entwicklung des Kosmos und seine physikalischen Mechanismen geben. (243rd meeting of the American Astronomical Society (AAS), 2024; Video der AAS-Pressekonferenz)

Quelle: University of Central Lancashire

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Bücher zum Thema

Kosmologie für helle Köpfe - Die dunklen Seiten des Universums von Harald Lesch

Das Schicksal des Universums - Eine Reise vom Anfang zum Ende von Günther Hasinger

Kosmologie für Fußgänger - Eine Reise durch das Universum von Harald Lesch und Jörn Müller

Top-Clicks der Woche