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Astronomie

Vaterschaftstest für verwaiste Sterne

Astronomen identifizieren Geburtsort und Geschwister von ausgestoßenen Jungsternen

Milchstraße
Mithilfe von Daten des Weltraumteleskops Gaia haben Astronomen die Herkunft von verwaisten Jungsternen im Außenbereich der Milchstraße rekonstruiert. © ESA/ATG medialab; ESO/S. Brunier

Herkunft gesucht: Bisher war unklar, woher einige junge Riesensterne am Außenrand der Milchstraße stammen – vor Ort können sie nicht entstanden sein. Jetzt haben Astronomen die Herkunft und die stellare Familie von 15 dieser Ausreißer-Sterne gefunden. Der Abgleich von Flugbahn und stellaren Merkmalen verriet, dass diese Jungsterne einst in der Hauptscheibe der Galaxie entstanden, und auch, aus welchen Sternhaufen sie vor wenigen Millionen Jahren ausgeschleudert wurden.

Die meisten Sterne werden gemeinsam mit vielen andern in dichten Sternhaufen geboren. Doch durch Schwerkraft-Turbulenzen und Supernovae geraten einige dieser Sterne aus ihrer Bahn und verlassen ihren Ursprungsort. Auch unsere Sonne ist gewandert und wurde von ihren stellaren Geschwistern getrennt. In einigen Fällen jedoch bekommen die ausgeschleuderten Jungsterne so viel Schub, dass sie die Hauptebene der Milchstraße verlassen und weit über diese sogenannte „dünne Scheibe“ hinaus katapultiert werden.

Milchstraße
Die meisten Sterne werden in der dünnen inneren Scheibe der Milchstraße geboren, der Zone, in der auch die Spiralarme liegen. © NASA/ Ned Wright

Rätsel um junge Ausreißer-Sterne

„Heiße Jungsterne verlassen nur selten die dünne Scheibe der Milchstraße“, erklärt Brandon Schweers von der Lehigh University. „Wenn sie dies tun, fallen sie sofort auf – sie sind fehl am Platz.“ Denn in den Außenzonen über und unter der galaktischen Scheibe findet fast keine Sternbildung statt. Deshalb sind die meisten dortigen Sterne mehr als acht Milliarden Jahre alt. „Trotzdem finden wir dort auch eine kleine Zahl erst zehn bis 100 Millionen Jahre alter Sterne“, so der Astronom.

Doch woher diese Ausreißer-Sterne ursprünglich kamen, ließ sich bisher kaum ermitteln. Das hat sich nun geändert: Schweers und seine Kollegen haben einen „Vaterschaftstest“ für diese ausgestoßenen Jungsterne entwickelt, mit dem sie diese Sterne ihrem Herkunftshaufen zuordnen können. Möglich wurde dies dank der hochauflösenden Daten des europäischen Gaia-Weltraumteleskops, das Positionen, Bahnen und Bewegung von Millionen Sternen in der Milchstraße kartiert hat.

Stellare Flugbahnen
Rekonstruierte Flugbahnen von 95 Sternen aus den hohen Breiten unserer Milchstraße. © B. Schweers/ Lehigh University

Ein stellarer „Vaterschaftstest“

Für ihre stellare Herkunftssuche werteten die Astronomen die Gaia-Daten für 95 stellare „Ausreißer“ in den hohen Breiten der Milchstraße aus – und konnten damit die Flugbahn dieser Sterne zurückverfolgen. Parallel dazu analysierten sie die Bewegungen von 1.400 offenen Sternhaufen, die als mögliche Ursprungsorte in Frage kamen. Dabei prüften die Forschenden, ob sich die rekonstruierten Bahnen der Sterne und Haufen in den letzten rund 30 Millionen Jahren gekreuzt haben können.

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Dann folgte der zweite Schritt – der eigentliche „Vaterschaftstest“: Er beruht darauf, dass die gemeinsam in einem Sternhaufen entstandenen Sterne in Alter und Zusammensetzung meist übereinstimmen. Deshalb verglichen die Astronomen das Lichtspektrum der Ausreißer-Sterne mit dem ihrer potenziellen, noch in den Sternhaufen verbliebenen Geschwister. „Ich fühlte mich dabei, als wenn ich auf diese Weise die ‚DNA‘ der verwaisten Sterne mit der ihrer potenziellen Familie vergleiche“, sagt Schweers. „Deshalb habe ich das Verfahren ’stellarer Vaterschaftstest‘ getauft.“

Herkunftsort und Geschwister identifiziert

Und tatsächlich: In 15 Fällen war die Fahndung nach der „Familie“ der stellaren Waisen erfolgreich. Schweers und sein Team konnten diese ausgeschleuderten Jungsterne dem Sternhaufen zuordnen, in dem sie höchstwahrscheinlich einst geboren wurden. Wie das Team ermittelte, wurden diese Jungsterne vor fünf bis 30 Millionen aus diesen Haufen und aus der Hauptebene der Milchstraße hinauskatapultiert. Die Geschwindigkeit mit der sich diese Jungsterne seither bewegen – sie erreicht bis zu 220 Kilometer pro Sekunde – erlaubt zudem erste Rückschlüsse darauf, ob eine Rempelei oder eine Supernova schuld waren.

Interessant ist der stellare „Vaterschaftstest“ jedoch nicht nur, um das Schicksal einzelner Ausreißer-Sterne zu rekonstruieren: „Wenn wir sagen können, woher diese Sterne einst kamen, erfahren wir auch mehr über die Geschichte unserer Milchstraße“, erklärt Schweers Kollegin Virginia McSwain. So könnte dies seltene Fälle aufdecken, in denen diese Sterne doch vor Ort gebildet wurden oder aber sogar aus benachbarten Zwerggalaxien in unsere Galaxie geschleudert wurden. (243rd meeting of the American Astronomical Society (AAS), 2024).

Quelle: Lehigh University

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