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Astronomie

Rätsel der „unmöglichen“ Sterne gelöst

Massereiche Ausreißer-Sterne sind zu kurzlebig für ihre heutige Position

Milchstraße
Es gibt einige kurzlebige, massereiche Sterne, die weit außerhalb der Milchstraßenebene liegen. Doch eigentlich müssten sie ausgebrannt sein, bevor sie dorthin kamen. © Georgia State University

Mysteriöse Abweichler: In der Milchstraße gibt es einige massereiche Sterne, die „unmöglich“ weit von ihrem Geburtsort entfernt liegen – sie hätten ausbrennen müssen, lange bevor sie ihre heutige Position erreichten. Welches Geheimnis hinter diesen Rätselsternen steckt, könnten Astronomen nun entdeckt haben. Demnach gehen diese Sterne auf zwei masseärmere und daher langlebigere Vorgänger zurück. Erst nach ihrer Wanderung aus der galaktischen Ebene heraus verschmolzen sie zu einem schweren, aber kurzlebigen Riesen.

Je massereicher ein Stern ist, desto kürzer ist seine Lebenszeit. Während unsere Sonne immerhin rund zwölf Milliarden lang strahlt, bevor sie ausbrennt, bleiben einem zehnfach schwereren Stern nur rund 35 Millionen Jahre. Das bedeutet auch, dass solche stellaren Riesen wenig Zeit haben, um von ihrem Bildungsort in eine andere Region der Galaxie zu wandern. Die meisten massereichen Sterne in der Milchstraße liegen daher in den dichter besiedelten Gebieten der galaktischen Hauptebene.

„Reisezeit“ länger als die Lebenszeit

Doch es gibt Ausnahmen – und diese dürften eigentlich gar nicht existieren. Denn diese massereichen Sterne finden sich so weit außerhalb der galaktischen Scheibe, dass sie eigentlich ausgebrannt sein müssten, bevor sie diese Position erreichten. „Diese Sterne sind so weit von ihrem Ursprungsort entfernt, dass ihre Wanderung länger als ihre Lebenszeit gedauert hätte“, erklärt Erstautor Douglas Gies von der Georgia State University.

Wie aber kann das sein? Um das herauszufinden, haben Gies und sein Team einen dieser Rätselsterne näher untersucht. HD93521 liegt rund 3.200 Lichtjahre unterhalb der galaktischen Scheibe und hat etwa die 17-fache Sonnenmasse. Aus Spektralanalysen seines Lichts schließen Astronomen, dass dieser stellare Riese erst rund fünf Millionen Jahre alt sein kann. Er ist damit eigentlich viel zu jung, um aus einer galaktischen Sternenwiege so weit nach außen gelangt zu sein.

Um zu klären, woher der Stern kommt und wie das möglich ist, werteten die Astronomen Daten des europäischen Weltraumsatelliten Gaia zur Bewegung von HD93521 aus und verwendeten ein Modell, um die Flugbahn und mögliche Herkunft dieses Sterns zu rekonstruieren.

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Vom Sagittarius-Arm in den Halo

Das Ergebnis bestätigt das Paradox: Der Stern HD93521 ist in der Hauptebene der Milchstraße entstanden. Seine Wiege lag jenseits der Sonnenbahn im Sagittarius-Arm, wie das Team ermittelte. Ihren Berechnungen zufolge muss dieser Stern von dort aus bis zu seiner heutigen Position gut 39 Millionen Jahre gebraucht haben. „Dies bestätigt, dass es eine enorme Diskrepanz zwischen der scheinbaren Jugend dieses Sterns und seiner langen Reisezeit gibt“, konstatieren die Astronomen.

Verblüffend auch: Vor rund fünf Millionen Jahren – also eigentlich zum Zeitpunkt seiner Geburt – war dieser Stern sogar noch 300 Lichtjahre weiter von der Milchstraßenebene entfernt als heute, wie Gies und seine Kollegen ermittelten. Dennoch liefert die Zusammensetzung von HD93521 keinerlei Indizien dafür, dass dieser Stern womöglich doch im Halo der Galaxie gebildet wurde: Es gibt in seiner nahen und weiteren Umgebung keine Molekülwolken oder anderen Anzeichen einer Sternenwiege.

Doppelstern-Hülle
Diese Aufnahme des ALMA-Observatoriums zeigt die heißen Gase, die bei der beginnenden Verschmelzung eines anderen Doppelsterns freiwurden. (HD101584) © ALMA (ESO/NAOJ/NRAO), Olofsson et al. /CC-by-sa 4.0

Verschmelzung aus zwei Vorgängern?

Wie aber ist dies zu erklären? Nach Angaben der Astronomen ist ein Szenario dafür am wahrscheinlichsten: HD93521 muss das Ergebnis einer Verschmelzung zweier Vorläufersterne sein. „HD93521 begann seine Existenz wahrscheinlich als ein Doppelsystem aus zwei mittelschweren Sternen“, erklärt Gies. Dieses sich eng umkreisende Sternenpaar wurde in der Hauptscheibe der Milchstraße geboren, dann aber vor gut 39 Millionen Jahren durch Turbulenzen aus ihrem Ursprungsgebiet ausgeschleudert.

Gemeinsam rasten die beiden jeweils rund acht Sonnenmassen schweren Sterne aus der galaktischen Scheibe heraus in den Halo der Milchstraße. Vor rund fünf Millionen Jahren erreichte einer der beiden stellaren Partner dann das Ende seines Lebenszyklus und blähte sich so weit auf, dass er seinen Begleiter verschlang. Als Ergebnis dieser Verschmelzung entstand ein massereicher, kurzlebiger Sternenriese – HD93521.

Mögliche Erklärung auch für andere Riesensterne im Halo

„Die beobachteten Merkmale von HD93521 stimmen alle mit den Erwartungen für ein Verschmelzungsprodukt überein“, schreiben die Astronomen. Zu diesen Merkmalen gehören unter anderem die auffallend schnelle Rotation des Sterns und sein relativ starker Sternenwind. Gies und seine Kollegen halten es daher für sehr wahrscheinlich, dass der scheinbar unmögliche Ausreißerstern in Wirklichkeit auf zwei langlebigere, aber kleinere Vorgänger zurückgeht.

Dieses Szenario würde nicht nur das Rätsel um HD93521 lösen – es könnte auch einige der anderen massereichen Sterne im Außenbereich der Milchstraße erklären. „Die Verjüngung durch eine Interaktion im Doppelsystem könnte eine gemeinsame Erklärung für diese massereichen Sterne im Halo bieten“, so das Team. (The Astronomical Journal, 2022; doi: 10.3847/1538-3881/ac43be)

Quelle: Georgia State University

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