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Astronomie

Solare Eklipsen enthüllen variable Erdrotation

Byzantinische Sonnenfinsternisse klären historische Schwankungen der Erddrehung

Totale Sonnenfinsternis
Zeit und Ort vergangener Sonnenfinsternisse können einiges über die Erdrotation zu jener Zeit verraten. © karayuschij/ Getty images

Veränderliche Erddrehung: Historische Aufzeichnungen zu Sonnenfinsternissen werfen neues Licht darauf, wie stark die Erdrotation in vergangenen Jahrhunderten schwankte. Demnach drehte sich unser Planet vor rund 1.600 Jahren etwas schneller als gedacht, vor 1.400 Jahren war die Erdrotation hingegen langsamer als es gängige Modelle vorsehen. Indizien dafür liefern die Orte und Zeiten, an denen damals byzantinische Zeitzeugen eine totale Sonnenfinsternis beobachten konnten.

Die Rotation unseres Planeten gibt den Takt für unsere Zeitmessung und für den Tag-Nach-Rhythmus vor: Ein Tag dauert demnach 86.400 Sekunden – so lange braucht die Erde für eine Drehung um sich selbst – zumindest theoretisch. In der Praxis jedoch verändert sich die Erdrotation im Jahresverlauf, durch die Gezeitenkräfte, die Eisschmelze und andere Veränderungen des Schwerefelds. Um die Weltzeit an diese Schwankungen anzupassen, werden je nach Bedarf in einigen Jahren Schaltsekunden hinzugefügt oder abgezogen.

Messungen detektierten im Jahr 2020 beispielsweise eine Beschleunigung der Erdrotation – die Tage waren bis zu 1,46 Millisekunden kürzer als das Soll. 2021 ließ das Tempo zwar wieder nach, ist aber noch immer leicht über dem Richtwert.

Text
In diesem Text beschreibt der Gelehrte Marinus von Neapel eine totale Sonnenfinsternis am 14. Januar 484. Das Manuskript wird heute in der französchen Nationalbibliothek aufbewahrt.© Hayakawa et al. / Publications of the Astronomical Society of the Pacific, doi: 10.1088/1538-3873/ac6b56, CC-by 3.0

Was Sonnenfinsternisse über die Erddrehung verraten

Doch wie sah dies in früheren Jahrhunderten aus? Moderne Messverfahren der Erdrotation durch Teleskope und Lasermessgeräte gibt es erst seit der Neuzeit. Bei der Rekonstruktion der Erddrehung in länger zurückliegenden Zeiten sind Wissenschaftler daher auf indirekte Indikatoren angewiesen. Der wichtigste davon sind Sonnenfinsternisse. Bei einer solchen Eklipse ist die Sonne nur wenige Minuten lang verdunkelt und die komplette Verfinsterung – der Pfad der Totalität – wird nur in einem räumlich eng begrenzten Pfad auf der Erdoberfläche sichtbar.

Genau dies gibt Forschenden die Chance, anhand historischer Aufzeichnungen zum Timing und Ort vergangener Eklipsen auch die Erdrotation einzugrenzen. Denn mithilfe von Modellen lässt sich sehr genau bestimmen, wo und wann eine Sonnenfinsternis früher sichtbar war – sofern die Erde sich nach Plan gedreht hat. Wenn nun aber die historischen Überlieferungen Abweichungen aufzeigen, verrät dies, dass sich sie Erde damals schneller oder langsamer gedreht hat als sie sollte.

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Spurensuche in byzantinischen Aufzeichnungen

Für ihre Studie haben japanische Astronomen um Hisashi Hayakawa von der Universität Nagoya historische Aufzeichnungen zu fünf Sonnenfinsternissen in der Zeit vom 4. bis 7. Jahrhundert ausgewertet – einer Zeit, für die die Erdrotation bisher nur sehr grob bestimmt werden konnte. Das Team sammelte und analysierte dafür Texte aus dem byzantinischen Reich, das sich damals über den gesamten östlichen Mittelmeerraum erstreckte. Konkret suchten sie nach Bezügen auf Eklipsen, die im Jahr 346, 418, 484, 601 und 693 in dieser Region sichtbar gewesen sein müssen.

„Für jeden Fall analysierten wir die historischen Quellenteste um die verlässlichsten Berichte zu identifizieren“, beschreiben die Forscher ihr Vorgehen. „Aus diesen Dokumenten entnahmen wir dann die Zeiten und Orte der berichteten Sonnenfinsternisse, überprüften die Totalität anhand von Beschreibungen der während der Verfinsterung sichtbaren Sterne und glichen die Beobachtungsdaten mit Modellen ab.“

Finsternispfad
Nach gängigem Modell lag Konstantinopel bei der Finsternis im Juli 418 außerhalb des Pfads der Totalität (links). Rechts die auf Basis der historischen Zeugnisse angepasste Version. © Hayakawa et al. / Publications of the Astronomical Society of the Pacific, doi: 10.1088/1538-3873/ac6b56,

Daten zeigen Abweichungen vom Modell

Tatsächlich gelang es dem Team, für alle fünf Sonnenfinsternisse genügend Beschreibungen zu finden, um daraus auf die damalige Rotationsperiode der Erde schließen zu können. „Unsere neuen Delta-T-Daten füllen damit eine beträchtliche Lücke und deuten darauf hin, dass die Werte für das fünfte Jahrhundert nach oben korrigiert werden müssen, während die für das sechste und siebte Jahrhundert nach unten angeglichen werden müssen“, berichtet Koautor Koji Murata von der Universität von Tsukuba.

So beschreibt ein historischer Test aus dem fünften Jahrhundert beispielsweise, dass am 19. Juli 418 in Konstantinopel am helllichten Tag Sterne am Himmel zu sehen waren. Die Stadt muss bei dieser Sonnenfinsternis demnach im Pfad der Totalität gelegen haben. Geht man jedoch vom bisherigen Modell für die Erdrotation zu jener Zeit aus, hätte Konstantinopel knapp außerhalb des Finsternispfads gelegen, wie die Astronomen erklären. Das Modell muss demnach möglicherweise angepasst werden.

„Damit verbessern diese neuen Daten unser Verständnis der variablen Rotation unserer Erde in früheren Jahrhunderten“, schreiben Hayakawa und sein Team. „Damit liefern sie auch Informationen zu geophysikalischen Hintergründen wie der langzeit-Variabilität des Meeresspiegels, der globalen Eisvolumen und der Kern-Mantel-Kopplung.“ Denn all diese Faktoren können die Erdrotation beeinflussen. (Publications of the Astronomical Society of the Pacific, 2022; doi: 10.1088/1538-3873/ac6b56)

Quelle: University of Tsukuba

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