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Erdgeschichte

Urzeit-Meerwasser im Himalaya

600 Millionen Jahre alte Wassereinschlüsse geben Einblick in Umbruchszeit der Erdgeschichte

Urerde und Wassereinschlüsse
Vor rund 600 Millionen Jahren erholte sich die Erde gerade von einer globalen Eiszeit und die Kontinente waren rund um den Südpol konzentriert. Aus dieser Zeit stammen die im Himalaya entdeckten Wassereinschlüsse in Magnetsit. © Kelvin Ma/ CC-by-sa 3.0; Prakash Chandra Arya

Zeitkapsel des Urozeans: In einer Kalksteinformation des indischen Himalaya haben Forscher Einschlüsse mit 600 Millionen Jahre alten Wasserresten entdeckt – Relikte des damals in dieser Region liegenden Urmeeres. Die Analysen des Urzeitwassers und der umgebenden Minerale geben Einblick in eine Umbruchszeit der Erdgeschichte. Denn zu jener Zeit endete die „Schneeball Erde“-Kälteperiode und die Atmosphäre erlebte eine zweite große Sauerstoffanreicherung. Dies schuf die Voraussetzung für die rasante Entwicklung erster mehrzelliger Lebensformen.

Vor 720 bis 635 Millionen Jahren durchlebte die Erde eine Reihe ausgedehnter, möglicherweise sogar globaler Vereisungen – diese Eiszeitphasen des Cryogeniums sind auch als Schneeball Erde bekannt. Als das Klima anschließend wieder wärmer wurde, bahnte sich ein bedeutender Wandel an: Die Erdatmosphäre erhielt einen zweiten großen Sauerstoffschub und dies schuf die Voraussetzungen für die Entstehung der ersten Mehrzeller – die Lebenswelt des Ediacariums.

Magnesit-Formation
Neoproterozoische Magnesit-Formation nahe der Chandak Hills im Kumaun-Himalaya. © Prakash Chandra Arya

Vom Urmeer in den Himalaya

Doch was verursachte den zweiten großen Sauerstoffschub unseres Planeten? Hinweise darauf könnten nun winzige Einschlüsse urzeitlichen Meerwassers in Kalkmineralen aus jener Zeit liefern. Entdeckt hat sie ein Team um Prakash Chandra Arya vom Indischen Institut für Wissenschaften in Bengaluru in einer Region, die heute weit von jedem Meer entfernt liegt – im Kumau-Himalaya. Dieser Teil des Gebirges liegt im äußersten Norden Indiens und grenzt an Nepal.

In diesem Teil des Himalaya treten dicke Gesteinsformationen aus Kalkstein und Dolomit zutage, die rund 650 bis 543 Millionen Jahre alt sind und damit genau aus der Umbruchszeit des Neoproterozoikums stammen. Die Karbonatschichten zeugen davon, dass in dieser Region einst ein Ozean lag. Noch wichtiger jedoch: „Karbonate, die häufigsten marinen Sedimentgesteine, sind meistens zu feinkörnig, um Einschlüsse des Paläoozeans aufzuweisen, aber der Himalaya-Magnesit ist eine seltene Ausnahme“, erklären Arya und seine Kollegen.

Zeitkapsel des Urzeit-Ozeans

Als die Geologen Proben des Magnesits (MgCO3) aus dem Himalaya untersuchten, entdeckten sie winzige Einschlüsse urzeitlichen Wassers. Nähere Analysen der Einschlüsse und der umgebenden Minerale enthüllten, dass dieses Wasser schon rund 600 Millionen Jahre alt ist. Es muss aus einem Becken des damals an dieser Stelle liegen Proto-Tethysmeer stammen. „Damit haben wir eine Zeitkapsel des Urzeit-Ozeans gefunden“, sagt Arya.

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Diese urzeitlichen Meerwasser-Einschlüsse liefern wertvolle Einblicke in die Meeresbedingungen am Ende der großen „Schneeball“-Vereisung. So enthüllen die Analysen, dass der Himalaya-Kalkstein viel Magnesium, aber kaum Calcium enthält. „Eine so chemische reine Magnesit-Ausfällung war nur dann möglich, wenn der Calcium-Eintrag und andere von den Landflächen stammende Verunreinigungen wie beispielsweise Ton und Quarz lange Zeit unterbrochen waren – beispielsweise, weil die Flüsse gefroren waren“, erklären die Forschenden.

Calcium- und nährstoffarm

Analysen des urzeitlichen Meerwassers bestätigten dies: „Tropfen von neoproterozoischem Ozeanwasser und Gletscherwasser in dem kristallinen Magnesit zeigen, dass die Sedimentbecken während der Schneeball-Erde-Phase für längere Zeit an Calcium verarmt waren, weil wenig Verwitterungsprodukte eingeschwemmt wurden“, so Arya und sein Team.

Die Zusammensetzung von Urzeitmeer und Mineralen liefert auch erste Hinweise darauf, wie die Lebenswelt in diesem Meeresbecken aussah. Denn der geringe Calciumgehalt und das Fehlen größerer Einträge vom Land machte das Wasser in diesem Meeresbecken sehr nährstoffarm. Doch das machte zumindest einigen Meeresbewohnern nicht viel aus: „Die langsam wachsenden Stromatolithe der Photosynthese betreibenden Cyanobakterien wären in solchen oligotrophen Bedingungen gut gediehen“, erklären die Geologen.

Cyanobakterien-Matten als Sauerstoffbringer

Nach Ansicht von Arya und seinen Kollegen könnte dies erklären, woher der Sauerstoffschub nach Ende der Schneeball-Erde-Phase kam: Die Bedingungen in den Flachwasserzonen des damaligen Urzeitmeers förderten das Wachstum von Cyanobakterien, die wiederum immer mehr Sauerstoff produzierten. „Das könnte den neoproterozoischen Sauerstoffschub ausgelöst haben“, sagt Arya. „Und wenn es einen Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre gibt, dann folgt meist auch eine biologische Entwicklung.“

Die im Urzeit-Meerwasser und dem Himalaya-Magnesit konservierten Bedingungen könnten demnach die Bühne für den Sauerstoffschub bereitet haben, der die Evolution der ersten Mehrzeller und die reiche Lebenswelt des Ediacariums ermöglichte. (Precambrian Research, 2023; doi: 10.1016/j.precamres.2023.107129)

Quelle: Indian Institute of Science

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