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Geowissen

Arktischer Ozean war einst süß statt salzig

Nordpolarmeer war in mindestens zwei Eiszeiten komplett mit Süßwasser gefüllt

Arktischer Ozean
Landbrücken und auf unterseeischen Rücken aufliegende Schelfeise trennten einst den arktischen Ozean von den anderen Meeren. © Alfred-Wegener-Institut/ Martin Künsting

Überraschende Entdeckung: Der arktische Ozean war in den letzten 150.000 Jahren mehrfach komplett mit Süßwasser gefüllt – möglicherweise auch in der letzten Eiszeit. Darauf deuten Isotopenanalysen von Sedimentbohrkernen aus dem Nordmeer hin. Möglich wurde diese Aussüßung, weil die Meeresspiegel während der Eiszeiten tiefer lagen. Dadurch lag die Beringstraße trocken und Schelfeise blockierten die Schwelle zum Nordatlantik, wie Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.

Der arktische Ozean ist ein zentraler Akteur im Klimasystem, gleichzeitig aber kam erforscht. So wurde erst kürzlich eine hochpräzise Karte des arktischen Meeresgrunds erstellt und die MOSAiC-Expedition hat bei ihrer einjährigen Drift erstmals Daten auch aus der winterlichen Nordpolregion gesammelt.

Nordpolarmeer
Heute ist der arktische Ozean ein normal salziges Meer. Doch wie war dies früher? © Justinreznick/ iStock.com

Noch weniger aber weiß man darüber, wie der arktische Ozean früher aussah. Zwar legen alte Gletscherschrammen an unterseeischen Erhebungen nahe, dass auch das Nordpolarmeer während der Eiszeiten von mächtigen Eisschilden bedeckt war. Doch wie ausgedehnt diese Schelfeise waren und ob sie das gesamte arktische Meeresbecken überzogen, ist strittig. Auch über die Zusammensetzung des Meerwassers in den Kaltzeiten wusste man bislang nicht viel.

Thorium-Isotop als Salzanzeiger

Mehr Aufschluss liefern nun Sedimentbohrkerne aus dem arktischen Ozean und den angrenzenden Meeren. Sie enthalten Ablagerungen der letzten 150.000 Jahre und umfassen damit die Saale-Eiszeit vor 150.000 bis 130.000 Jahren, die Weichsel-Eiszeit vor 70.000 bis 60.000 Jahren und die letzte, vor rund 12.000 zu Ende gegangene Eiszeit. Wie es in diesen Kaltzeiten mit der Eisbedeckung und dem Salzgehalt des arktischen Meeres aussah, haben Forscher um Walter Geibert vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven anhand von Isotopenanalysen der Sedimentkerne ermittelt.

„Im salzhaltigen Meerwasser entsteht durch den Zerfall von natürlichem Uran immer das Isotop Thorium-230″, erläutert Geibert. „Es lagert sich am Meeresboden ab und ist dort wegen seiner Halbwertzeit von 75.000 Jahren auch für sehr lange Zeit nachweisbar.“ Aus früheren Studien weiß man zudem, dass der Urangehalt des Meerwassers – und damit auch sein Zerfall zu Thorium-230 – proportional zum Salzgehalt und zur Menge des Salzwassers abnimmt.

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Dickes Eis und Wasser ohne Salz

Das Überraschende jedoch: Die Analysen ergaben, dass sich in zwei Zeitabschnitten gar kein Thorium-230 im arktischen Ozeanbecken abgelagert hatte. Sowohl in der Saale- als auch in der Weichsel-Eiszeit fehlte dieses für Meerwasser eigentlich typische Signal.

Die Forscher ziehen daraus und aus weiteren geochemischen Daten zwei Schlussfolgerungen: Zum einen muss das Nordpolarmeer in diesen Eiszeiten von mehr als 900 Meter dickem Schelfeis bedeckt gewesen ein. Zum anderen kann das Wasser im arktischen Ozean damals nicht salzig gewesen sein: „Die einzig plausible Erklärung ist unseres Wissens nach, dass der arktische Ozean zweimal in seiner jüngeren Geschichte nur mit Süßwasser gefüllt war – in flüssiger und in gefrorener Form“, sagt Geiberts Kollegin Jutta Wollenburg.

Süßwassersee statt salziges Meer

Das bedeutet: Dort, wo heute ein salziges Meer das gewaltige Becken rund um den Nordpol bedeckt, gab es damals einen riesigen, eisbedeckten Süßwassersee. Diese Aussüßung könnte zudem nicht nur während der Saale- und Weichsel-Eiszeit stattgefunden haben, sondern vielleicht sogar auch auf dem Höhepunkt der jüngsten, nur rund 15.000 Jahre zurückliegenden Eiszeit, wie die Forscher erklären.

„Mit diesen Ergebnissen stellen wir die bislang geltende Vorstellung von der Geschichte des arktischen Ozeans im Eiszeitklima auf den Kopf“, sagt Geibert. „Unseres Wissens nach ist bislang niemand auf die Idee gekommen, dass der arktische Ozean und das europäische Nordmeer in dieser Zeit phasenweise nur Eis und Süßwasser enthielten – und das nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal.“

Zwar hat ein AWI-Team schon 2017 nachgewiesen, dass das Nordpolarmeer auch vor mehr als 36 Millionen Jahren schon einmal ein Süßwassersee war. Dass dieser urzeitliche Zustand aber seither sogar noch mehrfach vorgekommen ist, ist neu.

Ablauf
Abfolge der Ereignisse: Erst wurde das Nordpolarmeer süß (1), dann schwappte Süßwasser über die Barrieren (2). Und schließlich tauten die Eisbarrieren ganz ab (3) und der Wasseraustausch normalisierte sich.© Alfred-Wegener-Institut/ Martin Künsting

Landbrücken und Eisbarrieren als Blockaden

Doch wie konnte das Nordpolarmeer damals zum Süßwassersee werden? Immerhin ist das arktische Becken über mehrere Wasserstraßen mit dem Nordatlantik und dem Pazifischen Ozean verbunden – für genug Wasseraustausch ist daher eigentlich gesorgt. „Ein solches Szenario ist denkbar, wenn wir davon ausgehen, dass der globale Meeresspiegel während der Eiszeiten bis zu 130 Meter tiefer lag als heute“, erklärt Koautor Rüdiger Stein vom MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen.

Dadurch war die Beringstraße damals durch eine Landbrücke versperrt und auch das Gebiet zwischen Grönland und Kanada war trockengefallen. Zum europäischen Nordmeer hin erschwerte eine weitere Barriere den Wasseraustausch: Der unterseeische Gebirgsrücken zwischen Grönland und Schottland reichte wahrscheinlich bis knapp unter die Wasseroberfläche. Die arktischen Schelfeise liefen dort auf Grund und blockierten einen großen Teil des Durchstroms.

Ausgesüßt innerhalb von nur 8.000 Jahren

Hinzu kommt: Über fließende Gletscher, die sommerliche Eisschmelze und nach Norden verlaufende Flüsse strömten damals mindestens 1.200 Kubikkilometer Süßwasser pro Jahr ins Nordpolarmeer. Dadurch füllte sich das arktische Becken immer mehr. An den wenigen noch offenen Stellen im Grönland-Schottland-Rücken strömte dieses überschüssige Süßwasser daher mit hohem Druck ins europäische Nordmeer und den Atlantik aus.

„Dieser turbulente Gegenstrom könnte verhindert haben, dass salziges Wasser aus dem Atlantik an diesen Stellen in den arktischen Ozean eindrang“, erklären die Forscher. Diese Blockade des Wasseraustauschs, kombiniert mit dem Einstrom von Schmelzwasser und Flusswasser ins Nordpolarmehr, reichte wahrscheinlich aus, um das gesamte Meer innerhalb von 8.000 Jahren komplett auszusüßen.

Süßwasserschwemme mit Klimaeffekt

Die Süßwasser-Phasen des arktischen Ozeans endeten erst wieder, als das Eis abschmolz und die eisigen Barrieren am Grönland-Schottland-Rücken wieder durchlässig wurden. „Sowie dieser Mechanismus der Eisbarrieren versagte, konnte das schwere Salzwasser wieder in den arktischen Ozean eindringen“, erklärt Geibert. Dieses schwerere Salzwasser sank ab und drängte das leichtere, weniger dichte Süßwasser an die Meeresoberfläche.

Als dann die Barriere zum Nordatlantik endgültig wegfiel, ergoss sich vor allem dieses Süßwasser über die Kante des Grönland-Schottland-Rückens. Dadurch könnte es gegen Ende der Eiszeiten immer wieder zu enormen Süßwasserschüben in den Atlantik gekommen sein – mit entsprechenden Klimafolgen: In Grönland stieg die Temperatur in dieser Zeit mehrfach innerhalb weniger Jahre um acht bis zehn Grad.

„Ein plötzlicher Ausstrom arktischen Süßwassers wurde auch schon mit der Abkühlung in der jüngeren Dryas in Verbindung gebracht“, erklären Geibert und sein Team. Zwar postulieren einige Wissenschaftler einen Meteoriteneinschlag als Erklärung für diesen Kälteeinbruch vor rund 12.900 Jahren. Diese Hypothese ist aber stark umstritten.

Neubewertung des arktischen Ozeans und seiner Geschichte

Nach Ansicht von Geibert und seinem Team demonstrieren ihre Ergebnisse aber vor allem, dass der arktische Ozean eine weit wechselvollere und einflussreichere Geschichte hatte als lange angenommen. „Wir sehen hier, dass es auch in der jüngeren Erdgeschichte entscheidende Kipppunkte des Erdsystems rund um die Arktis gab“, sagt Geibert. Das sei auch im Zuge des Klimawandels wichtig zu wissen.

Ähnlich sieht es die US-amerikanische Paläoozeanographin Sharon Hoffman. In einem begleitenden Kommentar in „Nature“ schreibt sie: „Der innovative Einsatz von Thorium-230 durch Geibert und seine Kollegen könnte nun eine Neubewertung dessen anstoßen, was im arktischen Ozean alles möglich ist und wie dramatisch sich diese Region verändern kann.“ (Nature, 2021; doi: 10.1038/s41586-021-03186-y)

Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)

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