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Klima

Als Europa menschenleer wurde

Kaltzeit vor 1,1 Millionen Jahren könnte die ersten Frühmenschen aus Europa vertrieben haben

Europa und Homo antecessor
Die ersten Frühmenschen kamen schon vor mehr als 1,4 Millionen Jahren nach Europa. Doch sie konnten sich nicht halten, wie neue Klimadaten nahelegen. © titoOnz, Creativemarc / Getty images

Unbewohnbar: Vor rund 1,1 Millionen Jahren könnte eine heftige Kaltzeit nahezu alle Frühmenschen aus Europa vertrieben haben, wie eine Studie enthüllt. Demnach kühlte damals selbst der Mittelmeerraum so stark ab, dass sich dort unwirtliche Kältesteppen ausbreiteten. Für die damaligen Hominiden war Europa dadurch zehntausende Jahre lang fast unbewohnbar – auch, weil sie noch kein Feuer, keine warme Kleidung oder Unterkünfte hatten. Erst vor rund 900.000 Jahren wanderten dann die Vorfahren der Neandertaler ein, wie Forschende in „Science“ berichten.

Lange bevor der Homo sapiens nach Europa kam, lebten in dort schon frühe Menschenformen. Diese Vorfahren der Neandertaler entwickelten sich in Eurasien aus dem Homo erectus und anderen archaischen Menschenformen und wanderten dann nach Europa ein. Aber wann? Fossilfunde aus dem georgischen Dmanisi belegen, dass erste Vertreter unserer Gattung schon vor 1,8 Millionen Jahren den Kaukasus erreicht hatten. In Italien und Spanien sind die ältesten Funde 1,5 und 1,4 Millionen Jahre alt.

FRühmenschen
Vor dem Neandertaler wanderten Frühmenschen der Spezies Homo erectus und Homo antecessor nach Europa ein. © Creativemarc / Getty images

„Wir wissen allerdings nicht, zu welcher Homo-Art diese frühen Einwanderer gehörten“, sagt Koautor Chris Stringer vom Natural History Museum in London.

Klimatische Spurensuche in der „Lücke“

Ebenfalls ungeklärt ist, wie es mit diesen ersten Europäern weiterging. Denn in den Fossilfunden klafft eine große Lücke: Die nächsten europäischen Fossilfunde – Schädelfragmente des Homo antecessor – stammen erst wieder aus der Zeit vor rund 850.000 Jahren. Aber warum? Sind aus der Zwischenzeit einfach nur noch keine Fossilien gefunden worden? Oder steckt möglicherweise mehr dahinter? Dieser Frage ist nun ein Forschungsteam um Stringer und Erstautorin Vasiliki Margari vom University College London nachgegangen.

Die Forschenden haben untersucht, welches Klima in Europa während der Fossillücke zwischen 1,4 und rund einer Million Jahren herrschte. Nach gängiger Annahme gab es damals einen Wechsel zwischen eher milden, nur gemäßigt kühlen Kaltzeiten und warmen Zwischeneiszeiten mit Temperaturen ähnlich den heutigen. Eine erste größere Vereisung ereignete sich erst nach dieser Zeit. Daher hätten die ersten Frühmenschen zumindest im Mittelmeerraum noch genügend klimatisch geeignete Refugien haben müssen – so die bisherige Annahme.

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Kälteeinbruch machte Europa zur eisigen Halbwüste

Doch die neuen Daten zeichnen ein anderes Bild: „Zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, dass es schon vor rund 1,1 Millionen Jahren eine Kaltzeit gab, die mit einigen der harschesten Phasen der letzten Eiszeiten vergleichbar war“, sagt Margari. Ein vor der Küste von Portugal entnommener Sedimentbohrkern zeigt für diese Zeit isotopische und fossile Veränderungen, die auf einen starken Einstrom von Meerwasser aus arktischen Breiten vor 1,15 Millionen Jahren hindeuten. Dadurch sanken die Temperaturen der oberen Meeresschichten vor der Küste Portugals auf nur noch sechs Grad ab.

An Land verursachte der Kälteeinbruch einen Rückgang der zuvor üppigen Vegetation: Wälder verschwanden und eine karge Kältesteppe breitete sich aus. Die in den Bohrkernen konservierten Pollen belegen, dass die Pflanzendecke selbst auf der iberischen Halbinsel und im Mittelmeerraum ausgedünnt war – nur noch wenige robuste Gräser überdauerten. „Der nordatlantische Kälteeinbruch verwandelte die Vegetation Westeuropas in eine unwirtliche Halbwüsten-Landschaft“, berichtet Margari. Vermehrte Gletschersedimente im Bohrkern deuten zudem auf eine zunehmende Vereisung des Kontinents hin.

Kaltzeit
Eine Kaltzeit vor gut 1,1 Millionen Jahren machte Europa für die damals dort lebenden Frühmenschen weitgehend unbewohnbar. Rötlich eingefärbt sind nicht vereiste Gebiete, in denen Kälte und Trockenheit die Nahrungsressourcen stark dezimierten. © Institute for Basic Science

Konnten die Frühmenschen dies überleben?

Entgegen bisherigen Annahmen erlebte Europa demnach schon vor rund 1,1 Millionen Jahren eine heftige Kaltzeit mit starker Vereisung. Diese Kaltphase hielt zudem ungewöhnlich lange an: Die auch als Marine Isotope Stage (MIS) 34 bezeichnete Periode zunehmend kälterer Klimakapriolen dauerte rund 31.000 Jahre – deutlich länger als frühere Kaltzeiten dieser Ära. Nach Ansicht der Forschenden könnte dies die Ausbreitung der Gletscher über Europa noch mehr gefördert haben.

Was aber bedeutete dies für die ersten Frühmenschen in Europa? „Die anhaltende Klima-Instabilität im MIS 34 war für die damalige Homininen-Population eine erhebliche Belastung“, konstatieren Margari und ihr Team. Um herauszufinden, ob die ersten Europäer dennoch überlebt haben könnten, speisten Margari und ihr Team ihre Daten in ein Klimamodell ein, das die Auswirkungen des Kälteeinbruchs auf Temperaturen und Vegetation mit den Toleranzgrenzen früher Menschen und ihrer damaligen Verbreitung verknüpfte.

Menschenleeres Europa

Das Ergebnis: Der Kälteeinbruch vor 1,1 Millionen Jahren machte Europa für diese frühen Menschen weitgehend unbewohnbar – selbst am Mittelmeer. „Die Klimabedingungen entfernten sich damals weit von der bevorzugten Klimanische der frühen europäischen Homininen“, berichten die Forschenden. Hinzu kommt: Anders als später der Neandertaler besaßen diese Frühmenschen wahrscheinlich noch nicht das Wissen und die Fähigkeiten, um Feuer zu machen, sich warme Kleidung zu fertigen oder schützende Unterkünftige zu bauen.

„Unsere Entdeckung einer extremen eiszeitlichen Kaltphase vor rund 1,1 Millionen Jahren widerspricht damit der Annahme einer kontinuierlichen Besiedlung Europas schon durch diese frühen Menschen“, sagt Seniorautor Chronis Tzedakis vom University College London. Anders ausgedrückt: Die Frühmenschen, die vor etwa 1,5 Millionen Jahren aus Eurasien nach Südeuropa einwanderten, konnten sich dort wahrscheinlich nicht lange halten. Während des Kälteeinbruchs starben diese Populationen wieder aus oder wurden vertrieben.

Die Rückkehr

Das aber bedeutet: Die Kaltzeit vor 1,1 Millionen Jahren entvölkerte den gerade erst besiedelten Kontinent wieder. Mehrere hunderttausend Jahre lang könnte Europa weitgehend menschenleer gewesen sein. Dies könnte auch erklären, warum aus dieser Zeit bisher keine menschlichen Fossilien in Europa gefunden wurden. „Unserem Szenario zufolge wurde Europa erst vor rund 900.000 Jahren wieder rekolonisiert“, erklärt Stringer. Die dann erneut aus Eurasien einwandernden Frühmenschen – möglicherweise der Spezies Homo antecessor – waren jedoch schon weiterentwickelt.

„Als die Menschen nach Europa zurückkehrten, waren sie eine resilientere Spezies“, sagt Stringer. Anders als ihre Vorgänger verfügten sie über Fähigkeiten, die ihnen das Überleben selbst in den folgenden Kaltzeiten ermöglichten. Die Besiedlung Europas durch die Vorfahren der Neandertaler erfolgte demnach wahrscheinlich über mindestens einen „Fehlstart“. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adf4445)

Quelle: University College London, Institute of Basic Science

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