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Biologie

Riesenviren verblüffen Forscher

Im Waldboden entdeckte Virengiganten zeigen nie zuvor gesehene Formen

Neue Riesenviren
Diese neuartigen und überraschend vielgestaltigen Riesenviren haben Forschende in einem US-Waldboden entdeckt. © Fischer et al./ bioRxiv, CC-by-nc-nd 4.0

Überraschender Fund: Biologen haben im Waldboden eine erstaunliche Fülle neuartiger Riesenviren entdeckt. Die fast bakteriengroßen Viren verblüffen durch nie zuvor gesehene Formen: Einige sind sternförmig, andere ähneln eher Schildkröten oder tragen lange röhrenförmige Anhänge. Welche Funktion diese verschiedenen Formen und Anhänge haben, ist unklar. Ihre Vielfalt wirft aber ein ganz neues Licht auf den Variantenreichtum dieser Giganten der Virosphäre, wie das Team berichtet.

Riesenviren widersprechen fast allen gängigen Vorstellungen über Viren. Denn die erst vor wenigen Jahren entdeckten Mimiviren, Megaviren, Pandoraviren oder Klosneuviren sind fast so groß wie Bakterien, haben ein ungewöhnlich umfangreiches Genom und einige Riesenviren besitzen sogar fast den gesamten Apparat, mit dem zelluläre Organismen ihre Proteine herstellen. Damit lassen diese viralen Giganten die Grenze zwischen Viren und echten Lebewesen verschwimmen. Bisher wurden solche Riesenviren vor allem in wasserlebenden Amöben oder Algen entdeckt.

Fahndung nach Riesenviren im Waldboden

Jetzt haben Forschende gleich einen ganzen Schwung neuer Riesenviren mit teils bizarrem Aussehen entdeckt – in einem Waldboden an der US-Ostküste. Matthias Fischer vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und seine Kollegen hatten für ihre Studie mehrere Bodenproben in einem Waldstück nahe Harvard entnommen. Dort hatten frühere DNA-Analysen bereits Hinweise auf die Präsenz von Riesenviren im Boden ergeben. „Diese Analysen enthüllten 16 neue Genome von Riesenviren, darunter ein Mimivirus mit einem 2,4 Milliarden Basenpaaren langen Erbgut“, berichtet das Team.

Ziel war es nun, diese Riesenviren und ihr Aussehen direkt zu beobachten. Dafür untersuchten Fischer und sein Team die in Wasser aufgeschwemmten Bodenproben mit einem Transmissionselektronenmikroskop. Um die gesuchten Viren von anderen Objekten wie Bakterien oder Zellresten zu unterscheiden, orientierten sich die Forschenden an der typisch eckigen Form des viralen Kapsids – der Proteinkapsel, die das Virenerbgut einschließt.

„Wir sind ziemlich sicher, dass Partikel mit fünfeckigen oder sechseckigen Querschnitten virale Kapside repräsentieren, vor allen, wenn regelmäßige Oberflächenstrukturen auf die Präsenz von Kapsomeren hindeuten“, erklären die Wissenschaftler. Kapsomere sind die Proteineinheiten, die das Kapsid bilden.

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Morphotypen von Riesenviren
Beispiele für Riesenviren-Morphotypen: Mimivirus-artig (a), Supernova-Typ (b), Haarschnitt-Typ (c), Schildkrötentyp (d), Klempner-Typ (e) und Weihnachtsstern (f). © Fischer et al./ bioRxiv, CC-by-nc-nd 4.0

Überraschende Formenvielfalt

Tatsächlich wurden die Forschenden fündig – und dies in unerwarteter Fülle. „Erstaunlicherweise fanden wir in nur wenigen hundert Gramm Waldboden eine größere Vielfalt von viralen Kapsid-Morphotypen als bei allen bisher bekannten Riesenviren zusammen“, berichten Fischer und seine Kollegen. Anhand ihrer Aufnahmen identifizierten sie mindestens 350 Riesenviren zwischen 220 und 1.200 Nanometer Durchmesser. Darunter waren ovale und eckige Formen, die sich bekannten Riesenviren-Typen wie dem Kosneuvirus, dem Tupanvirus oder dem Pandoravirus zuordnen ließen.

„Zu unserer Überraschung entdeckten wir aber bei vielen Kapsiden strukturelle Modifikationen, die noch nie zuvor beschrieben worden sind“, berichtet das Team. „Die isometrischen viralen Partikel zeigten oft Schwänze und modifizierte Ecken, doppelte Kapsidschichten, interne Strukturen oder röhrenförmige Anhänge.“ Bei vielen dieser Riesenviren waren die Proteinkapseln von ganz unterschiedlich geformten faserigen Anhängen bedeckt.

Supernova, Schildkröten und Gorgonen

Eine der zuvor unbekannten Riesenviren-Formen ist der „Supernova“-Typ: Diese Riesenviren bestehen aus einer inneren, eckigen Kapsel mit einer runden äußeren Kapsidhülle, von der zahlreiche, rund 135 Nanometer lange, regelmäßig angeordnete Fäden ausgehen. Dadurch ähneln diese Riesenviren winzigen Sternchen oder Sonnen. Der „Haarschnitt“-Typ sieht ähnlich aus, hat aber asymmetrisch verteilte Faseranhänge, wie Fischer und sein Team berichten.

Noch ungewöhnlicher ist der „Schildkröten“-Typ: Bei diesen Riesenviren ragen relativ große, lappenförmige Anhänge aus der Kapsid-Oberfläche heraus. „Unter den ungewöhnlichsten Riesenvirus-ähnlichen Partikeln war jedoch der ‚Gorgonen‘-Morphotyp mit seinen langen röhrenförmigen Anhängen“, schreiben die Forschenden. Diese 500 bis 650 Nanometer langen, geraden Röhrchen gingen jeweils von den Ecken des viralen Kapsids aus und hatten am Ende eine Öffnung.

Gorgonen-Typ
Neuentdecktes Riesenvirus vom Gorgonen-Typ. Auffällig sind die langen, röhrenartigen Fortsätze an den Kapsid-Ecken. © Fischer et al./ bioRxiv, CC-by-nc-nd 4.0

Neue Sicht auf die Virosphäre

Nach Ansicht der Forschenden werden diese Funde ein ganz neues Licht auf die Vielfalt der viralen Baupläne. „Das Füllhorn viraler Morphotypen stellt unsere gängige Vorstellung von der Virosphäre und ihrer strukturellen Heterogenität in Frage“, schreiben sie. „Unsere Beobachtungen sind umso erstaunlicher, wen man bedenkt, dass wir mit unseren Aufnahmen nur einen winzig kleinen Teil der viralen Diversität in diesen Proben erfasst haben.“

Wie viele Riesenviren es insgesamt im beprobten Waldboden gab, konnten Fischer und sein Team mit ihrer Methodik nicht ermitteln. Dennoch gehen sie angesichts der von ihnen entdeckten Fülle von einer relativ hohen Dichte aus. „Schon die Tatsache, dass wir einige dieser Riesenvirus-Morphotypen mehrfach fanden, deutet darauf hin, dass sie in diesen Proben häufig vorkamen“, erklären sie. Zu diesen häufigen Formen gehörten die „Gorgonen“ und auch die „Weihnachtsstern“ getaufte Variante des „Supernova“-Typs.

Noch viele Fragen offen

Die Entdeckung so vieler zuvor unbekannter Riesenviren-Formen wirft zudem die Frage auf, ob diese außergewöhnliche Vielfalt nur bei im Boden vorkommenden Riesenviren auftritt oder ob es auch aquatische Arten mit solchen Anhängen und Kapsidfomen gibt. Denn bisher waren die im Wasser und in wasserlebenden Organismen entdeckten Riesenviren meist eher schlicht oval oder ikosaedrisch geformt. Auch warum die Riesenviren überhaupt solche Anhänge entwickelt haben und wozu sie dienen, ist noch offen.

„Dieses faszinierende Fenster in die komplexe Welt der Bodenviren lässt wenig Zweifel daran, dass die hohe genetische Vielfalt der Riesenviren von einer ebenso diversen und zuvor unvorstellbaren Fülle an viralen Strukturen begleitet wird“, schreiben Fischer und seine Kollegen. „Die Ursprünge und Funktionen dieser Vielfalt müssen nun weiter erforscht werden.“ (Preprint bioRxiv, 2023; doi: 10.1101/2023.06.30.546935)

Quelle: bioRxiv

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