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Paläontologie

Letzte Mahlzeit eines Trilobiten enthüllt

Paläontologen finden erstmals Trilobiten-Fossil mit intaktem Darminhalt

Trilobit
Der Trilobit Bohemolichas incola ernährte sich einst von Schnecken und Muscheln am Meeresgrund, wie sein versteinerter Darminhalt verrät. © Jiri Svoboda

Urzeit-Dinner: Paläontologen haben in Tschechien erstmals einen Trilobiten mit intaktem, versteinertem Darminhalt gefunden – und konnten so seine letzte Mahlzeit rekonstruieren. Der Urzeit-Gliederfüßer der Art Bohemolichas incola fraß demnach vor rund 465 Millionen Jahren kleine Schalentiere wie Muscheln und Schnecken. Er jagte und zerbiss seine Beute jedoch nicht aktiv, sondern saugte sie unzerkaut vom Meeresboden auf, wie die Forschenden in „Nature“ berichten.

Vor 541 bis 252 Millionen Jahren wimmelte es in den Weltmeeren von Trilobiten. Mehr als 20.000 Arten dieser krebsähnlichen Gliederfüßer sind bekannt. Auch wenn sie bereits vor langer Zeit von der Bildfläche der Natur verschwunden sind, verraten uns ihre Fossilien dennoch einiges über ihr Leben, zum Beispiel wie sie einst die Welt sahen oder wie sie mit Artgenossen interagierten. Was genau die Trilobiten fraßen, ließ sich bislang allerdings nur indirekt ermitteln, etwa indem man den Körperbau der Gliederfüßer interpretierte oder ihnen Fraßspuren an anderen Tieren zuschrieb.

Bohemolichas incola
Das neu entdeckte Trilobiten-Fossil (links) beherbergt dicht gepackten, noch intakten Darminhalt (dargestellt als bunte Punkte). © Kraft et al./ Nature /CC-by 4.0

Reichhaltiges letztes Mahl

Paläontologen um Petr Kraft von der tschechischen Karls-Universität haben nun erstmals ein Trilobiten-Fossil entdeckt, das direkte Hinweise auf seine Ernährung enthält. Der Trilobit der Art Bohemolichas incola stammt aus der Šárka-Formation in Tschechien, wo vor rund 465 Millionen Jahren noch ein Urzeitmeer lag. In diesem lebte und starb der nun entdeckte Trilobit.

Das Besondere: Nach dem Tod des nicht einmal fünf Zentimeter großen Gliederfüßers versteinerte nicht nur sein Körper, sondern auch sein kompletter Darminhalt. „Aus dem erhaltenen Inhalt lässt sich schließen, dass der Verdauungstrakt geräumig war und der Darm einen großen Durchmesser hatte“, berichten Kraft und seine Kollegen. Mikrotomografie-Scans zeigen, dass die letzten Mahlzeiten von Bohemolichas eine dicht gepackte Säule in dessen Körpermitte bilden. Sie zeichnen damit die Lage des Verdauungstrakts nach.

Mageninhalt
Stark vergrößerte Mahlzeiten, die einst im Darm von Bohemolichas landeten (von links): Stachelhäuterplatten, Schnecken und Muschelkrebse © Kraft et al./ Nature /CC-by 4.0

Weder wählerisch noch kaufreudig

Was also hat der Trilobit vor seinem Tod verspeist? „Alle identifizierten Fragmente im Inneren des Verdauungssystems gehören zu am Meeresgrund lebenden Wirbellosen, die Schalen aus Calciumcarbonat besitzen“, schreiben die Paläontologen. Bohemolichas hat demnach sowohl Muscheln und Schnecken, aber auch kleine Krebse und Platten von Stachelhäutern gefressen.

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Aus seiner wenig selektiven Nahrungsauswahl schließen Kraft und sein Team, dass der Trilobit seine Beute nicht aktiv gejagt hat, sondern als opportunistischer Aasfresser einfach aufsaugte, was ihm vor das Maul kam. Einzige Voraussetzung: Die Tiere mussten entweder leicht zu zerkleinern oder klein genug sein, um im Ganzen verschluckt zu werden. Darauf deuten Größe und Aussehen der Schalenfragmente hin, die zum Teil sogar in Form kompletter Schneckenhäuser erhalten sind.

Alkalisches Darmmilieu als Schutz

Um aus der schalenhaltigen Nahrung genügend Nährstoffe und Energie zu ziehen, muss Bohemolichas jedoch verschiedene körperliche Anpassungen entwickelt haben, wie die Paläontologen vermuten. Dazu gehörten wahrscheinlich leistungsstarke Enzyme und Mechanismen, die die Schalen ähnlich einer Magenmühle weiter zerkleinerten. Dass die meisten Kalkschalen im Magen des Trilobiten kaum aufgelöst und noch scharfkantig sind, deutet außerdem darauf hin, dass im Darm einst ein alkalisches oder annähernd pH-neutrales Milieu herrschte. Ein saures Milieu hätte die Schalen sichtbar verätzt.

Dass genau dies nicht geschieht, war jedoch äußerst wichtig: „Die Auflösung einer großen Menge von Kalkschalen in einem sauren Darmmilieu hätte zu einem Ionenungleichgewicht des Organismus führen und eine hohe Konzentration von extrazellulärem Kalzium verursachen können“, erklären die Paläontologen. Langfristig kann eine solche Hyperkalzämie zu einer Reihe gesundheitlicher Schäden wie Gefäßerkrankungen führen.

Einige heutige Gliederfüßer wie die Mangrovenkrabbe oder der Pfeilschwanzkrebs weisen ein ähnliches Darmmilieu auf wie einst Bohemolichas, was laut Forschenden darauf hindeutet, dass sich diese Strategie bereits sehr früh im Stammbaum der Gliederfüßer entwickelt haben muss.

Kurz vor der Häutung überfressen

Bohemolichas teilt noch eine weitere Gemeinsamkeit mit heutigen Krabben: Er überfraß sich wahrscheinlich, bevor er sich häutete. Wie Kraft und seine Kollegen erklären, ist der Darm von Gliederfüßern die meiste Zeit leer oder mäßig gefüllt. Stehen sie jedoch kurz vor der Häutung, dann überfüllen sie ihren Darm, damit er auf die inneren Organe drückt und den Panzer nach außen abstößt.

Die Paläontologen vermuten, dass aus diesem Grund auch der Darm von Bohemolichas so dicht gepackt und aufgedunsen war. Weitere Anzeichen für eine bevorstehende Häutung des Trilobiten seien außerdem ein Riss im Brustpanzer und die sichtliche Wölbung mehrerer Panzersegmente gewesen.

Aasfresser-Tunnel
Das Fossil ist durchzogen von Aasfresser-Tunneln (braune Linien). © Kraft et al./ Nature /CC-by 4.0

Aasfresser endete selbst als Aas

Doch zur Häutung sollte es für Bohemolichas nicht mehr kommen. Aus unbekannten Gründen starb der Trilobit und wurde kurz vor oder nach seinem Tod auf dem Rücken liegend von Sediment begraben. Sein Kadaver diente schließlich als Bankett für zahlreiche kleine Aasfresser, die sich in erkennbaren Tunneln ins Innere des Trilobiten gegraben hatten.

Interessanterweise schienen sie dabei jedoch verschiedene Organe, darunter den Darm, aktiv gemieden zu haben, wie die Paläontologen berichten. „Diese Vermeidung deutet stark auf unwirtliche Bedingungen hin, die möglicherweise mit einer Restaktivität von Enzymen im gesamten Verdauungstrakt einhergehen“, erklären Kraft und seine Kollegen. (Nature, 2023, doi: 10.1038/s41586-023-06567-7

Quelle: Nature

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