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Paläontologie

Kopffüßer: Älter als gedacht?

522 Millionen Jahre alte Fossilfunde könnten von einer Frühform der Cephalopoden stammen

Fossil
Längs- und Querschnitt durch Fossilien der vermutlich ersten bekannten Frühform eines Kopffüßers. © Gregor Austermann / Communications Biology

Die Stammeslinie von Oktopus, Kalmar und Nautilus könnte weiter in die Vergangenheit reichen als gedacht. Hinweise darauf liefern 522 Millionen Jahre alte Fossilfunde aus Neufundland, die bereits einige Merkmale der Kopffüßer aufweisen. Sollte sich dies bestätigen, dann wären dies die ältesten Cephalopoden weltweit und der Beleg dafür, dass diese Tiergruppe noch vor den Gliederfüßern und einigen anderen Großgruppen des Tierreichs entstand.

Von wegen primitiver Molluske: Kopffüßer gehören zu den intelligentesten und anpassungsfähigsten Vertretern der wirbellosen Tiere. Sie können zählen, sind Meister der Camouflage und imitieren das Verhalten anderer Meerestiere. Beim Beutefang setzen einige Cephalopoden raffinierte Tricks ein und nutzen sogar Werkzeuge. Darüber hinaus erweisen sich Tintenfisch und Co auch in Experimenten als sehr lernfähig und innovativ.

Rätsel um die Ursprünge

Doch wann ist diese illustre Gruppe der Weichtiere entstanden? Bislang gingen Paläontologen von einem Ursprung im späten Kambrium aus, denn die ältesten eindeutig bestimmten Fossilien früher Kopffüßer-Arten stammen aus dem späten Kambrium vor gut 490 Millionen Jahren. Sie besaßen bereits eine gekammerte Schale sowie einen Sipho, mit dem sie ihren Auftrieb und ihre Position im Wasser kontrollieren konnten.

Stutzig machte allerdings, dass diese frühen Cephalopoden bereits eine relativ große Vielfalt an den Tag legten. Das spricht dafür, dass der Ursprung dieser Tiergruppe noch weiter zurückliegen könnte. Zudem legen genetische Vergleiche nahe, dass sich die ersten Kopffüßer möglicherweise aus frühe Vertretern der sogenannten Urmützenschnecken (Monoplacophora) entwickelt haben – und diese kommen seit dem frühen Kambrium vor. Bisher aber fehlten fossile Belege.

Gekammerte Schalen mit Sipho

Jetzt könnten Forscher um Anne Hildenbrand von der Universität Heidelberg diese Fossilien gefunden haben. Die Funde stammen aus einer 522 Millionen Jahre alten Gesteinsformation von der Avalon-Halbinsel in Neufundland. Dort sind steinerne Überreste des urzeitlichen Mikrokontinents Avalonia erhalten. In diesem Gestein stieß das Team auf Relikte von bis zu 15 Millimeter langen, kegelförmigen Kalkschalen.

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Nähere Untersuchungen ergaben, dass diese langestreckten Schalen in ihrem Inneren in mehrere Kammern unterteilt waren. Seitlich der Kammerwände sind zudem Reste einer langgestreckten Röhre erkennbar – möglicherweise des für Cephalopoden typischen Siphos. Die Fossilien ähneln damit entfernt dem spiralförmigen Nautilus, unterscheiden sich in ihrer Form jedoch deutlich von früheren Funden sowie von den heute noch existierenden Vertretern dieser Ordnung.

Gab es schon vor 522 Millionen Jahren erste Kopffüßer?

Nach Ansicht der Paläontologen sprechen diese Merkmale dafür, dass es sich bei den Fossilien um die erste bekannte Frühform der Kopffüßer handeln könnte. „Sollte es sich tatsächlich um Kopffüßer handeln, müssten wir die Entwicklung der Cephalopoden ins sogenannte frühe Kambrium zurückdatieren“, sagt Hildenbrand. Dann könnte der Fund darauf hindeuten, dass sich die Cephalopoden etwa 30 Millionen Jahre früher entwickelt haben als bisher angenommen.

„Dieser Fund ist außergewöhnlich“, sagt Hildenbrands Kollege Gregor Austermann. „In der Wissenschaft wurde schon länger vermutet, dass die Evolution dieser hochentwickelten Tiere wesentlich früher begonnen hat als bislang angenommen. Es fehlten jedoch die fossilen Belege, um diese These untermauern zu können.“

Älter als die ersten Arthropoden

Spannend wäre dieser frühe „Start“ der Kopffüßer-Geschichte auch deshalb, weil diese Tiere dann zu einer Zeit entstanden wären, als es noch kaum andere Vertreter der heutigen Tier-Großgruppen gab: „Das würde bedeuten, dass Kopffüßer bereits zu Beginn der Evolution der vielzelligen Tierstämme während der sogenannten Kambrischen Explosion vorkamen“, erklärt Hildenbrand. Diese Zeit vor rund 535 Millionen Jahre markiert eine Phase der Evolution, in der die zuvor existierende Fauna des Ediacariums verschwand und sich in kurzer Zeit neue Formen mehrzelliger Tiere entwickelten.

Aus den während der kambrischen Explosion entstehenden Tierformen entwickelten sich dann die Stammeslinien aller heutigen Tiergruppen. Sollten die ersten Vertreter früher Cephalopoden wirklich schon vor mindestens 522 Millionen Jahren existiert haben, könnten sie sogar älter sein als die ersten Gliederfüßer, wie die Forscher berichten. Sie hoffen nun, noch weitere, besser erhaltene Exemplare der Fossilien zu finden, um die Zuordnung zu den frühen Cephalopoden bestätigen zu können. (Communications Biology, 2021; doi: 10.1038/s42003-021-01885-w)

Quelle: Universität Heidelberg

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