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Neurobiologie

Gehirn: Was passiert vorm Bungee-Sprung?

Forscher messen unbewusste Hirnprozesse in Extremsituationen

Bungee-Sprung
Bungee-Jumping im Dienst der Wissenschaft: Ein Proband springt 192 Meter in die Tiefe. © Soekadar/ Charité

Sprung in die Tiefe: Schon vor dem Entschluss zum Bungee-Jump lässt sich der bevorstehende Sprung im Gehirn ablesen. Mit diesem Nachweis liefern Forscher nun erstmals einen Beleg für das berühmte Bereitschaftspotenzial außerhalb des Labors – und zeigen, dass die Ausprägung dieser Hirnsignale selbst von starken Emotionen nicht beeinflusst wird. Diese Erkenntnis könnte vor allem für die Weiterentwicklung von Neuroprothesen hilfreich sein.

Lange bevor wir uns bewusst für eine Handlung entscheiden, lässt sich diese bereits in unserem Gehirn ablesen: Es entsteht ein sogenanntes Bereitschaftspotenzial, das zum Beispiel eine bevorstehende Bewegung anzeigen kann. Diese Erkenntnis wurde in der Vergangenheit vielfach als Beleg dafür gedeutet, dass das subjektive Gefühl der freien Willensentscheidung eine Illusion ist.

Inzwischen haben Forscher jedoch auch Hinweise darauf gefunden, dass die typischen Hirnsignale vor einer Entscheidung mitnichten Zeichen eines festgelegten Willens sind – sondern die Wahl lediglich erleichtern. Ungeachtet der Frage, wie es nun zu interpretieren ist, ist das Bereitschaftspotenzial für Neurophysiologen jedoch von großem Interesse. Bei seiner Erforschung gab es bislang allerdings eine Einschränkung: Es wurde nur unter strengen Laborbedingungen gemessen.

Bungee-Jump für die Wissenschaft

„Die Messung dieses elektrischen Potenzials ist bereits im Labor extrem sensibel, da die Spannungsverschiebung nur wenige Millionstel Volt beträgt“, erklärt Surjo Soekadar von der Charité Berlin. Er und sein Team um Erstautor Marius Nann wollten nun wissen, ob sich das Bereitschaftspotenzial auch in Alltagssituationen nachweisen lässt und welche Rolle starke Emotionen wie Angst dabei spielen.

Um dies herauszufinden, ließen die Forscher zwei professionelle Klippenspringer insgesamt 30 Mal einen Bungee-Sprung von der 192 Meter hohen Europabrücke in Innsbruck vollführen. Beide Probanden hatten diese Form des Extremsports noch nie zuvor gemacht. Vor und während der Sprünge wurden ihre Hirnströme über die Kopfhaut mithilfe der Elektronenenzephalografie (EEG) abgeleitet.

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Im Vorfeld messbar

Würde sich die Entscheidung zum Sprung bereits im Vorfeld messen lassen? Es zeigte sich: Tatsächlich beobachteten Soekadar und seine Kollegen auch in dieser extremen Alltagssituation die typischen Signale des Bereitschaftspotenzials, das fast eine Sekunde vor dem Ansetzen zum Sprung im Gehirn entstand. Wie aber beeinflusst der Gefühlszustand diese Hirnaktivität?

Dieser Frage gingen die Wissenschaftler nach, indem sie die Klippenspringer anschließend nur aus einem Meter Höhe springen ließen. Das Ergebnis: Die Hirnaktivität unterschied sich im Vergleich zu den Sprüngen aus 192 Metern Höhe nicht. Dies bedeutet dem Team zufolge, dass die Angst vor einer vermeintlich lebensgefährlichen Handlung keinen Einfluss auf die Ausprägung des Bereitschaftspotenzials hat.

Wichtige Erkenntnis für Neuroprothesen

Damit liefern die Forscher nicht nur erstmals einen Nachweis des Bereitschaftspotenzials außerhalb des Labors und unter Extrembedingungen, sondern auch wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen. Solche Technik übersetzt Hirnaktivität in Steuersignale und ermöglicht zum Beispiel Querschnittsgelähmten, sich mithilfe von Neuroprothesen wieder selbständig zu bewegen.

Konkret führt der Gedanke an eine Greifbewegung dabei zu einer tatsächlichen Bewegung. Im Alltag sei es sehr wichtig, dass auch starke Gefühle die Steuerung von Neuroprothesen nicht beeinträchtigen, wie Soekadar betont. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir Gehirn-Computer-Schnittstellen auch unter extremer emotionaler Anspannung zuverlässig einsetzen können“, sagt er.

Soekadar und sein Team werden ihre neuen Erkenntnisse nun in einer Studie überprüfen, bei der Querschnittsgelähmte und Schlaganfallpatienten Neuroprothesen verwenden sollen. (Scientific Reports, 2019; doi: 10.1038/s41598-018-38447-w)

Quelle: Charité Berlin

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