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Medizin

Bundesgerichtshof erlaubt Gentests an Embryonen

BGH fällt Urteil zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik

Gentests an Embryonen sind rechtmäßig – zumindest, wenn es sich um durch künstliche Befruchtung außerhalb des Mutterleibes entstandene Embryonen handelt und es dabei um das Aufdecken schwerer Erbkrankheiten geht. Dies hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem Urteil zur so genannten Präimplantationsdiagnostik (PID) entschieden. Es sprach im konkreten Fall einen Gynäkologen vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz (ESchG) frei und bestätigte damit ein früheres Urteil des Berliner Landgerichts.

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In den Jahren 2005 und 2006 hatten sich drei Paare mit dem Ziel einer extrakorporalen Befruchtung an den Gynäkologen gewandt. In allen Fällen wies einer der Partner genetische Belastungen auf. Deshalb bestand die Gefahr, dass auch die erzeugten Embryonen genetische Defekte und Erbkrankheiten aufweisen würden, was eine Totgeburt, ein Versterben des Neugeborenen nach der Geburt oder das auf die Welt kommen eines schwerkranken Kindes hochwahrscheinlich machte.

Im Hinblick auf die Gefahrenlage und dem Wunsch seiner Patienten entsprechend führte der Mediziner jeweils eine PID an pluripotenten, das heißt nicht zu einem lebensfähigen Organismus entwicklungsfähigen Zellen durch. Die Untersuchung diente dem Zweck, nur Embryonen ohne genetische Anomalien in die Gebärmutter einpflanzen zu können. Dies geschah in allen Fällen. Embryonen mit festgestellten Chromosomenanomalien wurden hingegen nicht weiter kultiviert und starben in der Folge ab.

Bald nur noch Wunschkinder?

Der Bundesgerichtshof betonte ausdrücklich, dass Gegenstand seiner Entscheidung nur die Untersuchung von Zellen auf schwerwiegende genetische Schäden zur Verminderung der Gefahren im Rahmen der PID sei. Einer unbegrenzten Selektion von Embryonen anhand genetischer Merkmale, etwa die Auswahl von Embryonen, um die Geburt einer „Wunschtochter“ oder eines „Wunschsohnes“ herbeizuführen, sei damit nicht der Weg geöffnet.

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„Kein Freibrief für Designer-Babies“

In einem ersten Statement begrüßte Professor Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, das Urteil des BGH zur Präimplantationsdiagnostik. „Die unlogische Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik und der Präimplantationsdiagnostik ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofes endlich aufgehoben worden“.

Mit dem Urteil habe der BGH Rechtssicherheit für die betroffenen Eltern wie auch für die Ärzte geschaffen. Zugleich habe er hervorgehoben, dass die PID nur bei entsprechend schwerwiegender Indikation zur Anwendung kommen dürfe. „Der BGH hat eine geschlechtsspezifische Auswahl wie auch eine unbegrenzte Selektion von Embryonen strikt untersagt. Damit hat der BGH eindeutig klargestellt, dass die PID keinesfalls als Methode zur Erzeugung von so genannten Designer-Babies erlaubt ist.“ Der Gesetzgeber sei nun aufgefordert, das Embryonenschutzgesetz entsprechend nachzubessern.

Schwerer Schlag gegen den Schutz des menschlichen Lebens?

Mit Bestürzung reagierte dagegen der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, auf die gestrige BGH-Entscheidung. „Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist ein schwerer Schlag gegen den Schutz und die Würde menschlichen Lebens“. Es sei zwar selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschten, so Glück. Die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens verbiete aber jede Selektion von Embryonen. Auch ein genetischer Defekt sei hierzu keine Rechtfertigung. Die PID sei keine Methode zur Feststellung oder Behandlung von Krankheiten, sondern ausschließlich zur Selektion, führt Glück aus. „Wenn von einer schweren Schädigung des Embryos die Rede ist, handelt es sich um eine zu hinterfragend, gesellschaftliche Zuschreibung, die jedoch keinesfalls das Lebensrecht und die Menschenwürde eines kranken oder behinderten Menschen beeinträchtigt.“

Der ZdK-Präsident bedauerte, dass die bislang vorherrschende Rechtsmeinung der Unzulässigkeit der PID vom Bundesgerichtshof verworfen wurde. Er forderte die Politik auf, unverzüglich die Präzisierung des Embryonenschutzgesetzes von 1991 in Angriff zu nehmen, damit es nicht durch die Hintertür einer Selektion menschlichen Lebens den Weg bahne.

„Es ist aber auch zu fragen, warum sich die Gesellschaft mit der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens so schwer tut“, gibt Glück zu bedenken. Vielfach sei das Bewusstsein für und die Akzeptanz von menschlicher Begrenztheit einem Perfektionsdrang gewichen, der dem Leben auch bei den besten Absichten nicht dienlich sei. „Wir müssen uns entschieden jeder Abwertung kranker und behinderter Menschen entgegenstellen“, so Glück.

Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz nicht erkennbar

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs war gestern in Übereinstimmung mit dem Berliner Landgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte die Paragraphen zur missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken und zur missbräuchlichen Verwendung menschlicher Embryonen des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) nicht verletzt hat.

Aus den genannten Strafbestimmungen könne nicht mit der im Strafrecht erforderlichen Bestimmtheit ein Verbot der bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes im Jahr 1990 erst im Ausland entwickelten PID abgeleitet werden, die den Embryo nach derzeitigem medizinisch-naturwissenschaftlichem Kenntnisstand überdies nicht schädigt. Das Vorgehen des Angeklagten verstößt weder gegen den Wortlaut noch gegen den Sinn des Gesetzes, so der Bundesgerichtshof. Dem bei jeder Gesetzesauslegung zu würdigenden Willen des historischen Gesetzgebers lässt sich ein Verbot einer solchen PID, die der Gesetzgeber nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, nicht entnehmen.

PID vermindert schwerwiegende Gefahren

Dem mit dem Gesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor Missbräuchen läuft die PID nicht zuwider, erklärten die Richter weiter. Das Embryonenschutzgesetz erlaubt die extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne weitere Einschränkungen. Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, birgt hohe Risiken in sich. Vor allem sei zu fürchten, dass sich die Schwangere im weiteren Verlauf nach einer ärztlicherseits angezeigten und mit denselben Diagnosemethoden durchgeführten Pränataldiagnostik, hinsichtlich derer eine ärztliche Aufklärungspflicht bestehe, für einen Schwangerschaftsabbruch entscheide.

Die PID sei geeignet, solch schwerwiegende Gefahren zu vermindern. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sie verboten hätte, wenn sie bei Erlass des Embryonenschutzgesetzes schon zur Verfügung gestanden hätte. Dagegen spricht auch eine Wertentscheidung, die der Gesetzgeber in § 3 Satz 2 des Embryonenschutzgesetzes getroffen hat. Dort ist eine Ausnahme vom Verbot der Geschlechtswahl durch Verwendung ausgewählter Samenzellen normiert worden.

Mit dieser Regelung ist laut BGH der aus dem Risiko einer geschlechtsgebundenen Erbkrankheit des Kindes resultierenden Konfliktlage der Eltern Rechnung getragen worden, die letztlich in einen Schwangerschaftsabbruch einmünden kann. Eine gleichgelagerte Konfliktlage habe in den zu beurteilenden Fällen bestanden.

(Bundesgerichtshof / Bundesärztekammer / Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), 07.07.2010 – DLO)

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