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Neurobiologie

„Bekiffte“ Würmer gieren nach Junkfood

Fadenwürmer zeigen ähnliche Reaktion auf Cannabinoide wie wir Menschen

Fadenwurm
Die grüne Färbung bei diesem Fadenwurm zeigt an, wo seine Neuronen auf Cannabinoide reagieren. © Stacy Levichev

Cannabis ist dafür bekannt, übersteigerte Esslust auszulösen – eine Gier nach Junkfood und Süßem. Doch solche Heißhungerattacken erleben nicht nur bekiffte Menschen: Auch Fadenwürmer zeigen diese „hedonistische“ Esslust, wenn man ihnen Cannabinoide verabreicht, wie Forschende in „Science“ berichten. Das Überraschende daran: Nematode und Mensch sind durch mehr als 500 Millionen Jahre Evolution voneinander getrennt. Trotzdem ist der biochemische Mechanismus noch immer der gleiche.

Cannabinoide werden nicht nur von der Hanfpflanze produziert, sondern auch in unserem Körper. Diese Botenstoffe werden beispielsweise im Darm freigesetzt und beeinflussen unseren Appetit und unser Sättigungsgefühl. Dies geschieht, indem die Endocannabinoide an bestimmten Rezeptoren im unserm Gehirn andocken. Kommen beim Kiffen oder durch den Genuss von Haschkeksen zusätzliche Cannabinoide hinzu, gerät dieses System aus dem Gleichgewicht. Dies löst Heißhungerattacken aus, bei denen vor allem die Lust auf Junkfood oder Süßigkeiten wächst.

Fadenwürmer im Cannabinoid-Rausch

Jetzt zeigt sich, dass wir nicht die einzigen sind, auf die der Cannabisgenuss so wirkt: Sogar Nematoden bekommen einen solchen Heißhunger-Fressflash. Entdeckt haben dies Shawn Lockery von der University of Oregon und seine Kollegen fast durch Zufall: „Wir haben die Nahrungsvorlieben der Fadenwürmer als Teil unserer Forschung zur neuronalen Basis der Entscheidungsfindung untersucht“, der Forscher. Zu dieser Zeit war in Oregon gerade Marihuana legalisiert worden.

„An einem Freitagnachmittag kamen wir dann auf die Idee: Lasst und einfach mal das Zeug zu den Würmern geben und schauen, was passiert“, berichtet Lockery. Das Team verabreichte den Nematoden der Art Chaenorhabditis elegans das Endocannabinoid Anadamid und ließ sie dann einen Futter-Wahltest durchführen. Dabei mussten sich die Fadenwürmer in einem T-Labyrinth zwischen einer begehrten und einer weniger beliebten Bakteriensorte als Futter entscheiden.

Heißhunger auf Lieblingsspeise

Das Ergebnis: Die Vorliebe der Nematoden für die besserschmeckenden Bakterien steigerte sich unter Cannabinoid-Einfluss deutlich. Sie sammelten sich in Massen an dem guten Futter und fraßen mehr und länger davon. „Damit gleicht die Wirkung des Cannabinoids auf die Fadenwürmer der beim Menschen – es macht sie gieriger auf die Nahrung, die sie am liebsten mögen“, erklärt Lockery. Ähnlich wie bei uns Menschen wird dieser Effekt durch das Andocken des Cannabinoids an bestimmte Rezeptoren im Nervensystem ausgelöst.

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Wie beim Kiffen verändert das Cannabinoid auch bei den Nematoden die Wahrnehmung: „Wir haben festgestellt, dass die Sensitivität des wichtigsten Geruchs-Neurons bei Chaenorhabditis elegans durch die Cannabinoide dramatisch verändert wird“, sagt Lockery. „Es wird sensibler für die Gerüche favorisierter Nahrung und weniger sensibel für unbeliebtes Futter. Das erinnert an den Effekt des Cannabisinhaltsstoffs THC beim Menschen.“

Was ist der biologische Nutzen?

Das Erstaunliche daran: „Die Fadenwürmer trennten sich vor mehr als 500 Millionen Jahren von der Stammeslinie, aus der später die Säugetiere hervorgingen“, erklärt der Forscher. „Es ist daher wirklich bemerkenswert, dass die Wirkung der Cannabinoide auf den Appetit über so große evolutionäre Entfernungen hinweg erhalten geblieben sind.“

Die Wissenschaftler führen dies auf eine wichtige Funktion des Endocannabinoid-Systems zurück: Wenn ein Tier starken Hunger leidet, ist es biologisch sinnvoll, ihm mehr Appetit auf gehaltvolle Nahrung als auf weniger nahrhafte zu machen. Denn so deckt der Organismus sein Kaloriendefizit schneller und effizienter. „Das ist auch der Grund, warum wir nach dem Cannabisgenuss eher nach dem Schokopudding greifen als nach einem Salat“, so Lockery.

Weil dieser Effekt sowohl für die Vorfahren der Nematoden wie für die unsrigen vorteilhaft war, blieb diese Funktion des Endocannabinoid-Systems über mehr als 500 Millionen Jahre erhalten. Dass der hedonistische Heißhunger durch absichtlichen Drogenkonsum ausgelöst wird, ist dagegen eine Eigenheit von uns Menschen. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.03.013)

Quelle: Cell Press, University of Oregon

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