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Archäologie

Verschollene Stadtlandschaft im Regenwald

Präkolumbische Kultur errichtete vor 2.500 Jahren tausende Plattformen, Siedlungen und ein riesiges Straßennetz

Science-Titelblatt
Archäologen haben die Relikte einer ausgedehnten "Stadtlandschaft" aus Siedlungen, Zeremonial-Plattformen, Feldern und Straßen im Amazonasgebiet entdeckt. Diese Meldung ziert das Cover der aktuellen "Science"-Ausgabe. © AAAS/ Science

Von wegen primitiv: Unter dem Kronendach des Amazonas-Regenwalds haben Archäologen jetzt eine riesige Stadtlandschaft aus der Zeit vor 2.500 Jahren entdeckt. Diese präkolumbische „Gartenstadt“ ist das älteste und größte Zeugnis urbaner Besiedlung im Amazonasgebiet und umfasst mehr als 6.000 rechteckige Plattformbauten sowie Plätze, Wohnsiedlungen und Feldterrassen. Verbunden sind diese Strukturen über ein komplexes, kilometerlanges Straßennetz, wie das Team in „Science“ berichtet. In seiner Komplexität und Ausdehnung ähnele diese urbane Landschaft der der Mayakultur.

Lange galt das Amazonasgebiet als weitgehend unberührter Urwald. Doch neue Kartierungen haben enthüllt, dass dieses Gebiet schon vor tausenden von Jahren besiedelt war. Indigene Kulturen errichteten im Regenwald Siedlungen, legten Felder an und hinterließen teils riesige Erdbauten und kilometerlange Gräben. Allein am Südrand des Amazonasbeckens könnten zu präkolumbischer Zeit mehr als eine Million Menschen gelebt haben. Weitere zehntausende Siedlungen und Bauwerke der Amazonaskulturen warten Schätzungen zufolge noch auf ihre Entdeckung.

Upano-Fluss
Blick auf den Rio Upana im ecuadorianischen Amazonasgebiet. An seinen Ufern errichteten Menschen vor rund 2.500 Jahren eine ausgedehnte Siedlungslandschaft. © Jlh249/

„Stadtlandschaft“ über hunderte Quadratkilometer

Ein weiteres Zeugnis dieser frühen Amazonas-Zivilisationen haben nun Archäologen um Stéphen Rostain von der französischen Forschungsorganisation CNRS aufgespürt. Für ihre Studie hatten sie die Topografie im Upano-Tal am nördlichen Amazonasrand Ecuadors mithilfe von LIDAR-Laserscans und Feldstudien analysiert. In diesem rund 300 Quadratkilometer großen Gebiet wurden schon einzelne Relikte von Erdbauten und Siedlungen entdeckt. Rostain und sein Team wollten nun das Ausmaß dieser Relikte kartieren.

Die Analysen enthüllten Überraschendes: Statt nur einzelner Bauten entdeckten die Forschenden eine ganze Siedlungslandschaft. Verborgen unter dem dichten Kronendach liegen die Überreste einer komplexen, vernetzten Bebauung aus Wohnsiedlungen, Zeremonialkomplexen, Anbauterrassen, entwässerten Feldern und Straßen. „Diese vom Menschen veränderte Landschaft repräsentiert einen Urbanismus, der hunderte von Quadratkilometern bedeckt“, berichten die Archäologen.

Tausende Monumental-Plattformen wie bei den Maya

Das präkolumbische Siedlungsgebiet im Upano-Tal umfasst unter anderem mehr als 6.000 rechteckige, bis zu 40 Meter lange künstliche Erdplattformen. „Typischerweise treten diese aufgeschütteten Plattformen in Gruppen von drei bis sechs auf, die eine zentrale Plaza umgeben“, berichten die Archäologen. „Dieses Muster wiederholt sich fast gleichmäßig im gesamten Gebiet.“ Der größte dieser wahrscheinlich zeremoniellen und rituellen Zwecken dienenden Komplexe erstreckt sich über zehn Hektar und umfasst eine monumentale, 4,50 Meter hohe Plattform von 140 Meter mal 40 Meter Größe.

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„Diese großen zeremonialen Kernkomplexe mit Monumental-Plattformen, Plazas und Alleen sind in ihrer Größe mit denen anderer großer Kulturen wie Teotihuacan in Mexiko oder dem ägyptischen Gizeh-Plateau vergleichbar“, schreiben Rostain und sein Team. Auch die frühen Maya errichteten ähnliche Monumental-Plattformen. Insgesamt identifizierten die Archäologen in ihrem Studiengebiet mindestens 15 größere Monumental-Komplexe dieser Art. Dazwischen enthüllten die LIDAR-Scans zahlreiche Relikte von Wohnsiedlungen, Feldern mit einem geraden Netz aus Entwässerungskanälen sowie Anbauterrassen.

Frühestes Zeugnis für agrarischen Urbanismus

Datierungen ergaben, dass diese im Regenwald verborgene Stadtlandschaft schon bis zu 2.500 Jahre alt ist. „Damit repräsentiert diese Kultur im Upano-Tal das früheste und größte Beispiel für agrarischen Urbanismus, der je im Amazonasgebiet dokumentiert worden ist“, konstatieren Rostain und seine Kollegen. Das Ausmaß und die Komplexität dieser von Menschenhand geprägten Landschaft sei mit der der Maya im Tiefland von Mexiko und Guatemala vergleichbar.

„Das vielleicht bemerkenswerteste Element dieser Landschaft ist das Straßennetz“, berichten die Archäologen. Dieses Netz aus meist schnurgeraden Wegen verknüpft Plattformen und andere Bauten innerhalb der Zeremonial-Komplexe, aber auch weiter auseinander liegende Teile der Stadtlandschaft. Einige dieser Straßen sind bis zu 15 Meter breit und von seitlichen Wällen gesäumt. Andere wurden aufgeschüttet und ähneln eher erhöhten Dämmen mit seitlichen Straßengräben.

„Diese geraden Straßen kreuzen sich im rechten Winkel, ohne Hindernissen wie Hügeln oder Schluchten auszuweichen“, so das Team. Es sei sehr wahrscheinlich, dass diese Wege nicht nur praktischen Nutzen hatten, sondern auch eine bedeutende symbolische und rituelle Funktion hatten – beispielsweise als Strukturelemente der zeremoniellen Landschaft.

Amazonas-Kulturen unterschätzt

Nach Ansicht des Forschungsteams demonstriert die Entdeckung dieser urbanen Landschaft, wie sehr die Kulturen und das archäologische Potenzial des Amazonasgebiets bisher unterschätzt worden sind. Man traute es diesem Regenwaldgebiet nicht zu, Kulturen mit komplexer Sozial- und Siedlungsstruktur hervorzubringen. „Dabei berichtete schon Francisco de Orellana nach einer Amazonas-Expedition im Jahr 1541/42 von großen Städten an dessen Ufer – wurde aber als Fantast abgetan“, so Rostain und seine Kollegen.

Umso wichtiger sei es, die bestehenden Vorannahmen über das Amazonasgebiet gründlich zu überdenken. „Die präkolumbischen Bewohner des Amazonas waren bemerkenswerte Landschaftsgestalter, die ihre Umgebung und deren Vegetation intensiv veränderten“, schreiben die Archäologen. Die Entdeckung der agrarisch-urbanen Landschaft im Upano-Tal sei ein weiterer Beleg dafür. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adi6317)

Quelle: Science, American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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