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Phänomene

Was ist Liebe?

Dem Gefühl der Gefühle auf der Spur

Romeo und Julia
Ihre starke Liebe zueinander trieb Romeo und Julia sogar in den Selbstmord. © Ford Madox Brown, gemeinfrei

„O glücklicher Dolch. Dies ist deine Scheide: dort roste und lass mich sterben“, lauten die letzten Worte von William Shakespeares Julia, bevor sie sich selbst ersticht. Der Grund: In einer Welt ohne ihren zuvor verstorbenen Romeo möchte sie nicht leben. Die Geschichte zeigt, wie stark, schön und schmerzhaft zugleich das Gefühl der Liebe sein kann. Kein Wunder, dass ihr oft etwas Magisches, Übernatürliches nachgesagt wird.

Hormone übernehmen die Kontrolle

Doch fragt man Wissenschaftler, die nach dem Kern der Liebe forschen, so sind diese keineswegs auf Feenstaub und Amors Pfeilspitzen gestoßen, sondern auf Moleküle. Genauer gesagt Hormone, die wichtigsten chemischen Botenstoffe im menschlichen Körper. Ohne sie läuft nichts. Wir brauchen sie zum Wachsen, Schlafen, Warmhalten, … und zum Verlieben.

Die bekanntesten Hormone, die uns und unser Verhalten gegenüber einem neuen Partner beeinflussen, sind Östrogen und Testosteron. Obwohl die Sexualhormone oft als typisch weiblich beziehungsweise männlich gelten, kommen sie bei beiden Geschlechtern gleichermaßen vor und kurbeln unter anderem Lust und sexuelle Begierde an. Interessanterweise fällt bei einem frisch verliebten Mann der Testosteronspiegel jedoch zunächst, während er bei der Frau steigt. Liebesforscher vermuten, dass sich die beiden Partner so in der Anfangsphase in ihrem Verhalten angleichen und somit besser miteinander harmonieren.

Angst
Liebe und Angst äußern sich sehr ähnlich. © Casarsa Guru/ iStock

Verliebtsein ist Stress

Dass unsere Hormone im Liebesrausch durcheinanderwirbeln, merken wir aber nicht nur an gesteigerter Lust, sondern auch an verschiedenen körperlichen Symptomen. Uns ist flau im Magen, unser Herz schlägt schneller, unsere Handflächen werden feucht, unser Appetit verabschiedet sich und auch an Schlaf ist nicht wirklich zu denken. Wüssten wir nicht, dass wir verliebt sind, könnten wir genauso gut annehmen, eine Krankheit bahne sich an oder wir hätten vor irgendetwas furchtbare Angst.

„Verliebtsein und Angst sind aus medizinischer Sicht ähnliche Situationen“, erklärt Adrian Borges vom Berliner Helios Klinikum Emil von Behring in der „Ärztezeitung“. „In beiden Fällen wird der Körper in ‚Alarmbereitschaft‘ versetzt.“ Diese Alarmbereitschaft haben wir unter anderem den Hormonen Adrenalin und Noradrenalin zu verdanken. Normalerweise werden sie nur in akuten Stresssituationen ausgeschüttet, in denen es mitunter um Leben und Tod geht. Zum Beispiel wenn wir beim Wandern einem Bären begegnen oder ein Auto auf uns zurast.

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Diese Hormone bereiten unseren Körper darauf vor, zu kämpfen oder zu fliehen. Dafür erhöhen sie unsere Herzfrequenz, steigern den Blutfluss in der Skelettmuskulatur und fördern die Sauerstoffversorgung des Gehirns. Wir sind hellwach, konzentriert und dank „vorgeheizter“ Muskeln optimal darauf vorbereitet, loszurennen beziehungsweise Schläge auszuteilen.

Dass auch das Verliebtsein uns in diesen Stresszustand versetzt, erklärt unser Herzrasen und die Schlaflosigkeit, aber auch die schwitzigen Handflächen. Denn durch die intensivere Durchblutung überhitzt unser Körper und versucht sich durch das Schwitzen abzukühlen. Das flaue Gefühl beziehungsweise die „Schmetterlinge“ im Bauch lassen sich wiederum damit erklären, dass Adrenalin und Noradrenalin die Verdauung hemmen, um die dafür benötigte Energie in relevantere Körperteile zu stecken.

Zwangsgedanken
Wie bei einer Zwangsstörung kreisen die Gedanken eines Verliebten ständig um den Partner. © praetorianphoto (Hintergrund), Kovacs Alex (Kuss)/ iStock

Romantische Zwangsstörung

Doch Verliebtheit bereitet uns nicht nur auf den Kampf mit einem Bären beziehungsweise die Flucht vor ihm vor, sondern lässt uns auch vorübergehend Anzeichen einer psychischen Erkrankung zeigen. „Studien haben gezeigt, dass der Serotoninspiegel in den frühen Phasen der romantischen Liebe auf ein Niveau sinkt, das auch bei Patienten mit Zwangsstörungen zu beobachten ist“, berichtet Semir Zeki vom University College London.

Menschen mit Zwangsstörungen führen zum Beispiel ein und dieselbe Handlung immer und immer wieder durch. Sie waschen sich etwa so oft die Hände, bis diese wund sind, oder checken so oft, ob die Tür wirklich abgeschlossen ist, bis sie am Ende zu spät zur Arbeit kommen. Auch sogenannte Zwangsgedanken, die ständig um dieselbe Sache kreisen, sind typisch. So wie bei Verliebten. Studien haben gezeigt, dass frisch Verliebte mindestens vier Stunden täglich an das Objekt ihrer Begierde denken. „Die Liebe ist am Ende eine Form von Besessenheit, die in ihrem Anfangsstadium häufig die Gedanken lähmt und sie auf eine einzige Person lenkt“, so Zeki.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Mysterium Liebe
Romantische Gefühle zwischen Magie und Biochemie

Was ist Liebe?
Dem Gefühl der Gefühle auf der Spur

Hirn statt Herz
Von Sucht, Verblendung und Liebestränken

Die Macht des Oxytocins
Ein chemischer Bund fürs Leben

Ist Liebe nur eine chemische Reaktion?
Zwischen Sklaventum und geschickter Manipulation

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