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Mit Licht und Metamaterialien

Neue Formen des analogen Computings

Klassische Analogcomputer arbeiten mit elektrischen Widerständen, Kondensatoren und andere miteinander verschalteten elektrischen Komponenten, um physikalische Gesetzmäßigkeiten oder mathematische Gleichungen abzubilden. Doch es geht auch anders: Wissenschaftler und Tech-Unternehmen arbeiten auch an analogen Computern, die mit Licht, Mikrowellen und anderen Formen der elektromagnetischen Strahlung rechnen.

Metamaterial-Analogcomputer
Dieser Kunststoffblock mit labyrinthischen Kanälen ist ein analoger Computer. Er rechnet durch die Ablenkung und Brechung von Mikrowellen in dem Metamaterial. © University of Pennsylvania

Mikrowellen lösen Integralgleichungen

Einen dieser neuartigen Analogcomputer haben Forscher der University of Pennsylvania in Philadelphia um Nasim Estakhri im Jahr 2019 vorgestellt. Er basiert auf einem Metamaterial, einem Material mit speziellen Brechungseigenschaften, und kann mithilfe von Mikrowellen lineare Integralgleichungen lösen. Konkret besteht der Analogcomputer aus dem einer Platte des Kunststoffs Polystrol, in den Kanäle und Hohlräume in bestimmter Anordnung eingefräst wurden. Die zu lösende Gleichung bekommt dieser photonische Taschenrechner in Form von Mikrowellen mit bestimmten Eigenschaften eingespeist.

Die Kanäle und Kammern im analogen Metamaterial-Rechner sind so angeordnet, dass sie die Strahlung nach bestimmten Rechenregeln leiten. Im Falle des Prototyps war dies die Fredholmsche Integralgleichung der zweiten Art – sie wird häufig genutzt, um physikalische Zusammenhänge zu beschreiben. Wenn die Mikrowellen diesen Analogcomputer durchlaufen, verändert dies die Eigenschaften und den Weg der Strahlung auf eine Weise, die einer mathematischen Rechnung entspricht. „Das was aus diesem System herauskommt, ist dann die Lösung für die Integralgleichung“, erklärt Estakhri.

Der Vorteil solcher auf elektromagnetischer Strahlung basierenden Analogcomputer liegt auf der Hand: Das Rechnen geschieht mit Lichtgeschwindigkeit und damit erheblich schneller als bei den auf Elektronenströmen beruhenden elektronischen analogen oder digitalen Computern. Praktisch einsetzbar wären solche Metamaterial-Rechner überall dort, wo Rechnungen mit festen Gleichungen nötig sind – und sich nur die Zahlenwerte ändern.

AIM
Die „Analog Iterative Machine“ (AIM) von Microsoft Research nutzt eine Kombination aus photonischen Elementen für das analoge Rechnen. © Chris Welsch/ Microsoft

Analoges Rechnen mit Licht: die Analog Iterative Machine

Noch günstiger für photonische Analogcomputer ist jedoch das Rechnen mit sichtbarem Licht. Denn dieses hat eine kürzere Wellenlänge als die Mikrowellen, so dass auch die Wellenleiter und anderen Bauteile schrumpfen können – aus einem tischgroßen Kunststoffblock wird ein Mikrochip. An einem solchen photonischen Analogcomputer arbeiten zurzeit Forscher des Microsoft Research Labs in Cambridge. Ihre „Analog Iterative Machine“ (AIM) nutzt eine Kombination aus photonischen Elementen, um Lichtstrahlen auf verschiedenen Wegen entsprechend der Aufgabe zu modulieren.

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Das Ergebnis dieser parallelen, analogen Rechnung ist ein wieder rekombinierter Lichtstrahl, dessen Intensität und Merkmale die Lösungswerte der Aufgabe kodieren. Diese werden dann in elektronische Signale umgewandelt und von digitalen Komponenten weiterverarbeitet. „Mit unserer Analog Iterative Machine bauen wir einen optischen Rechner, der harte Optimierungsprobleme mit Lichtgeschwindigkeit lösen kann – Aufgaben, an denen gängige Siliziumtechnologien und selbst Quantencomputer scheitern“, erklärt Hitesh Ballani von Microsoft Research.

Wie die meisten modernen Analogrechner ist jedoch auch AIM hybrid: Ein speziell entwickelter Algorithmus übernimmt die Steuerung und Umwandlung der analogen Signale in digitale Ausgaben.

AIM Schema
Schematischer Aufbau der „Analog Iterative Machine“ (AIM): Neben photonischen Elementen besteht sie aus elektronischen nichtlinearen Bauteilen (vorne). © Microsoft Research

Einsatz bei der Optimierung finanzieller Transaktionen

Konkret wird die AIM zurzeit darin erprobt, in Kooperation mit der Barclays Bank Optimierungsprobleme bei finanziellen Transaktionen zu lösen. Angesichts von hunderttausenden von Transaktionen pro Tag scheitern gängige Computer bisher an dieser Aufgabe – die Bank nutzt bisher mathematische und computerbasierte Näherungen, um die beste Reihenfolge der Transaktionen grob abzuschätzen.

„Alle potenziell möglichen Optionen zu prüfen, würde die gesamte Zeitdauer unsers Universums erfordern“, erklärt Lee Braine, Chefingenieur von Barclays. Ein Analogcomputer auf photonischer Basis könnte diese Zeitdauer aber drastisch verkürzen. Erste Tests mit einem kleinen AIM-Prototyp fielen laut Microsoft Research bereits positiv aus: Der Analogrechner löste die ihm gestellten Optimierungsprobleme zu 100 Prozent korrekt. Jetzt arbeitet das Team bereits an einer größeren, leistungsfähigeren Version ihres photonischen Analogrechners.

Microsoft Research sieht jedoch ein weit größeres Anwendungsfeld für ihren photonischen Analogcomputer. Parallel zu den Tests und den Arbeiten an einer Skalierung ihres AIM haben sie im Juni 2023 bereits einen Online-Service eingerichtet, über den Interessenten ausprobieren können, für welche ihrer Probleme der analoge Computer geeignet wäre. Noch läuft hinter diesem System zwar nur eine Simulation des AIM, doch Ballani und sein Team sind zuversichtlich, mit ihrem System eine neue Ära des hybriden Analog-Computings einläuten zu können.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Analoge Computer
Renaissance einer totgeglaubten Technologie

Die Grenzen des Digitalen
Warum Bits und Bytes nicht immer optimal sind

Zurück in die Zukunft?
Die Anfänge des analogen Rechnens

Die Wiederauferstehung
Warum analoge Computer heute wieder attraktiv sind

Das beste zweier Welten
Vom Analog-Chip zum Hybridrechner

Mit Licht und Metamaterialien
Neue Formen des analogen Computings

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