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Medizin

Gesellschaften altern immer schneller

Europa: Schon bald mehr als ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre

Nicht nur bei uns in Europa, sondern in nahezu allen Weltregionen wird sich das Altern der Bevölkerungen beschleunigen – und das besonders in den kommenden zwei Jahrzehnten. Gleichzeitig wird die Weltbevölkerung noch bis in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts auf knapp neun Milliarden Menschen weiter wachsen und danach vermutlich wieder abnehmen.

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Dies sind die Hauptergebnisse neuer Weltbevölkerungsprognosen des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien, die auch die Wahrscheinlichkeiten verschiedener möglicher Entwicklungen abschätzen. Diese Prognosen zeigen auch, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 90 Prozent die Weltbevölkerung im Laufe dieses Jahrhunderts einen Gipfel erreichen und danach leicht zu schrumpfen beginnen wird. Im wahrscheinlichsten Entwicklungspfad wird dieser Gipfel bei 8,9 Milliarden Menschen liegen und um das Jahr 2070 erreicht werden. Derzeit hat die Welt 6,6 Milliarden Einwohner.

Tempo unterschiedlich, Trend gleich

Das zukünftige Bevölkerungswachstum verläuft in den verschiedenen Teilen der Welt höchst unterschiedlich. Während die Bevölkerungen Osteuropas und Japans bereits zu schrumpfen begonnen haben, wird dies im Westen Europas durch Zuwanderung noch für einige Zeit verhindert. Nordamerika wird voraussichtlich weiter moderat wachsen, während sich die Bevölkerungen des arabischen Raums verdoppeln und jene Afrikas südlich der Sahara mehr als verdreifachen werden.

Obgleich die Wachstumspfade der Bevölkerungen so stark divergieren, sind alle Weltregionen einem universellen Prozess der Bevölkerungsalterung unterworfen, der sich in den kommenden Jahrzehnten noch beschleunigen wird. Allerdings befinden sich die Weltregionen in sehr unterschiedlichen Stadien dieses Prozesses.

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Rückgang der Geburten als Hauptursache

Der Hauptgrund für die erwartete Beschleunigung der Alterung liegt darin, dass die Geburtenraten in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Teilen der Welt rasch zurückgegangen sind. Neben Europa sind sie vor allem in Ostasien auf neue Tiefstände gefallen. Im bevölkerungsreichsten Land der Welt, nämlich China mit derzeit 1,28 Milliarden Einwohnern, ist die Geburtenrate pro Frau auf rund 1,5 gefallen. Insgesamt hat mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ein niedriges Geburtenniveau unterhalb des sogenannten Bestanderhaltungsniveaus von zwei überlebenden Kindern pro Frau, das notwendig wäre, damit die Kindergeneration die Elterngeneration zahlenmäßig ersetzt.

Der Geburtenrückgang macht auch vor ausgeprägt islamischen Staaten nicht halt. Der Iran hat beispielsweise in den vergangenen 20 Jahren den schnellsten Fertilitätsrückgang der Menschheitsgeschichte erlebt: von 7,0 Kindern pro Frau im Jahre 1985 auf nur 1,8 Kinder im Jahr 2006. Nur in Afrika südlich der Sahara sind die Verhältnisse mangels sozialer Entwicklung anders. In manchen afrikanischen Ländern ist der Rückgang der Geburtenrate sogar zum Stillstand gekommen.

60-Jährige als Indikator

Die Wahrscheinlichkeit, dass zukünftig in einer bestimmten Region mehr als ein Drittel der Bevölkerung älter als 60 Jahre sein wird, ist ein wichtiger Indikator für den Grad der zu erwartenden Alterung. Derzeit ist dieser Wert noch in keiner Weltregion erreicht: In Westeuropa sind 20 Prozent und in Japan 24 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt. Aber sowohl in Japan als auch in verschiedenen Teilen Europas wird schon in den kommenden Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Schwelle von einem Drittel der Bevölkerung über 60 Jahren überschritten werden.

Je näher der Zeitpunkt liegt, zu dem dieser hohe Anteil der über 60-Jährigen erreicht wird, desto geringer sind auch die Unsicherheiten zur Prognose des Zeitpunkts selbst. In Japan und Europa verlaufen die Kurven sehr steil, da das Altern in diesen Regionen zum Großteil schon in der heutigen Altersstruktur vorprogrammiert ist. Lediglich die Ungewissheit über das zukünftige Niveau der Zuwanderung führt in Westeuropa zu einer begrenzten Unsicherheit, wie schnell der Bevölkerungsanteil älterer Menschen über ein Drittel hinauswächst.

Interessant ist, dass China die Schwelle der Alterung deutlich vor Nordamerika überschreiten wird. Besonders in den USA wird durch die jüngere Bevölkerungsstruktur, das rechte hohe Geburtenniveau und die auch zukünftig zu erwartenden Zuwanderungsgewinne diese Schwelle vermutlich erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erreicht. Noch später werden nur die Entwicklungsländer und – durch deren stark wachsendes Gewicht – wird auch die Weltbevölkerung als Ganzes an der Altersmarke von einem Drittel über 60-Jährige stehen. Für Afrika südlich der Sahara ist die Wahrscheinlichkeit, noch in diesem Jahrhundert die Schwelle zu erreichen, praktisch Null.

Baby-Boomer-Schub nach 2040

Ein zweiter wichtiger Indikator der Bevölkerungsalterung ist der Anteil der hochbetagten, über 80-jährigen Menschen. In Westeuropa liegt dieser Anteil bei rund vier Prozent. Bis 2040 wird er sich vermutlich auf acht Prozent verdoppeln. Eine wirklich dramatische Entwicklung steht uns erst nach 2040 ins Haus, wenn nämlich die in den 1960er Jahren geborene Baby-Boomer-Generation in diese Altersgruppe vorrückt. Dann wird der Anteil der über 80-Jährigen in nur zehn Jahren um 50 Prozent auf rund zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung zunehmen.

Wie es dann in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts mit dem Anteil Hochbetagter weitergehen wird, ist höchst unsicher. Wenn die Experten recht behalten, die eine deutliche weitere, bisweilen sogar beschleunigte Zunahme der Lebenserwartung voraussehen, dann werden wir bis zum Ende des Jahrhunderts im oberen Bereich liegen: Die Gesellschaft bestünde dann zu 20 bis 40 Prozent aus Menschen, die über 80 Jahre alt sind. Behalten hingegen diejenigen recht, die eine verlangsamte oder gar keine Zunahme der Lebenserwartung annehmen, dann wird die Gesellschaft nur zu fünf bis 20 Prozent aus über 80-Jährigen bestehen.

Das Altern der Bevölkerungen geht mit weitreichenden Auswirkungen für den Einzelnen und die Gesellschaft einher. Um diesen Auswirkungen des Demografischen Wandels begegnen zu können, ist nach Ansicht der Forscher ein vollständigeres Verständnis dieser Entwicklung nötig. Neben dem Ausmaß ist die Geschwindigkeit des Prozesses dafür besonders wichtig – denn die Schwierigkeiten der Anpassungen an die veränderte demografische Lage wachsen mit der Geschwindigkeit der Bevölkerungsalterung. Gerade in den kommenden beiden Jahrzehnten wird Europa durch die beschleunigte Alterung herausgefordert werden.

(MPG, 25.07.2008 – NPO)

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