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GeoUnion

„Die Erwärmung der Erde ist eindeutig“

Interview über den Klimawandel und den vierten Bericht des UN-Klimabeirats

Globale Anomalien der Lufttemperatur an der Erdoberfläche. © IPCC, 2007

Der Klimawandel ist in vollem Gange und wurde im Wesentlichen vom Menschen beeinflusst– zu diesem Ergebnis kam das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) vor einigen Monaten. In einem Interview berichtet nun Peter Lemke, Klimatologe und Leiter des Fachbereichs Klimawissenschaften am Alfred-Wegener-Institut, über die aktuellen Ergebnisse und ihre Bedeutung für die Zukunft der Erde.

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GeoUnion: Der Klimawandel ist in aller Munde – doch gibt es inzwischen Klarheit darüber, ob er tatsächlich vom Menschen verursacht wurde?

Lemke: Modellrechnungen und der Vergleich mit Beobachtungen zeigen, dass die Erwärmung der letzten 50 Jahre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Wesentlichen durch anthropogene Treibhausgase, hauptsächlich Kohlendioxid, verursacht worden ist. Änderungen der solaren Einstrahlung haben dagegen nur einen geringen Einfluss.

So hat der Kohlendioxid-Gehalt der Luft seit 1750 um 35 Prozent von 280 ppm auf 379 ppm im Jahr 2005 zugenommen. Die Zuwachsrate der letzten zehn Jahre ist die größte seit 50 Jahren und der heutige Wert ist sogar der höchste in den letzten 650.000 Jahren. Rund 78 Prozent der Erhöhung gehen dabei auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zurück und 22 Prozent auf Landnutzungsänderungen wie beispielsweise Rodungen. Doch auch andere wichtige Treibhausgase wie Methan und Lachgas, deren Konzentrationen seit 1750 um 148 Prozent beziehungsweise 18 Prozent zugenommen haben, tragen zur Änderung der Strahlungsbilanz bei. Diese langlebigen Treibhausgase machen zusammen etwa halb soviel aus wie der CO2-Anstieg.

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GeoUnion: Was ist das wichtigste Indiz für die Klimaänderung?

Lemke: Dies ist in erster Linie die Temperatur. Denn die Erwärmung des Klimasystems ist ohne jeden Zweifel vorhanden und eindeutig messbar. So ist die globale Oberflächentemperatur von 1906 bis 2005 um 0,74 Grad Celsius gestiegen und elf der letzten zwölf Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Temperaturzunahme der letzten 50 Jahre ist doppelt so hoch wie die der letzten 100 Jahre, und die Arktis hat sich doppelt so stark erwärmt wie die Erde im globalen Mittel. Rekonstruierte Daten aus Beobachtungen und anderen Quellen, wie zum Beispiel Baumringdaten deuten sogar darauf hin, dass die Temperaturen der letzten 50 Jahre sehr wahrscheinlich höher waren als jemals zuvor in den vergangenen 500 Jahren und wahrscheinlich höher als in den vergangenen 1.300 Jahren.

GeoUnion: Welche Auswirkungen hat dies auf die Kälteregionen der Erde?

Lemke: Die schneebedeckte Fläche hat seit 1980 um etwa fünf Prozent abgenommen. Weltweit schrumpfen die Gletscher und tragen gegenwärtig mit 0.8 mm pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei. Auch das Meereis in der Arktis verzeichnet seit 1978 einen Rückgang im Jahresmittel um acht Prozent und im Sommer sogar um 22 Prozent. In der Antarktis ist hingegen bisher kein signifikanter Rückgang zu erkennen.

Ebenso verlieren die Eisschilde auf Grönland und der Antarktis gegenwärtig Masse durch Schmelzen und Gletscherabbrüche. Sie tragen dadurch 0.4 mm pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei. Besorgniserregend ist auch die Temperaturzunahme in den oberen Schichten des Permafrostsbodens um bis zu drei Grad Celsius seit 1980. Entsprechend hat die maximale Ausdehnung des saisonal gefrorenen Bodens seit 1900 um sieben Prozent abgenommen, im Frühling sogar um 15 Prozent.

GeoUnion: Was für Folgen hat dies für die Ozeane?

Lemke: Der Meeresspiegel ist seit 1993 durchschnittlich um etwa drei Millimeter pro Jahr gestiegen, im 20. Jahrhundert insgesamt um 17 Zentimeter. Davon ist etwas mehr als die Hälfte verursacht durch die thermische Ausdehnung des wärmeren Ozeans, etwa 25 Prozent durch Abschmelzen der Gebirgsgletscher, und etwa 15 Prozent durch das Abschmelzen der Eisschilde. Änderungen der meridionalen Umwälzbewegung im Atlantik, oft vereinfacht aber unzutreffend als Golfstrom bezeichnet, können allerdings aus den vorliegenden Daten nicht abgeleitet werden. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich dass es zu einem abrupten Zusammenbruch im 21. Jahrhundert kommt.

GeoUnion: Wie sieht der Blick in die Zukunft aus?

Lemke: Klimaprojektionen für die nächsten 100 Jahre lassen sich überzeugend durch Klimamodelle simulieren, die mit Energienutzungsszenarien angetrieben werden. Solche Modelle sagen – je nach Energienutzung – eine weitere Temperaturerhöhung und einen Meeresspiegelanstieg bis zum Ende des 21. Jahrhunderts voraus. Für die letzte Dekade des 21. Jahrhunderts ist der wahrscheinlichste Wert der globalen Erwärmung für das niedrigste Szenario 1.8 Grad Celsius (1.1–2.9 Grad Celsius), und für das höchste Szenario 4.0 Grad Celsius (2.4–6.4 Grad Celsius). Die größte Erwärmung findet dabei in hohen nördlichen Breiten statt. Für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte hängt die projizierte Erwärmung nur wenig von den Annahmen über zukünftige Emissionen ab. Selbst bei einem sofortigen Ende aller Emissionen würde durch die Trägheit des Klimasystems ein weiterer Temperaturanstieg bis zu ca. 0.6 Grad Celsius erfolgen.

Ist das zweite Kind geboren, erscheint uns das erste plötzlich viel größer als vorher. © SXC

GeoUnion: Das bedeutet vermutlich auch einen weiterer Anstieg des Meeresspiegels?

Lemke: Ja. Für den Anstieg des Meeresspiegels liegen Projektionen für 2090 bis 2100 vor: 18–38 Zentimeter für das niedrigste und 26–59 Zentimeter für das höchste Szenario. Auch nach vollständigem Ende der Emissionen wird der Meeresspiegel über viele Jahrhunderte ansteigen, bedingt durch weitere Erwärmung des tiefen Ozeans. Allerdings gibt es eine erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung des grönländischen und des antarktischen Eisschilds, hier kann ein höherer Beitrag zum zukünftigen Anstieg nicht ausgeschlossen werden. Modellergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine dauerhafte Erwärmung deutlich über drei Grad Celsius über Jahrtausende zu einem vollständigen Abschmelzen des grönländischen Inlandeises führen würde, entsprechend einem Meeresspiegelanstieg um sieben Meter.

GeoUnion: Was bedeutet dies für das Wetter in Mitteleuropa?

Lemke: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Meridionale Umwälzbewegung im Atlantik um durchschnittlich 25 Prozent im 21. Jahrhundert abnehmen wird. Damit müsste theoretisch auch die potenzielle Wärmezufuhr abnehmen. Doch die Temperaturen in der Atlantischen Region werden dennoch zunehmen, da der Einfluss der globalen Erwärmung überwiegt. Der Niederschlag wird in höheren Breiten sehr wahrscheinlich zunehmen, während es in den Tropen und Subtropen einschließlich der Mittelmeerregion wahrscheinlich zu einer Verminderung des Niederschlags kommen wird.

GeoUnion: Vielen Dank für das Gespräch

Link:

Nähere Informationen zum IPCC gibt es im Internet unter www.ipcc.ch und zum WCRP unter wcrp.wmo.int.

(Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 21.09.2007 – AHE)

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