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Materialforschung

„Meisterpilz“ lässt Geigen klingen

Stradivaris Geheimnis gelüftet?

Mit Pilzen infizierte Fichtenholzprobe © Empa

Seit Jahrhunderten fasziniert der perfekte Klang einer Stradivari-Geige die Musikliebhaber. Doch was war das Geheimnis des berühmten Geigenbauers? Verwendete Stradivari einen speziellen Lack für seine Geigen? Setzte er zur Holzbehandlung Mineralien ein? Vielleicht aber waren auch Pilze Stradivaris Geheimnis. Denn Wissenschaftler der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) haben jedenfalls einen Pilz entdeckt, der das Gewicht der Geigen verringert und die Klangqualität verbessert.

Seit Stradivaris Zeiten versuchen Geigenbauer den Unterschied zwischen den Instrumenten des berühmten Geigenbauers und „normalen“ Geigen zu ergründen. Ende August nahmen eine Wissenschaftlerin, ein Wissenschaftler und ein Geigenbauer die Gäste des 30. Empa-Wissenschaftsapéros mit auf die Suche nach dem Geheimnis von Antonio Stradivari.

Holz – ein Werkstoff mit vielen Gesichtern

Erst vor einigen Jahren gelangte beispielsweise das Resonanzholz aus Fichte, die im Geigen- und Klavierbau am häufigsten verwendete Holzart, in den Fokus der Wissenschaft.

Fichtenholz werde als Klangholz verwendet, weil es viel zur Klangentstehung beitrage und weil Fichten in der Nähe der frühen Instrumentenmanufakturen reichlich vorhanden gewesen seien, erklärte Christoph Buksnowitz von der Universität für Bodenkultur in Wien vor rund 150 Interessierten. Fichten, welche im Geigenbau eingesetzt werden, müssen ganz bestimmte physikalische Eigenschaften aufweisen.

So hat beispielsweise der Stammdurchmesser mindestens 40 Zentimeter zu betragen, um die für den Geigenbau benötigte Brettgröße liefern zu können. Die Jahresringe müssen einen regelmäßigen Abstand von etwa fünf Millimetern haben, um den Schall perfekt zu leiten. Deshalb spielen die Wuchsbedingungen eine entscheidende Rolle, wie Buksnowitz ausführte. Nur Fichten in Höhenlagen über 1000 Metern eignen sich daher für den Geigenbau. Zu viel Licht und Wind von einer Seite führen zu einem unregelmäßigen Wachstum und vermindern die Qualität. Doch damit nicht genug: Um Spannungen im Holz abzubauen, müssen die gefällten Bäume jahrelang natürlich getrocknet werden.

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All diese Faktoren beeinflussen die Anordnung und Ausformung der häufigsten Zellenart des Fichtenholzes, der "Tracheiden". Sind ihre Zellwände dünn, nimmt die Dichte des Holzes ab; es wird leichter. Dies ist ein erwünschter Effekt im Geigenbau, denn dadurch werden Resonanzeigenschaften und Klangabstrahlung verbessert. Das Holz ist dadurch aber auch weniger fest, was sich negativ auf die Stabilität der Geige auswirken kann. Die Akustik eines Instrumentes wird also maßgeblich durch den Aufbau der Holzzellen beeinflusst. Geübte Geigenbauer erkennen dies bereits an der Farbe des Holzes. So verändern zum Beispiel Jahrringe oder Pilzbefall den Farbton.

Stellt sich die Frage, warum Geigen bei einem so komplizierten Material wie Klangholz noch immer aus Holz – und nicht aus weniger variablen Materialien wie Kohlenstofffasern – gebaut werden. "Vorstellbar ist das schon, doch mit dem Fichtenresonanzholz ist viel Tradition verbunden. Es ist in Form und Klangmerkmalen nach wie vor einzigartig", gab Buksnowitz zu bedenken.

Pilze als nützliche Helfer

Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass ein Pilzbefall bei Bäumen ausschließlich schädliche Effekte auslöst. Dass dies im Geigenbau nicht so sein muss, versucht Melanie Spycher in ihrer Dissertation an der Empa zu beweisen. Zu diesem Zweck infiziert sie sterilisierte Fichten- und Ahornholzscheite mit verschiedenen Holz zersetzenden Pilzen und lässt diese danach vier bis 20 Wochen in der Klimakammer wuchern.

Die Zwischenergebnisse der Untersuchung sind erstaunlich, wie Melanie Spycher ausführte: "Verschiedene Pilze wirken an verschiedenen Hölzern unterschiedlich. Mit dem Gemeinen Spaltblättling, einem Pilz aus der Gruppe der Moderfäuleerreger, haben wir für den Geigenbau geeignete Veränderungen in der Holzstruktur herbeiführen können." Ein Patent dafür wurde im Juni angemeldet. Der Pilz verringert die Zellwandicke des Holzes, ohne dessen Festigkeit zu beeinträchtigen. So nahm die Dichte des Holzes ab, was die Geige leichter macht und die Klangqualität verbessert. Trotzdem blieb die notwendige Festigkeit erhalten.

Geige ohne Seele

Das Metier von Geigenbauer Michael Rhonheimer könnte schon bald von der Empa-Forschung mit Fichtenresonanzholz beeinflusst werden. Noch heute baut er in seinem Atelier in Baden klangvolle Meisterwerke mit nahezu denselben Werkzeugen wie im 16. oder 17. Jahrhundert. Beitel, Stimmhammer, Säge, Hobel und Schachtelhalm gehören dazu. Doch nicht nur das Holz bestimmt den Klang der Geige, sondern auch weitere Details wie die Wölbung der Decke und des Bodens und die Positionierung und Grösse der "F-Löcher" in der Decke des Instrumentes. Bis auf diese Weise in aufwändiger Handarbeit eine neue Geige das erste Mal erklingt, vergeht rund ein Jahr, und der Geigenbaumeister hat mehr als 300 Stunden aufgewendet.

Rhonheimer stellte denn auch klar, dass neue Geigen qualitativ durchaus mit den alten mithalten. Während alte Instrumente durch Zeit und Kultur geprägt wurden, haben die neuen den Vorteil, dass die Wünsche des Künstlers beim Bau berücksichtigt werden können. Von maschinell hergestellten Geigen hält der Geigenbaumeister allerdings wenig: "Der Kontakt zum Material geht verloren. So tönt zum Beispiel eine Kohlefasergeige seelenlos." Gegen biologische Modifikationen im Holz hat er dagegen wenig einzuwenden, um in Zukunft wieder Meistergeigen nach dem Vorbild Stradivaris herzustellen.

Der von der Empa entdeckte "Meisterpilz" könnte also schon bald den Weg in die Geigenbauateliers finden und helfen, Geigen zu bauen, welche denen von Stradivari Konkurrenz machen.

(idw – Empa. Materialforschung und Technologie, 05.09.2006 – DLO)

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