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Ökologie

Amphibien: „Maulbrüter“ vor dem Aus

Nasenfrösche vom Aussterben bedroht

Nasenfrösche leben in Chile und wurden vor etwa 170 Jahren schon von dem berühmten Naturforscher Charles Darwin gesammelt. Mittlerweile jedoch sind die merkwürdigen Amphibien, die ihre Jungen im Maul „ausbrüten“, selten geworden. Der Tübinger Zoologe Mirco Solé hat kürzlich bei einer Suchexpedition in Chile noch eine Nasenfrosch-Population entdeckt. Er befürchtet aber trotzdem, dass die Art bald aussterben wird. Vor allem durch das Abholzen der Mischwälder wird ihr natürlicher Lebensraum immer weiter zerstört.

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Der britische Naturforscher Charles Darwin ist durch die Entwicklung einer ersten Theorie zur Evolution bekannt geworden. Doch diesen theoretischen Erkenntnissen ging eine jahrelange Forschungsexpedition unter anderem zu den Kapverdischen Inseln, den Galapagos-Inseln und den südamerikanischen Küsten voraus, bei der er umfangreiche Sammlungen verschiedenster Arten anlegte. Zum Beispiel ist bekannt, dass Darwin im Süden von Chile einen Frosch mit einer auffallend langen Nase gefunden hat. Dieser erhielt ihm zu Ehren später den Name Rhinoderma darwinii – Darwin-Frosch. Eine weitere Nasenfrosch-Art wurde vor etwas 100 Jahren als Rhinoderma rufum beschrieben.

Suchexpedition nach markanten Fröschen

Während der Darwin-Frosch heute sehr selten geworden ist, gilt Rhinoderma rufum mittlerweile als verschollen. Daher hat sich Mirco Solé vom Zoologischen Institut der Universität Tübingen, der Mitarbeiter am Brasilien-Zentrum ist, zu Beginn dieses Jahres auf eine Suchexpedition nach den markanten Fröschen begeben. Und in den letzten Tagen seines zweimonatigen Aufenthalts in Chile hat er schließlich doch noch Erfolg gehabt: in einem Naturschutzpark entdeckte er ein ganzes Völkchen der Darwin-Frösche.

Mirco Solé, der bereits seit 1998 an Fröschen in Südamerika forscht, ist ein geübter Beobachter. Allerdings sind die Nasenfrösche nur etwa drei Zentimeter groß und leben versteckt in der Bodenstreu unter Bäumen. „Sie sind nicht immer froschgrün, sondern häufiger braun gezeichnet. Innerhalb von einigen Monaten können sie ihre Farbe auch ändern“, erzählt Solé.

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Lange Nase und schwangere Männchen

Kurios wirken die Tiere nicht nur wegen ihrer langen Nase, von der keine besondere Funktion bekannt ist, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Verhaltens bei der Aufzucht ihres Nachwuchses. „Bei vielen Froscharten legt das Weibchen die Eier im Wasser ab, das Männchen befruchtet sie und im Wasser schlüpfen dann die Kaulquappen aus den Eiern“, sagt der Froschforscher. Nicht so der Darwin-Frosch: „Bei ihm werden die Eier auf feuchtem Boden abgelegt. Das Männchen nimmt dann die schlüpfenden Kaulquappen in seinen Kehlsack auf. Nach zwei bis drei Monaten hüpfen die kleinen Fröschchen aus seinem Mund.“ Und Solé setzt hinzu: „Dass Männchen den Nachwuchs im Maul ‚bebrüten‘, das ist unter den Amphibien weltweit einzigartig.“

Hungern müssen die „schwangeren“ Männchen übrigens nicht, der Weg zum Magen bleibt frei. Die Nasenfrösche haben gegenüber anderen Froscharten so viele Besonderheiten, dass die zwei Arten Rhinoderma darwinii und Rhinoderma rufum eine eigene Familie bilden. Letzterer kommt im nördlich anschließenden Gebiet vor. Jedenfalls hat Rhinoderma rufum früher dort gelebt. „Seit 25 Jahren hat man keinen Lebendnachweis mehr von ihm gefunden“, sagt Solé. Viele hielten ihn bereits für ausgestorben, berichtet der Wissenschaftler. Doch so pessimistisch ist er selbst nicht: „Wenn man alles sammelt, was man zu einer ausgestorben geglaubten Art an Wissen hat und in heutigen geeigneten Lebensräumen sucht, wäre der Erfolg vielleicht größer, als immer dort zu suchen, wo die Tiere früher einmal waren.“

Rettung für Nasenfrösche?

Doch auch Mirco Solé hält es für umso wichtiger, wenigstens die nachweislich noch lebende Art der Nasenfrösche nicht aussterben zu lassen. „Der Darwin-Frosch kommt – abgesehen von einem sehr kleinen Gebiet in Argentinien – nur in Chile vor. Er würde sich deshalb auch als Werbeträger für den Artenschutz in diesem Land hervorragend eignen“, sagt Solé. Vor Mirco Solé hatten bereits die Spezialisten Klaus Busse von der Zoologischen Gesellschaft in Bonn und Heiko Werning, von der Zeitschrift Reptilia, nach den Nasenfröschen gesucht. Auch sie fanden keine Exemplare von Rhinoderma rufum und Frösche der Art Rhinoderma darwinii erst viel weiter im Süden.

„Wie sie habe auch ich zunächst die Küstenstreifen südlich von Santiago bis Concepción abgesucht, wo sie früher in den Mischwäldern vorkamen“, erzählt der Froschforscher. Allerdings seien diese Gebiete inzwischen abgeholzt und mit schnell wachsenden Kiefern aufgeforstet worden. Als Folge versauere der Boden und trockne aus: „Dort halten sich kaum noch Amphibien auf.“ Solé hat seine Suche daraufhin stärker auf das Landesinnere konzentriert. Sieben Wochen lang hat er die Wälder – auch dort häufig aus Kiefern bestehend – und die Naturschutzparks durchstreift. „Ich habe in dieser Zeit praktisch alle Froscharten gefunden, die aus dieser Region bekannt sind, aber keinen einzigen Nasenfrosch“, sagt er.

Nationalpark Villarrica als letzte Zuflucht

Sieben Tage vor dem Ende seiner Expedition hat Mirco Solé den Nationalpark Villarrica besucht. Auch dort war nicht eine lange Froschnase zu finden. „Einer der Parkwächter hat mir dann gesagt, dass ich mir die falsche Stelle ausgesucht hätte. Hundert Kilometer weiter, auf der anderen Seite des Parks und hinter dem dortigen Vulkan sei es viel feuchter und gebe mehr Frösche“, erinnert sich Solé. Das erwies sich als der entscheidende Hinweis. „Gleich am nächsten Tag bin ich dorthin gefahren. Schon auf den ersten Metern ist mir im dortigen Araukarienwald ein Nasenfrosch begegnet.“ Wegen der maulbrütenden Männchen sind diese Amphibien von Gewässern unabhängig.

„Die ersten Fotos von den Nasenfröschen habe ich vor lauter Aufregung verwackelt“, erzählt Solé. Glücklicherweise hat er aber noch weitere Darwin-Frösche gefunden. Er hat die letzten Tage seiner Expedition genutzt, um sich ein Bild von der Froschpopulation zu machen. „Sie scheint sehr stabil zu sein, nachdem auch viele Jungtiere zu finden waren“, so Solé.

Chile sei eigentlich recht weit im Naturschutz, sagt der Forscher.

„Die Parks sind gut gepflegt, allerdings viel zu klein.“ Außerhalb der geschützten Gebiete sehe es hingegen schlecht aus. „Die Holzproduktion mit Kiefern ist in Chile interessant, weil die Bäume dort weltweit am schnellsten wachsen. Schon nach acht Jahren können sie für die Papierproduktion geschlagen werden“, erklärt er.

Lebensraum schwindet

Zu den ökologischen kämen soziale Probleme hinzu, weil die Holzfäller jeweils in Massen mit mobilen Siedlungen in die Wälder kommen. „In den Kiefernwäldern gibt es häufig Brände. Dafür sind die dort einheimischen Bäume der Art Araucaria araucana viel weniger anfällig.“ Den Fröschen bleiben durch diese Entwicklungen nicht mehr viele Lebensräume übrig. Dennoch will sich Mirco Solé bereits im Oktober erneut auf die Suche nach den Nasenfröschen machen. „Die haben dann Paarungszeit und lassen sich leichter durch Rufe ihrer Artgenossen anlocken“, sagt der Forscher. Ihr typisches Fiepen wurde schon vor langer Zeit aufgenommen, Solé will es dann an viel versprechenden Stellen abspielen.

Über die Lebensweise der Nasenfrösche ist insgesamt nicht viel bekannt. Mirco Solé würde es daher für sinnvoll halten, die neu entdeckte Population der Darwin-Frösche für einige Jahre zu beobachten. Denn er befürchtet, dass die Frösche ohne weiteren Schutz im Laufe der nächsten zehn Jahre aussterben könnten. „Für die Studien wird es sehr hilfreich sein, dass sich die Darwin-Frösche individuell stark unterscheiden“, sagt Solé – nicht etwa an den langen Nasen, die haben sie alle. „Aber die Bauchseite ist bei jedem Tier anders gezeichnet.“

(idw – Universität Tübingen, 01.06.2005 – DLO)

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