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Neurobiologie

Blick ins Schülergehirn

Engagiertes Lernen erzeugt neuronalen Gleichtakt im Unterricht

Was geht im Gehirn von Schülern vor, wenn sie im Unterricht sitzen? © wavebreakmedia/ iStock.com

Gehirne im Gleichtakt: Forscher haben erstmals „belauscht“, was im Gehirn von Schülern beim Unterricht vorgeht. Die EEG-Messungen enthüllen, dass die Hirnströme beim aufmerksamen Lernen im Gleichtakt schwingen – im Idealfall. Ob das aber der Fall ist, hängt vom Unterrichtsstil, von der Beliebtheit der Lehrperson und auch von der sozialen Dynamik in der Klasse ab, wie die Messungen ergaben. Ihre Ergebnisse liefern damit wertvolle Hilfen für einen besseren Unterricht.

Wie gut Kinder und Jugendliche lernen, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Studien zeigen, dass beispielsweise Mädchen bestimmte Dinge anders lernen als Jungen, dass das Lernen mit mehreren Sinnen zumindest beim Vokabelpauken bessere Erfolge bringen kann und dass das Gehirn von Jugendlichen beim Lernen insgesamt anders „tickt“ als bei Erwachsenen.

EEG im Klassenzimmer

Was aber geht im Kopf von Schülern vor, während sie im Unterricht sitzen? Das ließ sich bisher kaum beantworten, denn Laborstudien können das Geschehen im Klassenzimmer nur bedingt abbilden – schon weil das schulische Lernen nahezu immer in der Gruppe stattfindet. Suzanne Dikker von der New York University und ihre Kollegen haben diese Frage nun mit einem innovativen Ansatz erkundet: Sie brachten tragbare EEGs direkt in den Klassenraum.

Für ihre Studie begleiteten die Forscher zwölf Highschool-Schülerinnen und Schüler während eines ganzen Schulhalbjahres. In jeder Biologiestunde leiteten sie mittels Elektroenzephalogramm (EEG) die Hirnströme der jungen Probanden ab. Sie verglichen dann, wie synchron die Hirnaktivität der Schüler untereinander war und wie sich dies durch Unterrichtsstil, Beliebtheit des Lehrers oder Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe veränderte.

Synchron bei Gruppenarbeit und beliebten Lehrern

Das Ergebnis: Je engagierter die Schüler dem Unterricht folgten, desto synchroner waren ihre Hirnströme untereinander – ein Zeichen für hohe gemeinsame Aufmerksamkeit. Der Gleichtakt der Gehirne war dabei besonders stark ausgeprägt, wenn die Schüler in Gruppenarbeit zusammenarbeiteten oder gemeinsam ein Video schauten. Weniger synchron lief es dagegen im klassischen Frontalunterricht.

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Die Hirnströme waren zwischen den Schülern synchron, wenn Unterrichtsstil, Lehrer und Gruppe passten. © VarvaraShu, Phonlamai/ iStock.com

Doch auch die soziale Dynamik im Klassenraum spielt eine wichtige Rolle: Je wohler sich ein Schüler in der Gruppe fühlt, desto eher schwingen seine Gehirnwellen im Gleichtakt. „Die Synchronität zwischen den Gehirnen der Schüler reflektierte auch, wie sehr die Schüler die Lehrkraft und ihre Mitschüler mochten“, so Dikker. „Je besser ein Schüler seinen Lehrer bewertete, desto weniger Unterschiede gab es im EEG-Gleichtakt zwischen den verschiedenen Unterrichtsformen wie Video oder Lehrervortrag.“

Gleichtakt signalisiert Aufmerksamkeit

Der Live-Blick in die Gehirne einer Schulklasse liefert gleich mehrere interessante Erkenntnisse. Zum einen bestätigt er, dass die Gehirnaktivität beim schulischen Lernen durch mehrere Faktoren beeinflusst wird: Der Unterrichtsstil und die Beliebtheit des Lehrers spielen eine Rolle, aber auch die persönlichen und sozialen Eigenheiten der jeweiligen Klasse.

Zum anderen erhellt die EEG-Studie, was beim gemeinsamen Lernen im Gehirn passiert und welche Rolle die Synchronität der Hirnaktivität dabei spielt. Denn wie die Forscher erklären, spiegelt der Gleichtakt der Gehirnwellen eine spezielle Form der Aufmerksamkeit wider: Wenn sich alle Beteiligten auf den gleichen Reiz oder die gleiche Abfolge von Reizen konzentrieren, koordiniert diese Stimulation auch ihre Gehirnwellen.

„Je mehr Aufmerksamkeit wir diesen Reizmustern widmen, desto mehr passt sich unser Gehirn diesen Mustern an“, so Dikker. „Wenn mein Sitznachbar und ich uns stark auf diese Reize konzentrieren, gleichen sich dadurch auch unsere Hirnwellen an – weil sie auf die gleiche Information fokussiert sind.“

Was lehrt uns das?

Für den Schulunterricht bedeutet dies: Je wohler sich die Schüler in ihrer Klasse und mit dem Lehrer fühlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich auf den Stoff einlassen und ihm die nötige Aufmerksamkeit schenken. Gleichzeitig könnte die Studie Hinweise darauf geben, dass Gruppenarbeit und andere gemeinsame Lernformen tatsächlich besser funktionieren als der klassische Frontalunterricht.

Ob und wie allerdings der Gleichtakt der Schülergehirne tatsächlich deren Lernerfolg beeinflusst, haben Dikker und ihre Kollegen noch nicht untersucht. Dies wäre sicher eine interessante Frage für eine Folgestudie. Ihre Methode der vor-Ort-Analyse der Gehirnströme wollen die Forscher nun auch bei größeren Gruppen von bis zu 45 Personen ausprobieren und auch in anderen Zusammenhängen – beispielsweise bei Zuschauern eines Films oder eines Theaterstücks. (Current Biology, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.04.002)

(Cell Press, 28.04.2017 – NPO)

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