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Neurobiologie

Unser Auge sieht sogar einzelne Photonen

Experiment enthüllt überraschend hohe Lichtempfindlichkeit unseres Sehsinns

Wie lichtempfindlich unser Sehsinn ist, war lange unklar. © Mishoo/iStock.com

Das menschliche Auge ist lichtempfindlicher als gedacht: Es kann sogar noch ein einzelnes Photon wahrnehmen – und damit die kleinste physikalische Einheit des Lichts. Das belegt erstmals ein Experiment mit einer speziellen Quanten-Lichtquelle, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten. Wie unser Sehsystem es allerdings schafft, das schwache Photonensignal aus dem Hintergrundrauschen herauszufiltern, ist bisher rätselhaft.

Wir Menschen gelten gemeinhin nicht gerade als die Superaugen – es gibt viele Tiere, die vor allem nachts weitaus besser sehen als wir. Aber wo genau liegt die Grenze unserer Lichtwahrnehmung? „Obwohl dies seit 70 Jahren untersucht wird, ist bis heute unklar, wo die absoluten Grenzen liegen“, erklären Jonathan Tinsley von der Universität Wien und seine Kollegen.

Wie gut ist unser Auge?

Zwar ergaben Studien, dass unsere sensitivsten Sehsinneszellen, die Stäbchen, schon auf ein ein einzelnes Photon reagieren, ob Menschen dieses Signal aber bewusst registrieren, blieb unklar. Einer der Gründe dafür: Es fehlte schlicht an der Technik, mit der sich einzelne Photonen auf das Auge eines Probanden schießen ließen.

„Es ist nicht einfach, Licht zu erzeugen, das aus genau einem oder einer definierten Anzahl von Photonen besteht“, eklärt Studienleiter Alipasha Vaziri von der Universität Wien. „In Licht aus klassischen Quellen ist die Photonenenzahl statistisch verteilt. Durch Dimmen kann man nur die mittlere Photonenzahl eines Lichtpulses verringern, die exakte Anzahl ist nicht bestimmbar.“

Licht oder nicht?

Dieses Problem lösten die Forscher nun, indem sie eine Lichtquelle konstruierten, die bisher nur im Bereich der Quantenoptik und Quanteninformation zum Einsatz kam. Ein optischer Kristall bringt darin ein energiereiches Photon dazu, in zwei verschränkte Photonen niedrigerer Energie zu zerfallen. Im Versuch wurde jeweils eines der Photonen zum Auge der Versuchsperson geleitet, während das andere gleichzeitig auf einen Detektor traf.

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Zwei verschränkte Photonen werden erzeugt, einer geht in einen Sensor,der andere ins Auge des Probanden. © IMP

Für den eigentlichen Test saßen die Probanden – junge Männer mit optimaler Sehfähigkeit – in einem lichtisolierten Raum und sollten nach einer Eingewöhnungsphase angeben, in welchem von zwei aufeinanderfolgenden Zeitintervallen sie glaubten, in der absoluten Dunkelheit ein Licht gesehen zu haben. Zudem sollten sie angeben, wie sicher sie sich jeweils waren. Insgesamt wiederholten die Forscher diesen Versuch mit verschiedenen Teilnehmern mehr als 30.000 Mal.

„Das ist kein Zufall mehr“

Das Ergebnis: Die Versuchsteilnehmer lagen in mehr als der Hälfte der Fälle richtig. Ihre Trefferquote war damit signifikant höher als bei reinem Zufall, wie die Forscher berichten. Werten die Forscher nur die Versuche, in denen sich die Probanden sehr sicher waren, stieg die Trefferquote sogar auf 60 Prozent.

„Das spricht dafür, dass das menschliche Auge tatsächlich imstande ist, ein einzelnes Photon zu erkennen“, sagt Varizi. „Das ist wirklich bemerkenswert und zeigt, bis zu welch erstaunlicher Effizienz die Evolution die Empfindlichkeit der Sinnesorgane vorantreiben kann – in diesem Fall bis zur Einheit der physikalischen Größe selbst.“

Was den Physiker besonders fasziniert: „Hier trifft ein Photon, die kleinste Einheit des Lichts, auf ein biologisches System, bestehend aus Milliarden von Zellen. Das extrem schwache Signal durchläuft mehrere Schritte biologischer Singnalverarbeitung bis hin zur bewussten Wahrnehmung und geht trotz aller möglichen Quellen des Rauschens nicht verloren.“

Rätselhafter „Priming“-Effekt

Wie sensibel die menschliche Netzhaut auf das Licht reagiert, hängt dabei offenbar nicht nur von individuellen Unterschieden ab. Wie ein weiteres Experiment ergab, stieg die Trefferquote der Probanden auch dann, wenn die Forscher zwei Einzelphotonen nacheinander mit maximal fünf Sekunden Abstand auf ihre Augen schickten.

„Wir vermuten, dass die Detektion eines einzelnen Photons vorübergehend die Sensibilität des Sehsystems für solche Ereignisse in extrem lichtarmen Bedingungen erhöht“, erklären die Wissenschaftler. Dieser sogenannte Priming-Effekt „eicht“ das Auge sozusagen darauf, auf besonders schwache Signale zu reagieren. Welche neurophysiologischen Mechanismen diesem Effekt zugrunde liegen, ist allerdings noch unbekannt.

Offen bleibt auch, wie das Sehsystem es schafft, das Signal nur eines Photons aus dem Hintergrundrauschen herauszufiltern. Alipasha Vaziri und sein Team wollen diesen Fragen in den kommenden Jahren auf den Grund gehen. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms12172)

(Universität Wien/ Nature, 20.07.2016 – NPO)

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