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Physik

Wettstreit um das Maß aller Massen

Vier Methoden wetteifern darum, die künftige Definition des Kilogramms zu stellen

Ginge es nach dem Avogadro-Projekt, dann könnte künftig eine solche Siliziumkugel bei der Bestimung des Referenz-Kilogramms helfen. Die Atomzahl einer solchen Kugel wäre ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer neuen Kilogramm-Definition. © PTB

Das Ur-Kilogramm hat bald ausgedient: Die Grundeinheit der Masse soll künftig von einer Naturkonstante abgeleitet werden, statt vom metallenen Ur-Kilogramm in Paris. Deshalb konkurrieren nun weltweit vier Methoden darum, die künftigen Referenzmessungen für das Kilogramm zu liefern. Noch bis Juli 2017 haben die Forscher Zeit, die Präzision und Genauigkeit ihrer Methoden zu beweisen. 2018 dann soll eine Entscheidung fallen. Bisher ist es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Das Kilogramm ist ein echter Sonderfall: Es ist die einzige Basiseinheit, die noch nicht über eine fundamentale Konstante der Physik bestimmt wird. Stattdessen dient ein eigroßer Zylinder aus einer Platin-Iridium-Legierung als Referenz, aufbewahrt unter einer dreifachen Käseglocke im Keller des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM) in Sèvres bei Paris. Das ist fürs Nachmessen eher unpraktisch und zudem zeigen Messungen, dass die 42 über die Welt verteilten Kopien dieses Referenzgewichts im Laufe der Zeit immer stärker voneinander abweichen.

Vier konkurrierende Kandidaten

Deshalb suchen Forscher in aller Welt nach einer neuen Referenz für das Kilogramm – und diesmal einer, die keines Referenzkörpers bedarf. Idealerweise soll sich künftig auch die Masse über eine der Basisgrößen der Physik ermitteln und eichen lassen. Angestrebt ist dafür die Planck-Konstante h – die kleinste im Universum mögliche Energiewirkung

Doch das ist nicht so einfach: Zurzeit konkurrieren vier Methoden darum, eines Tages das Ur-Kilogramm abzulösen. Wer von diesen Kandidaten letztlich das Rennen machen wird, entscheidet sich voraussichtlich im Jahr 2018. Dann soll offiziell das Kilogramm neu definiert werden. Ausgewählt wird die Methode, die die verlässlichsten, reproduzierbarsten und mit am wenigsten Unsicherheiten behafteten Messergebnisse liefert. Noch bis zum Juli 2017 haben die Forscherteams Zeit, ihre Messungen einzureichen.

Die Watt-Waage am NIST in den USA ermittelt über elektromagnetische Umwege den genauen Weg der Planck-Konstante. © Jennifer Lauren Lee/ NIST PML

Atome, Magnetkraft und die Planck-Konstante

Das Avogadro-Projekt, an dem auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt beteiligt ist, strebt eine Definition über die Avogadro-Konstante an. Aus ihr ergibt sich ausgehend von bekanntem Volumen und Teilchenzahl die Masse eines Körpers. Ein weiterer Ansatz, das Goldionen-Akkumulation-Experiment, nutzt einen Strahl aus Goldionen, um zu zählen, wie viele Goldatome für ein Kilogramm benötigt werden.

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Bei den beiden anderen Kandidaten wird die Kilogramm-Referenz über elektromagnetische Messungen ermittelt: Beim magnetischen Schwebe-Experiment wäre dies die magnetische Flussdichte. Bei der sogenannten Watt-Waage wird gemessen, welche elektromagnetische Lorentz-Kraft nötig ist, um das Gewicht einer Masse auszugleichen. Über Umwege ergibt sich daraus als Basis für das Kilogramm die Planck-Konstante.

Avogadro-Projekt: Eine Kugel aus einem nahezu isotopenreinem Si-28-Einkristall als Messhilfe. © PTB

Wer hat die Nase vorn?

Bisher sieht es so aus, als hätten die Vertreter der Avogrado- und der Watt-Waagen-Methode die Nase vorn. Stephan Schlamminger vom US National Institute of Standards and Technology (NIST) und seinen Kollegen gelang es jetzt, die Unsicherheit ihrer Watt-Waage auf nur noch 34 Milliardstel zu senken. Kanadische Forscher sollen bereits einen Unsicherheitsfaktor von nur noch 20 Milliardstel erreicht haben.

Im Avogadro-Projekt gelang es Forschern, die Zahl der Atome in einer Kugel aus einem Silizium-Einkristall so genau zu zählen, dass auch bei ihnen die Unsicherheit bei nur noch 20 Milliardstel liegt. Über Umwege lässt sich aus der Avogadro-Methode ebenfalls die Planck-Konstante ermitteln, so dass die Basis beider Methoden letztlich die gleiche wäre.

Der Wettstreit der Metrologen ist in vollem Gange. Man darf gespannt sein, wer letztlich das Rennen machen wird. Klar ist aber auch: für unseren Alltag wird sich nichts ändern. „Das ist der frustrierende Teil unseres Jobs als Metrologen: Wenn wir ihn richtigmachen, merkt keiner etwas davon“, sagt Schlamminger.

(PTB/NIST, 22.06.2016 – NPO)

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