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Neurobiologie

Rückenschmerzen lassen Hirn schrumpfen

Chronische Schmerzen zerstören graue Substanz im Gehirn

Chronische Rückenschmerzen lassen Nervenzellen im Gehirn eingehen. Wie amerikanische Forscher herausgefunden haben, ging die graue Masse bei Schmerzpatienten um rund elf Prozent ging zurück – eine Menge, die im Laufe der normalen Alterung zehn bis 20 Jahre für ihren Abbau benötigt.

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Der Verlust an Nervenzellen ist korreliert mit der Dauer der chronischen Schmerzen, so A. Vania Apkarian von der Northwestern Universität in Chicago. Für jedes Jahr der Schmerzen verschwinden 1,3 Kubikzentimeter an grauer Hirnmasse, dem Gehirnteil, der für die Verarbeitung von Informationen und das Gedächtnis entscheidend ist. Die Studie wurde im Journal Neuroscience veröffentlicht.

Rund 25 Prozent aller Europäer und Amerikaner leiden unter Rückenschmerzen, in einem Viertel dieser Patienten sind die Schmerzen chronisch. Sie mindern nicht nur die Lebensqualität und fördern Depressionen und Ängste, sondern verändern auch die Hirnchemie. Dennoch gingen die Wissenschaftler bisher davon aus, dass das Gehirn nach Ende der Schmerzphase wieder in seinen normalen Zustand zurückkehrt – sich quasi erholt.

In ihrer Studie nutzten Apkarian und seine Kollegen die Magnetresonanztomographie und weitere bildgebende Verfahren, um die Gehirne von 26 Probanden mit chronischen Schmerzen mit denen von schmerzfreien Freiwilligen zu vergleichen. Alle Schmerzpatienten litten seit mehr als einem Jahr unter chronischen Rückenschmerzen, meist in der Lendenregion mit teilweise bis in die Beine ausstrahlenden Beschwerden. Bei ihnen unterschieden die Forscher zwischen Neuropathien – Schmerzen durch Schädigung der Nerven – und nicht-neuropathischen Schmerzen.

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Bereits in früheren Untersuchungen hatten Apkarian festgestellt, dass Rückenschmerzen von einem halben Jahr und länger deutliche Veränderungen in der Gehirnchemie, insbesondere in der Region, die für die emotionale Einschätzung von Situationen, das Fällen von Entscheidungen und die Kontrolle des Sozialverhaltens zuständig sind.

Basierend auf diesen Ergebnissen erforschten Apkarian und Kollegen nun gezielt, ob auch eine Atrophie, eine Schrumpfung des Gehirns, damit verbunden ist. Und tatsächlich stellten sie genau das fest. Die beobachtete Atrophie der grauen Masse könnte allerdings, so die Wissenschaftler, auch auf eine Gewebeschrumpfung ohne größeren Verlust an Neuronen zurückzuführen sein. Dies würde bedeuten, dass der Schaden mit richtiger Behandlung reversibel wäre. Allerdings könnte die Schrumpfung genauso auch auf irreversiblen Schäden wie einer Neurodegeneration beruhen. Bei Ratten haben andere Studien bereits gezeigt, dass chronische Schmerzen zu Apoptose – programmiertem Zelltod – von Rückenmarkszellen führen.

„Gehen wir davon aus, dass chronischer Schmerz ein Zustand kontinuierlicher Reizung mit damit verbundenen negativen Emotionen und Stress ist, wäre eine mechanistische Erklärung für die geschrumpfte graue Masse eine ‚Übernutzung’ durch exitatorische und entzündliche Mechanismen“, erklärt Apkarian. Die Forscher vermuten, dass die Atrophie von Teilen der Gehirnschaltkreise die chronischen Schmerzen hartnäckiger und weniger empfänglich gegenüber einer Therapie machen könnte.

(Northwestern University, 29.11.2004 – NPO)

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