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Evolution

Sprache: Warum Deutsch kein Singsang ist

Ob eine Sprache vielfältige Tonhöhen-Wechsel umfasst, hängt auch von Klima ab

Die roten Punkte und abgeblassten Regionen zeigen, wo Tonsprachen gesprochen werden © Everett et al. /PNAS

Warum ist die deutsche Sprache eher eintönig und unmelodiös, Chinesisch aber ein wahrer Singsang? Und warum häufen sich Sprachen mit extremen Tonmodulationen in bestimmten Gegenden der Erde? Das haben Forscher nun überprüft und dabei Interessantes entdeckt: Demnach entwickelten sich die Tonsprachen überall dort, wo es warm und feucht war, weil dieses Klima die Stimmbänder quasi „ölt“.

Der Ton macht die Musik: Die Tonhöhe ist in allen Sprachen ein wichtiger Teil der Kommunikation – in manchen mehr, in anderen weniger. Deutsch oder Englisch beispielsweise bleiben immer noch verständlich, selbst wenn ein Roboter alle Wörter gleich betont. Im chinesischen Mandarin dagegen kann die Betonung den Sinn eines Wortes komplett verändern. „Ma“ mit einer gleichmäßigen Betonung bedeutet „Mutter“, „ma“ mit einer zunächst sinkenden und dann steigenden Betonung heißt „Pferd“.

Rätselhafte Häufung

„Nur wer die Tonhöhe korrekt trifft, kann sich in einer solchen sogenannten Tonsprache ausdrücken“, erklärt Seán Roberts vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. Er und seine Kollegen haben sich gefragt, warum sich diese Tonsprachen in bestimmten Gegenden der Erde häufen. Sie kommen vor allem in tropischen Regionen der Erde vor.

Ihr Verdacht: Das Klima und im Speziellen die Luftfeuchtigkeit könnte etwas damit zu tun haben. Denn trockene Luft belastet die sensiblen Stimmlippen im Kehlkopf – sie trocknen aus und können dann weniger gut eine Tonhöhe treffen oder den Ton modulieren. Die Forscher vermuteten deshalb, dass sich Tonsprachen seltener in trockenen Regionen entwickeln, da variantenreiche Tonhöhen unter diesen Bedingungen schwerer zu produzieren sind und leichter zu Missverständnissen führen.

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Trockenheit macht Sprachen eintönig

Um das zu prüfen, haben die Forscher haben den Zusammenhang zwischen Feuchtigkeit und der Bedeutung der Tonhöhe an über 3.750 Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien untersucht. Dafür nutzten sie spezielle Auswertungsmethode, um den Effekt der Lage und des Klimas von der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache trennen zu können – denn oft werden die Merkmale einer Sprache auch von ihren Nutzern in ein neues Gebiet mitgebracht.

Das Ergebnis: Von den 629 Sprachen mit komplexen Tonhöhen-Modulationen kamen die meisten tatsächlich in den feuchten Tropen und Subtropen vor. In trockenen und vor allem trocken-kalten Gebieten dagegen gibt es fast nur Sprachen, bei denen die Tonhöhe nur eine untergeordnete Bedeutung spielt. „Wenn in Deutschland ein feuchter Regenwald wachsen würde, hätte sich Deutsch vielleicht auch zur Tonsprache entwickelt“, sagt Roberts.

Umwelt beeinflusst Sprache

Nach Ansicht der Forscher demonstriert dies, dass nicht nur gesellschaftliche und historische Faktoren bestimmen, welche Sprache ein Volk spricht, sondern dass auch Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle spielen. Bereits im Jahr 2013 hatten Forscher festgestellt, dass auch die Landschaftsform die Sprachentwicklung beeinflusst: Fast alle Völker, die in Gebirgsregionen leben, nutzen sogenannte Ejektiv-Laute – Konsonanten, die mit einem speziellen Kehlkopf-Laut enden. Bei Flachländern wie den meisten Mitteleuropäern dagegen sind solche Laute eher selten.

Jetzt zeigt sich, dass neben der Geografie auch das Klima eine Rolle spielt: Es prägt offenbar die Komplexität der Betonung. Selbst kleine Effekte können sich im Laufe der Generationen so verstärken, dass ein globales Muster entsteht. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1417413112)

(Max-Planck-Gesellschaft / PNAS, 22.01.2015 – NPO)

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