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Evolution

Riechen machte Ur-Säuger schlau

Vergrößertes Riechhirn als erster Schritt zum Hirnwachstum der Säugetiere?

Gehirn (rötlich) und Riechhirn (rosa) des Ur-Säugetiers Hadrocodium (unten) und des modernen Opossums. Beide Gehirne besitzen schon sehr ähnliche Strukturen und ein vergrößertes Riechhirn. © Matthew Colbert/ University of Texas

Warum haben Säugetiere ein im Verhältnis deutlich größeres Gehirn entwickelt als andere Tiere? Auf diese Frage haben jetzt Paläontologen in „Science“ eine überraschende Antwort gefunden: Damit sie besser riechen konnten. Sie hatten festgestellt, dass bei zwei 190 Millionen Jahren alten Ur-Säugetieren vor allem die Gehirnbereiche vergrößert waren, die dem Riechen sowie dem Erspüren von Berührungen des Fells dienten. Beide Sinne könnten in der Umwelt dieser nur wenige Zentimeter kleinen Winzlinge überlebenswichtig gewesen sein.

Schon seit längerem ist die Frage offen, warum Säugetiere – und auch der Mensch – größere Gehirne entwickelt haben als andere Tiergruppen. Immerhin hat sich das Denkorgan im Laufe der Säugetierevolution um das mehr als Zehnfache als es der relativen Körpergröße entspräche ausgedehnt. Diese Entwicklung setzte dabei bereits lange vor der Entstehung der ersten Menschen oder Vormenschen an. Was war der erste Anstoß für diesen Volumenzuwachs? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat jetzt ein Team von Paläontologen um Tim Rowe von der Universität von Texas in Austin und weiteren Forschungseinrichtungen frühe Säugetiere mittels Computertomografie untersucht.

3D-Rekonstruktion des Schädelinneren enthüllt überraschend große Gehirne

Untersuchungsobjekte waren in China entdeckte Fossilien die beiden vor rund 190 Millionen Jahren Jahre lebenden Gattungen Morganucodon und Hadrocodium. Die beiden nur wenige Zentimeter großen Vierbeiner gehören zu den ältesten bekannten Säugetieren des Jura. Die Wissenschaftler erstellten systematische Schnittaufnahmen der Schädelanatomie dieser Tiere und rekonstruierten daraus hochauflösende dreidimensionale Abbilder des Schädelinneren. Diese erlauben Rückschlüsse unter anderem darauf, wo bestimmte Gehirnbereiche liegen und wie stark sie ausgeprägt waren. Parallel dazu analysierten die Forscher auch die Schädelanatomie von einem Dutzend weiterer Fossilien und rund 200 heute lebenden Säugetieren mittels CT.

Der Vergleich der Schädel erbrachte ein überraschendes Ergebnis: Selbst vor 190 Millionen Jahren waren die Gehirn der frühesten Säugetiere bereits auffallend groß. Das Gehirn-Körper-Verhältnis war schon damals dem der heutigen Säugetiere sehr nahe und damit deutlich „moderner“ als erwartet. Gegenüber älteren Vorformen ermittelten die Forscher einen Zuwachs von rund 50 Prozent.

Fossiler Schädel des vor 190 Millionen Jahren lebenden Säugetiers Hadrocodium wui. Der Schäädel ist nur 1,2 Zentimeter lang. © Mark A. Klingler/ Carnegie Museum of Natural History

Riechhirn besonders groß

Und die CT-Aufnahmen enthüllten auch, welcher Gehirnregion dieser Größenzuwachs zu verdanken war: dem Riechhirn. Bei beiden fossilen Säugern war der Schädelbereich, in dem der für den Geruchssinn zuständige Gehirnbereich saß, besonders ausgeweitet. Die Forscher stellten zudem fest, dass das Kleinhirn (Cerebellum) im Vergleich zu Vögeln und Reptilien deutlich mehr Furchen und Faltungen aufwies. Dieser Oberflächenzuwachs deutet auf eine Weiterentwicklung der neuromuskulären Fähigkeiten hin. Ebenfalls auffallend groß war der Bereich, der über das Fell und die Haut aufgenommene Berührungsreize verarbeitet.

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„Unsere Studie zeigt klar, dass der olfaktorische Teil des Gehirns und der Teil, der mit dem Tastsinn über das Fell verbunden ist bei diesen frühen Säugetieren vergrößert waren“, erklärt Zhe-Xi Luo vom Carnegie Museum of Natural History. „Ein gut ausgebildeter Geruchs- und Tastsinn war für die Säugetiere vermutlich entscheidend, um in diesem frühesten Teil unserer evolutionären Geschichte zu überleben und sich sogar auszubreiten.“

Fell als „Luftzug-Sensor“?

Beide Jura-Säuger besaßen wahrscheinlich bereits Fell und nutzten es nach Ansicht der Wissenschaftler für weitaus mehr als nur den Kälteschutz: Die Körperbehaarung der nur zentimetergroßen Tiere diente vermutlich am Anfang auch als eine Art „Luftzug-Sensor“, der anhand der Luftströmungen und leichter Berührungen das Navigieren beispielsweise in engen Gängen und Spalten erleichterte. Mit der Verbesserung des Tastsinns entwickelten sich auch die sensorischen Felder, die Bereiche der Hirnrinde, in denen Reize von aßen verarbeitet werden.

„Jetzt, wo wir ein allgemeines Bild des Gehirns bei unseren Säugetiervorfahren haben, wollen wir auch seine Weiterentwicklung im Laufe der Evolution und Differenzierung der Säugetiere untersuchen“, erklärt Rowe. „Das könnte weitere Klarheit darüber bringen, wie sich große Gehirne und extreme Anpassungen der Wahrnehmung bei Säugern entwickelten, wie beispielsweise der Elektrosinn beim Schnabeltier und das Sonar der Wale und Fledermäuse. Das ist wirklich sehr spannend.“ (Science, 2011; DOI: 10.1126/science.1203117)

(Carnegie Museum of Natural History, 20.05.2011 – NPO)

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