Aktuelle Forschungsergebnisse von Zellbiologen werfen ein neues Licht auf die Mechanismen, mit denen Bakterien den menschlichen Körper besiedeln. Denn die Wissenschaftler konnten experimentell beweisen, dass an den Menschen angepasste Mikroben die Abschilferung von Schleimhautzellen unterdrücken, um ihren Wirt besser kolonisieren zu können.
Die Erkenntnisse der Forscher um Professor Dr. Christof Hauck von der Universität Konstanz in der Wissenschaftszeitschrift „Science“ stellen damit den bislang wenig beachteten Abschilferungsprozess, die so genannte Exfoliation, in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses: „Wenn der Vorgang der Exfoliation besser verstanden wird, können wir in der Zukunft auch die raffinierten Tricks der Bakterien aushebeln und dieses Wissen für prophylaktische oder therapeutische Ansätze nutzen“, erklärt Hauck.
Mikroben erobern Schleimhäute
Bevor sie sich in ihrem Wirt ausbreiten können, besiedeln viele Mikroben zunächst die Schleimhäute des menschlichen Körpers, zum Beispiel den Rachenraum, den Darm oder den Urogenitaltrakt. Sich dort zu behaupten, ist für die Mikroorganismen kein einfaches Unterfangen, denn wie bei einem Kalender das aktuelle Tagesblatt, so können die oberflächlichen Zellen der Schleimhaut eine nach der anderen abgeschilfert werden. Diese ständige Gewebeerneuerung, die auch als Exfoliation bezeichnet wird, beugt einer Einnistung von Erregern vor.
Die neue Studie der Konstanzer Zellbiologen um Hauck belegt nun, dass spezialisierte Bakterien zu einer raffinierten Gegenmaßnahme greifen: Sie regen die Schleimhautzellen zu einer erhöhten Anheftung an das Bindegewebe an und sorgen dafür, dass die infizierten Zellen sich nicht mehr aus dem Gewebeverband herauslösen können. Die Forscher konnten aufzeigen, dass die Erreger dadurch nicht nur die Exfoliation unterdrücken, sondern auch die Schleimhaut weitaus effizienter besiedeln können.
Hochspezialisierte Gonokokken
Die Wissenschaftler erforschten die bakterielle Besiedlung von Schleimhäuten anhand der hochspezialisierten Gonokokken, die die als Tripper bekannte Geschlechtskrankheit verursachen können: „Diese Bakterien sind ausgezeichnete Kolonisierer der Schleimhaut und ein Paradebeispiel für Erreger, die sich speziell an den Menschen angepasst haben: Es gibt sie ausschließlich beim Menschen und nirgendwo sonst in der Natur – so ein hoher Spezialisierungsgrad findet sich nicht oft“, erklärt Hauck.
Die Forscher entdeckten, dass eine Bindung dieser Bakterien an bestimmte Rezeptoren auf den Schleimhautzellen, die so genannten CEACAMs, den Exfoliationsprozess unterdrückt. Als Ursache entschlüsselten die Biologen, dass die Bindung der Bakterien eine Signalkaskade in den Zellen in Gang setzt, welche letztlich Integrine stimuliert. Integrine sind Rezeptoren, die die Zellen am Bindegewebe haften lassen und dadurch wie eine Art hochwirksamer Klebstoff die Exfoliation der Zellen verhindern.
Eintrittspforte für nützliche Bakterien?
Weshalb die menschlichen Schleimhautzellen mit ihren CEACAMs allen Mikroorganismen einen leicht zugänglichen Schalter zur Unterdrückung der Exfoliation anbieten, ist den Forschern zufolge unklar. Interessant ist, dass sich nicht nur bei den Krankheiten verursachenden Gonokokken, sondern auch bei einigen harmlosen, auf der Schleimhaut des Hals-Nasen-Rachenraums siedelnden Keimen eine Bindung an CEACAMs nachweisen lässt.
„Wir spekulieren, dass sich der von uns aufgeklärte Mechanismus zur Unterdrückung der Exfoliation ursprünglich entwickelt hat, um eine Besiedelung mit harmlosen und für den Menschen vielleicht sogar nützlichen Bakterien zu ermöglichen“, vermutet Hauck.
Forscher wollen Exfoliationsmechanismus manipulieren
Ein Ziel der zukünftigen Forschungsarbeiten der Konstanzer Zellbiologen wird es sein, den Exfoliationsmechanismus zu manipulieren, um schädliche Bakterien fern zu halten oder nutzbringenden Bakterien die Besiedlung der Schleimhäute zu erleichtern.
(idw – Universität Konstanz, 06.09.2010 – DLO)