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Neurobiologie

Zweisprachigkeit verfeinert das Gehör

Hirnstamm verarbeitet grundlegende Laute effektiver als bei Einsprachigen

Nahaufnahme eines menschlichen Ohres © Ildar Sagdejev (Specious)

Wer von Kindheit an zwei Sprachen beherrscht, schult auch sein Gehör: In einem Raum voller Störgeräusche fällt es zweisprachigen Menschen leichter, die Klangfarben menschlicher Sprache von Störgeräuschen zu unterscheiden. Das haben US-amerikanische Forscher in einem Experiment herausgefunden. Zweisprachige Teenager konnten die einfache, keiner bestimmten Sprache zugeordnete Silbe „da“ besser aus einem Gewirr von Musik und Stimmen heraushören als gleichaltrige, die nur eine Sprache beherrschten. Diese Fähigkeit gehe über die bisher bekannten Effekte der Zweisprachigkeit hinaus. Denn sie basiere auf einer effektiveren Verarbeitung von Lauten im Hirnstamm, dem primitivsten Hirnteil, berichten die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Bisher kannte man solche tiefgreifenden Anpassungen der Hörfähigkeit nur von Profimusikern.

„Zweisprachige Menschen sind natürliche Jongleure“, erklärt Studienleiterin Nina Kraus von der Northwestern University in Evanston. Ihr Gehirn jongliere ständig mit verschiedenen sprachlichen Reizen und entwickele dabei automatisch eine größere Aufmerksamkeit für relevante gegenüber nicht relevanten Klängen. Die Herausforderung, von Kindheit an die Klänge zweier Sprachen erkennen und unterscheiden zu müssen, mache das Gehirn offenbar aufmerksamer für alle sprachtypischen Reize. „Die Zweisprachigkeit fördert damit die Fähigkeit, generell den Klang menschlicher Sprache aus der Umgebung herauszupicken und unwichtige Geräusche zu ignorieren“, sagt Kraus.

Es war bereits seit längerem bekannt, dass sich die Zentren für die Sprachverarbeitung und das Gedächtnis in der Großhirnrinde von Menschen verändern, wenn Menschen bilingual aufwachsen. Dass sich diese neuronale Spezialisierung auch auf untergeordnete, grundlegendere Fähigkeiten und Gehirnbereiche erstrecke, habe man jetzt festgestellt, meinen die Forscher. Ob dieser Effekt auch dann auftrete, wenn man eine zweite Sprache später im Leben erlerne, wollen die Wissenschaftler nun in einer weiteren Studie herausfinden.

Einfache Silbe „da“ als Schlüsselreiz

Für ihre Studie untersuchten die Forscher die Hörfähigkeit von 23 zweisprachig englisch-spanisch aufgewachsenen Jugendlichen und 25 nur englisch sprechenden Teenagern. Im ersten Versuchsteil hörten die Versuchspersonen über einen Kopfhörer mehr als 6.000 Mal in verschiedenen Abständen die gesprochene Silbe „da“. Über am Kopf befestigte Elektroden zeichneten die Forscher dabei das typische Hirnstrommuster der am Hören beteiligten primitiveren Gehirnbereiche auf.

Im eigentlichen Test spielten die Forscher erneut mehrfach diese Silbe ein – einmal ohne Störgeräusche, einmal aber inmitten eines Stimmengewirrs von weiblichen und männlichen Stimmen, die sinnlose englische Sätze durcheinander redeten. Über die Elektroden am Kopf registrierten die Forscher, wie häufig und gut die untersuchten Hirnbereiche der Probanden unter diesen erschwerten Bedingungen noch auf die „da“-Silbe reagierte.

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„Der Hirnstamm der zweisprachigen Teenager reagierte deutlicher auf den Schlüsselreiz in Form der Silbe als der der einsprachigen“, berichten Kraus und ihre Kollegen. Besonders ausgeprägt sei dieser Unterschied während des Stimmengewirrs gewesen. „Die größere Erfahrung mit verschiedenen Klängen hat das Hörsystem der Zweisprachigen effektiver, fokussierter und flexibler gemacht, es arbeitet daher vor allem unter schwierigen Bedingungen besser“, erklärt Kraus. (doi: /10.1073/pnas.1201575109)

(Proceedings of the National Academy of Sciences, 02.05.2012 – NPO)

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