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Materialforschung

Warum wird die Klinge beim Rasieren stumpf?

Forscher enträtseln den paradoxen Effekt weicher Haare auf harte Schneiden

RAsur
Obwohl Haare viel weicher sind als der Edelstahl der Rasierklinge, wird sie im Laufe der Zeit stumpf – aber warum? © Peopleimages/ iStock.com

Paradoxes Phänomen: Rasierklingen und Messer werden mit der Zeit stumpf, obwohl ihre Stahlklingen viel härter sind als Haare oder Gemüse. Woran das liegt, haben nun Forscher aufgedeckt. Demnach wird die Schneide beim Rasieren nicht rundgeschliffen, sondern sie bekommt winzige Risse und Kerben. Diese entstehen aber nur, wenn Haar im flachen Winkel auf eine bestimmte Mikrostruktur des Edelstahls trifft, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“ berichten.

Eigentlich sind Rasierklingen für ihre Aufgabe bestens gerüstet: Ihre Schneide besteht aus einem Edelstahl, dessen geschichtete Mikrostruktur, der sogenannte Lattenmartensit, ihn besonders hart macht. Darüber liegt ein noch härterer Kohlenstoffüberzug, der von einer dünnen, reibungshemmenden Polymerschicht abgeschlossen wird. Für optimale Schärfe läuft die Schneide in einem Winkel von 17 Grad auf ihre rund 40 Nanometer dünne Kante zu.

Der Härtere gibt nach

Doch all das hilft wenig: Nach einiger Zeit des Gebrauchs wird die Rasierklinge unweigerlich stumpf. „Es ist wirklich erstaunlich, dass man etwas so Weiches wie ein menschliches Haar mit etwas sehr Hartem wie dem Stahl schneiden kann und trotzdem gibt der Stahl nach“, sagt Seniorautor Cem Tasan vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Obwohl der Stahl im mehr als eine Größenordnung härter ist als das Haar, hält er offenbar der Belastung nicht stand.

Aber warum? Das haben Tasan, Erstautor Gianluca Roscioli und ihr Team nun erstmals näher untersucht. Dafür analysierten sie zunächst Rasierklingen nach jeder Rasur im Elektronenmikroskop, um die Veränderungen an der Schneidkante sichtbar zu machen.

Risse und Kerben statt Abrundung

Das überraschende Ergebnis: Entgegen den Erwartungen schliff das wiederholte Schneiden der Haare die Schneidkante nicht rund – eine klassische Abstumpfung war demnach nicht im Spiel. Stattdessen entstanden immer mehr Risse und Kerben an der dünnen Stahlkante. „Diese Mikrorisse breiten sich zunächst senkrecht zur Kante aus, bevor sie dann ihre Richtung ändern und im Bogen zurückführen – dadurch entsteht die Geometrie der Abplatzungen“, berichten die Forscher.

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Doch wie entstehen diese Kerben? Offenbar bilden sie sich nur an bestimmten Stellen der Schneide und auch nicht bei jedem Einsatz. „Wir wollten deshalb wissen, unter welchen Bedingungen dieses Abplatzen stattfindet und was es braucht, um den Stahl zum Nachgeben zu bringen“, erklärt Tasan. Dafür führten die Wissenschaftler Haare verschiedener Durchmesser und in unterschiedlichen Winkeln an eine im Elektronenmikroskop fest eingespannte Rasierklinge heran und zerschnitten sie.

Winkel und Position entscheiden

Es zeigte sich: Schneidet die Klinge das Haar genau im rechten Winkel, bleibt sie intakt. „In diesen Fällen haben wir weder eine Verformung der Schneide noch ein Abplatzen beobachtet“, berichten die Wissenschaftler. „Doch wenn wir eine realistische Situation nachstellten und die Schneide um 21 Grad neigten, führte dies zu einer plastischen Verformung des Stahls und zu Kerben an mehreren Stellen.“ Die Dicke oder Zahl der Haare spielte dagegen kaum eine Rolle.

Dafür kam ein weiterer Faktor ins Spiel: Wie die Forscher beobachteten, traten die Mikrorisse vor allem dort auf, wo die Ränder des Haares auf die Schneide trafen. „Dadurch kann ein einzelnes Haar zwei Kerben in einer Schneide verursachen – jede von ihnen beginnt an einer der beiden Seiten des Haares“, so Roscioli und seine Kollegen. Nähere Analysen enthüllten, dass dies immer dann auftritt, wenn die härtere Außenhülle des Haares auf eine der weicheren Stellen in der Mikrostruktur des Stahls trifft.

Abstumpfung durch drei Faktoren

Damit scheint klar: Für das Abstumpfen der Rasierklinge müssen drei Faktoren zusammenkommen. Das Haar muss in flachem Winkel auf die Schneide treffen, der Stahl der Schneide muss eine heterogene Mikrostruktur mit härteren und weicheren Bereichen aufweisen. Und schließlich muss die härtere Hülle des Haares genau auf eine solche weiche Stelle treffen. Dann kann selbst der harte Edelstahl Mikrorisse und Kerben davon tragen.

„Weil diese Bedingungen aber nur in einigen Fällen alle zusammenkommen, werden kommerzielle Rasierklingen erst nach mehrfacher Benutzung stumpf“, erklären die Forscher. Ihre Erkenntnisse lüften nun nicht nur das Geheimnis der stumpfen Klingen, sie könnten auch dabei helfen, künftig beständigere Klingen zu produzieren. Für den Alltag bleibt bis dahin der Rat: Je senkrechter man das Haar oder die Kartoffel schneidet, desto schonender ist dies für die Klinge. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.aba9490)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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