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Physik

Paradox im Nanomaßstab

Warum fließt Wasser in engeren Nanoröhrchen schneller und widerstandsfreier als in dicken?

Wassermoleküle
In Nanokohlenstoffröhrchen fließt Wasser völlig anders als gängiger Theorie nach erwartet. © Maggie Chiang/Simons Foundation

Verkehrte Welt: Normalerweise strömt Wasser durch weitere Rohre besser als durch dünnere. Doch im Nanomaßstab ist es genau umgekehrt: Die dünnsten Nanoröhrchen haben den geringsten Strömungswiderstand. Eine Erklärung für dieses Paradox könnten Forschende nun gefunden haben. Entscheidend ist demnach das Verhalten von Elektronen in der Röhrchenwand und ihre Interaktion mit den Wassermolekülen. Diese „Quantenreibung“ ist bei dünneren, einwandigen Nanotubes geringer, wie die Physiker in „Nature“ berichten.

In der makroskopischen Welt hängt die Flussrate in einer Leitung vor allem von ihrem Durchmesser ab: Je weiter das Rohr, desto besser und widerstandsfreier strömt die Flüssigkeit. In engeren Röhrchen wie beispielsweise unseren Blutkapillaren sorgen dagegen Reibungseffekte entlang der Wände vermehrt für Turbulenzen, die den Fluss abbremsen. In besonders glattwandigen Röhrchen sinkt dieser Grenzflächeneffekt zwar, dennoch strömt auch in ihnen Wasser nur sehr langsam und zäh – eigentlich.

Nanotube
Wasser fließt durch dünnere Nanokarbonröhrchen schneller und widerstandsfreier als durch dickere. © theasis/ Getty images

Nanoröhrchen kehren das Prinzip um

Um so überraschender ist ein Effekt, den Physiker bei Nanokarbonröhrchen beobachtet haben: Lässt man Wasser durch solche Nanotubes mit verschiedenen Wanddicken und Durchmessern strömen, reagieren sie genau umgekehrt als sie müssten. Paradoxerweise ist der Flusswiderstand umso geringer, je dünner das Röhrchen ist. Bei ultradünnen, einwandigen Kohlenstoffröhrchen fließt das Wasser sogar nahezu widerstandsfrei.

„Klassische Simulationen der molekularen Dynamik können dieses Verhalten nicht einmal qualitativ rekonstruieren“, erklären Nikita Kavokine von der Sorbonne Universität und seine Kollegen. „Das deutet darauf hin, dass da etwas Grundlegendes in unserem Verständnis der Feststoff-Fluid-Grenzfläche fehlt.“ Selbst Modelle der Quanteninteraktionen konnten das paradoxe Verhalten von Flüssigkeiten in den Nanoröhrchen nicht richtig nachbilden.

Spurensuche in der Simulation

Auf der Suche nach einer Lösung dieses Rätsels haben Kavokine und sein Team sich das Verhalten von Ladungen und im Speziellen Elektronen in den Wänden der Nanoröhrchen näher angeschaut. „In der klassischen Hydrodynamik ist eine Wand einfach eine Wand, egal woraus sie besteht“, so der Physiker. „Aber im Nanomaßstab wird dies sehr wichtig.“ Denn die Interaktion der Wassermoleküle mit Ladungen im Wandmaterial kann Quanteneffekte verursachen, die den Fluidstrom bremsen oder fördern.

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In seinem Modell simulierte das Forschungsteam den Fluss von Wassermolekülen durch Nanoröhrchen von zehn bis 100 Nanometer Durchmesser. Die Röhrchenwände bestanden dabei entweder aus einem einlagigen Kohlenstoffgitter oder aus mehrlagigem Graphit. Die Wissenschaftler prüften anhand verschiedener Szenarien, wie sich Energieaustausch und Quanteneffekte zwischen den Kohlenstoffgittern der Wände und den Wassermolekülen mit diesen Parametern verändern.

Springende Elektronen und Plasmonwellen

Das Ergebnis: Entscheidend für den paradoxen Effekt ist die Beschaffenheit der Nanoröhrchenwände. Ist das Kohlenstoffgitter mehrlagig, haben die Elektronen in der Wand viel Bewegungsfreiheit. Bei Interaktion mit den Wassermolekülen können die angeregten Elektronen zwischen den Lagen hin und her springen, wie Kavokine und sein Team berichten. Dies erzeugt an der Oberfläche der Kohlenstoffwand elektrische Schwingungsmuster, sogenannte Oberflächenplasmonen. Die sich bewegenden Wassermoleküle treten mit diesen Elektronenmustern in Wechselwirkung und werden dadurch abgebremst.

Anders ist dies bei Nanoröhrchen mit einer einlagigen Wand: In ihr haben die Elektronen weniger Bewegungsfreiheit. „Graphen zeigt daher nur sehr geringe Anregungen und nur in sehr kleinen Bewegungsgrößen“, so das Team. Als Folge sind auch die Wechselwirkungen mit den Wassermolekülen geringer – die Quantenreibung bleibt schwach. „Zusammengenommen erklärt die, warum Wasser in einlagigen Nanoröhrchen besser strömt als in mehrlagigen Graphitröhrchen.“

Wandkrümmung entkoppelt die Lagen

Doch warum spielt der Röhrchen-Durchmesser eine Rolle? Auch dafür liefert das Modell von Kavokine und seinen Kollegen eine Erklärung: In dickeren Nanoröhrchen von mehr als 15 Nanometer Durchmesser beeinflusst die Wandkrümmung die Kopplung der einzelnen Kohlenstoffschichten kaum. Die Elektronen können daher weitgehend ungehindert zwischen den Lagen springen. „Ein Röhrchen von 50 Nanometer Dicke hat daher in seiner Wand weiterhin eine graphitähnliche Struktur“, erklären die Physiker.

Bei dünneren Nanoröhrchen ändert sich dies jedoch: Durch die starke Krümmung der Wände werden die einzelnen Kohlenstofflagen stark gegeneinander verschoben und dadurch entkoppelt. Dadurch können Elektronen nicht mehr so leicht zwischen den Schichten springen und verhalten sich eher wie in einem einlagigen Kohlenstoffgitter. „In dickeren Nanotubes ist das Wasser demnach einer graphitähnlich hohen Quantenreibung ausgesetzt, während es in dünneren Röhrchen eine ähnlich geringe Reibung erfährt wie in einlagigem Graphen“, fassen die Wissenschaftler zusammen.

Erster Nachweis für Feststoff und Fluid

Nach Ansicht von Kavokine und seinen Kollegen liefert dieses Szenario die erste schlüssige Erklärung für das Nanoröhrchen-Paradox. „Unsere Studie zeigt eine Verbindung zwischen der klassischen Hydrodynamik und den Quanteneigenschaften der Materie, die bis jetzt nicht zutage getreten waren“, sagt Kavokine. Bislang wurden Quanteneffekte dieser Art nur zwischen Festoffen oder Feststoffen und einzelnen Teilchen nachgewiesen, hier wirken sie zwischen einem Feststoff und einem Fluid.

Die neuen Erkenntnisse könnten aber auch ganz praktische Anwendung finden. Denn auf Basis dieses Wissens können nun Nanokohlenstoffröhrchen je nach Zweck optimiert werden – beispielsweise bei der Entsalzung von Meerwasser, in biotechnologischen Anwendungen oder bei der Energiegewinnung. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-021-04284-7)

Quelle: Simons Foundation

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