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Chemie

Neue Molekülform des Kohlenstoffs erzeugt

Doppelt oxidierte Carbene bilden neue Stoffklasse und widersprechen Oktett-Regel

Kohlenstoffatom
Das Kohlenstoffatom hat vier Außenelektronen und geht daher bevorzugt vier kovalente Bindungen ein. Chemiker haben jetzt erstmals ein Molekül erzeugt, in dem das zentrale Kohlenstoffatom nur zwei Bindungen hat und ihm zwei Elektronen geraubt wurden. © Dorling Kindersley/ Getty images

Atomarer Elektronen-Entzug: Chemiker haben eine neuartige Molekülform des Kohlenstoffs erzeugt und nachgewiesen – das doppelt oxidierte Carben. In diesem exotischen Molekül verletzt das zentrale Kohlenstoffatom nicht nur die Oktettregel chemischer Bindungen, ihm wurden auch zwei weitere, nicht bindende Elektronen geraubt. Ähnlich wie schon die Carbene könnte sich diese neue Stoffklasse als nützlich für Chemie und Materialforschung erweisen, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Das Periodensystem der Elemente und ihre chemischen Bindungen sind von festen Regeln geprägt. Diese bestimmen unter anderem, welche Elemente miteinander Moleküle bilden und auf welche Weise. So streben gemäß der Oktettregel die Hauptgruppenelemente der zweiten Periode, darunter Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Fluor, eine mit acht Elektronen gefüllte äußere Elektronenschale an. Dadurch geht Kohlenstoff, der vier Außenelektronen besitzt, bevorzugt vier kovalente Bindungen ein – zusammen mit den vier Valenzelektronen des Partners ergibt dies die angestrebten acht Elektronen.

Oktettregel Sauerstoff
Prinzip der Oktettregel am Beispiel des Sauerstoffs: Er hat sechs Außenelektronen und benötigt daher zwei Valenzelektronen eines Partners für eine volle Außenschale. © Kharom Pleedee/ Getty images

Kohlenstoff bricht die Oktettregel

Doch die Oktettregel kann auch gebrochen werden, wie die erste Synthese stabiler Carbene im Jahr 1991 belegte. In diesen Verbindungen zwingen Bindungspartner den Kohlenstoff dazu, nur zwei statt der angestrebten vier Bindungen einzugehen. Dadurch bleiben zwei seiner Außenelektronen ungebunden. Heute spielen diese der Oktettregel widersprechenden Carbene eine wichtige Rolle für organische LEDs und Solarzellen, aber auch als Katalysatoren in der chemisch- pharmazeutischen Industrie.

Das wirft die Frage auf, ob sich der Kohlenstoff vielleicht sogar noch weiter manipulieren lässt: „Können wir noch weiter von der Oktettregel abweichen, in dem wir eine oder zwei der nichtbindenden Elektronen vom zentralen Kohlenstoffatome des Carbens entfernen?“, fragten sich Ying Kai Loh von der University of California in San Diego und seine Kollegen. Schon in den letzten Jahren hatten sie diese Moleküle quantenchemisch vorhergesagt, doch ob sich solche doppelt-oxidierten Carbene auch praktisch herstellen lassen, blieb unklar.

Diebstahl der freien Elektronen

Jetzt ist den Chemikern die Synthese dieser neuartigen Molekülklasse erstmals gelungen. Sie beruht auf einer Reaktion, die dem Kohlenstoffatom die nicht an den beiden Carbenbindungen beteiligten Außenelektronen wegnimmt. Dabei lassen die Chemiker Bis(imino)Carben mit molekularem Iod (I2) reagieren. Die beiden Iodatome des Moleküls gehen dabei eine Bindung mit den beiden freien Elektronen des Carbens ein. Weil Iod stark elektrophil ist, zieht es diese Kohlenstoff-Elektronen weit zu sich heran.

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Im nächsten Schritt versuchten die Chemiker dann, das Iod samt den beiden Kohlenstoffelektronen wieder abzutrennen – jedoch ohne Erfolg. „Das brachte uns dazu, das Iodid durch das Sauerstoff-Anion O2- auszutauschen“, berichten Loh und seine Kollegen. Der Sauerstoff bildete dabei vorübergehend eine Doppelbindung mit den zwei freien Kohlenstoffelektronen aus. Durch eine weiteren Reaktionsschritt gelang es den Chemikern dann, diesen Sauerstoff mitsamt der beiden Elektronen abzutrennen.

Kohlenstoffatom in neuem Zustand

Das Ergebnis ist ein Carben-Molekül, in dem das zentrale Kohlenstoffatom nur noch zwei gebundenen Elektronen besitzt und zwei leere Elektronenorbitale. Denn die beiden nicht gebundenen Außenelektronen wurden ihm geraubt. Als Folge ist das Atom und damit auch das Molekül doppelt positiv geladen. Es handelt sich um ein sogenanntes doppelt oxidiertes Carben – eine völlig neue Molekülform des Kohlenstoffs.

„Doppelt oxidierte Carbene waren eine hypothetische Spezies, die selbst in der Literatur nie zuvor diskutiert worden ist“, berichten die Chemiker. Ihre erfolgreiche Synthese dieser Moleküle mit extrem elektronenarmen Kohlenstoffatomen belegt nun erstmals, dass es sie gibt – und dass sie sogar stabil sind. Ob diese neue Molekülklasse des Kohlenstoffs ebenfalls neue Anwendungen ermöglichen wird, ist noch unklar. Es wäre aber durchaus denkbar, dass auch sie, wie schon die Carbene, neuartige chemische Reaktionen ermöglichen. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06539-x)

Quelle: Universität des Saarlandes

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