Immer kleiner, schneller und belastbarer – so soll die Zukunft der Elektronik aussehen. Max-Planck-Forscher sind auf dem Weg dahin jetzt einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Sie haben Wege gefunden, Graphen von elektrischen Ladungen zu befreien.
Graphen nennen Materialwissenschaftler Kohlenstoffschichten, die nicht dicker als eine oder einige wenige Atomlagen sind. Einlagiges Graphen wird so zum Halbmetall, zweilagiges zeigt dann die Eigenschaften eines Halbleiters.
Die Forscher des Max-Planck-Instituts für Festkörperforschung in Stuttgart präparierten in ihrer neuen Studie Graphen großflächig auf einer Unterlage aus Siliciumcarbid und beeinflussten seine Leitfähigkeit zum einen gezielt, indem sie an die Kohlenstoff-Blätter Moleküle der organischen Substanz F4-TCNQ hefteten. Zum anderen stellten sie das Material in einer Form her, in der es sich erst gar nicht elektrisch auflädt.
Vor allem doppellagiges Graphen wird damit auch technisch interessant: Es könnte Silicium ersetzen, da es sich zu viel kleineren Transistoren, den elementaren Bauteilen eines Mikrochips, verarbeiten lässt, schreibt die Fachzeitschrift „Physical Review“.
Eine Menge Probleme
Ein einfacher Weg nützt wenig, wenn er knapp am Ziel vorbeiführt. So lässt sich Graphen recht leicht in reiner Form und relativ großen Schichten auf einer Unterlage aus Siliciumcarbid abscheiden. Doch für weiterführende Experimente und die technischen Anwendungen, denen es einmal dienen soll, eignet es sich so nicht: Die Ladungsträger in ungeladenem einlagigem Graphen benehmen sich als ob sie keine Masse hätten. Die physikalischen Effekte, die dadurch entstehen, möchten Forscher in Zukunft genauer untersuchen.
Zwei Lagen des vernetzten Kohlenstoffs sollen außerdem als Halbleiter einmal zu kleineren elektronischen Bauteilen verarbeitet werden, als man sie aus Silicium herstellen kann. Doch auf der Unterlage aus Siliciumcarbid lädt sich Graphen elektrisch auf, und wird so zum metallischen Leiter – für die Halbleiterindustrie sowie für weitere Untersuchungen der scheinbar masselosen Ladungsträger ist es damit unbrauchbar.
Bindungen zwischen Graphen und Silicium gekappt
Ulrich Starke und sein Stuttgarter Team um Camilla Coletti und Christian Riedl können das verhindern: Sie haben Mittel gefunden, das Graphen auf der Siliciumcarbid-Unterlage von seiner Ladung zu befreien. Einer ihrer Ansätze packt das Problem da, wo es entsteht. Denn zwischen den Siliciumatomen der Unterlage und den Graphenschichten bilden sich chemische Bindungen. Das führt schließlich dazu, dass Ladung ins Graphen fließt.
Diesen Ladungstransport unterbrechen die Forscher, indem sie die Bindungen zwischen Graphen und Silicium kappen. Zu diesem Zweck leiten sie Wasserstoffgas über das Materialduo. Die Wasserstoffatome drängeln sich mühelos zwischen die Siliciumatome und die Kohlenstoffblätter.
„Auf diese Weise erhalten wir das Graphen stabil auf seiner Unterlage und gleichzeitig doch so lose, dass es ladungsfrei ist“, sagt Riedl. Auch mehrere Kohlenstofflagen können die Wissenschaftler auf dem Siliciumcarbid stapeln und deren Verbindung zur Unterlage trennen.
Neuer Weg zum Entladen von Graphen
Sie haben aber auch einen Weg gefunden, das Graphen zu entladen, ohne es vom Siliciumcarbid zu entkoppeln. Sie dampften Tetrafluorotetracyanoquinodimethan (F4-TCNQ) auf das Graphen. Die Moleküle der organischen Fluorverbindung heften sich an das Graphen und saugen die Ladung von den Kohlenstoffschichten ab. Während die Forscher immer mehr Moleküle an die Oberfläche heften, wird einlagiges Graphen zum Halbmetall, nimmt aber nicht die elektronischen Eigenschaften eines Halbleiters an. Das erreichen die Forscher jedoch in zweilagigem Graphen, das sich mit einer zunehmenden F4-TCNQ-Beladung allmählich vom metallischen Leiter zum Halbleiter wandelt.
„Mit unterschiedlichen Mengen F4-TCNQ können wir die Leiteigenschaften des Graphen präzise einstellen“, sagt Coletti, die die Experimente vorgenommen hat. Wenn zweilagiges Graphen, das technisch viel verspricht, mit der größtmöglichen Menge F4-TCNQ bedeckt ist, behält es die Eigenschaften eines Halbleiters sogar noch bei 200 Grad Celsius.
Bandstruktur des Graphen bestimmt
Dokumentiert haben die Wissenschaftler den Wandel der elektronischen Eigenschaften, indem sie die Bandstruktur des Graphen bestimmten, und zwar sowohl nach der Behandlung mit Wasserstoff als auch für unterschiedliche Mengen F4-TCNQ, die sie auf dem Material ablagerten. Die Bandstruktur ist eine Art Fingerabdruck der elektronischen Struktur und verrät, mit welchen Energien die Elektronen in einem Material gebunden sind.
Abbilden lässt sie sich mit einer Methode namens winkelaufgelöster Photoelektronenspektroskopie. Dabei schlagen Photonen aus ultraviolettem Licht Elektronen aus dem Material. Die kinetische Energie und der Winkel davonfliegender Elektronen lassen sich messen. Daraus ergibt sich unter anderem die Bindungsenergie der Elektronen und damit die Bandstruktur. „Die Messungen haben gezeigt, dass das F4-TCNQ die überschüssige Ladung aus dem Graphen vollständig aufnimmt“, sagt Coletti.
Ganz neue Forschungsrichtungen möglich
„Mit den neuen Methoden, können wir in ganz neue Forschungsrichtungen denken“, sagt Starke. So erhoffen sich die Forscher Fortschritte in der Spinelektronik – etwa indem sie magnetische Materialien an das Graphen lagern. Die Spinelektronik nutzt im Gegensatz zur herkömmlichen Elektronik das magnetische Moment eines Elektrons und nicht seine Ladung, um Information zu verarbeiten.
Auch für Kohlenstofftransistoren könnte das Graphen dank der Entladung nun noch interessanter werden. Starke erklärt: „Wenn wir es schaffen, den Graphenschichten beizubringen sich so anzuordnen, wie wir es wollen, könnten wir Transistoren entwickeln, die nur mit einem Elektron schalten.“
(MPG, 12.07.2010 – DLO)