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Physik

„Magisches“ Sauerstoff-Isotop erzeugt

Neutronenreichstes Sauerstoff-Isotop 28-O verblüfft durch eine offene Kernschale

SAuerstoff
Das gängige Sauerstoff-Isotop hat acht Protonen und acht Neutronen im Kern. Jetzt ist es Physikern jedoch erstmals gelungen, das schwerste und neutronenreichste Isotop dieses Elements herzustellen – es hat 20 Neutronen. © HT Ganzo/ Getty images

Überraschend anders: Entgegen der Theorie ist das neutronenreiche Sauerstoff-Isotop 28O offenbar doch nicht „doppelt-magisch“, wie die weltweit erste Erzeugung und Messung dieses schwersten bekannten Sauerstoff-Isotops enthüllt. Obwohl dieser Atomkern mit acht Protonen und 20 Neutronen gleich zwei volle Kernschalen haben müsste, ist dies nicht der Fall. Die Zerfallsenergien legen stattdessen nahe, dass die Neutronen-Kernschalen von 28O unvollständig sind – das wirft ein neues Licht auf die Struktur der Atomkerne, so das Team in „Nature“.

Gängiger Theorie zufolge hat auch der Atomkern eine innere Struktur: Ähnlich wie bei den Orbitalen der Elektronen scheinen auch die Protonen und Neutronen im Kern in Schalen angeordnet zu sein. Weil volle Kernschalen energetisch günstig sind, sind Atomkerne mit bestimmten Anzahlen von Protonen und Neutronen stabiler. Als solche „magischen“ Isotope gelten Atomkerne mit 2, 8, 20, 28, 50 und 82 Protonen oder Neutronen. Hat ein Kern bei Protonen und bei Neutronen eine volle Kernschale, gilt er als „doppelt magisch“ – Beispiele sind Helium-4, Sauerstoff-16, Calcium-40 und Zirkonium-80.

Sauerstoff-28
Protonen- und Neutronen-Konfiguration im Isotop Sauerstoff-28. Theoretisch müsste es demzufolge „doppelt magisch“ sein. © Tokyo Tech

Ist Sauerstoff-28 doppelt magisch?

Nach dieser Logik müsste auch das extrem neutronenreiche Sauerstoff-Isotop 28O doppelt magisch sein. „Mit acht Protonen und 20 Neutronen vereint es gleich zwei magische Zahlen in sich“, erklären Yosuke Kondo vom Tokyo Institute of Technology und seine Kollegen. Damit bietet Sauerstoff-28 die Chance, diese seltenen Atomkern-Varianten näher zu erforschen.

Gleichzeitig könnte das Isotop aber auch eine merkwürdige Anomalie klären, die bei den Elementen Neon, Natrium und Magnesium mit zehn bis zwölf Protonen beobachtet wurden: Obwohl Isotope dieser Elemente mit 20 Neutronen eigentlich eine volle Neutronen-Kernschale haben müssten, sind sie nicht magisch. Stattdessen ist der Energieabstand zwischen dieser und der nächsthöheren noch leeren Kernschale so gering, dass einige Neutronen „auswandern“ – und die „Magie“ dieser Isotope zerstören. Dieses Phänomen wird auch als „Insel der Inversion“ (IoI) bezeichnet.

Wasserstoff unter Isotopen-Beschuss

Umso spannender ist es für Kernphysiker, die Struktur des Sauerstoff-Isotops 28O zu überprüfen. Doch obwohl dieses Isotop theoretisch herstellbar ist, konnte es noch nie experimentell nachgewiesen werden – bis jetzt. Kondo und sein Team haben für ihr Experiment einen der stärksten Cyclotron-Beschleuniger weltweit genutzt, die RI Beam Factory am RIKEN-Forschungsinstitut in Japan. Dort erzeugten sie einen energiereichen Strahl des Isotops Fluor-29 – einem Kern mit neun Protonen und 20 Neutronen.

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Dieser Strahl von stark beschleunigten Fluor-Isotopen wurde in einen Tank mit flüssigem, heruntergekühltem Wasserstoff geschossen. Durch Kollisionen mit den Wasserstoffatomen verloren einige der Fluorkerne ein Proton und wurden so zu 28O. Zwar zerfiel dieses Sauerstoff-Isotop sehr schnell in einen 24O-Kern und vier einzelne Neutronen. Aber über Messungen der Geschwindigkeit und Richtung dieser Zerfallsprodukte konnten die Physiker die Energie und das Verhalten des Sauerstoff-28-Isotops ermitteln.

Magische Protonen, aber offene Neutronenschale

Das überraschende Ergebnis: Zwar entspricht die Energie des Sauerstoff-Isotops 28O im Grundzustand in etwa dem von den Modellen vorhergesagten. Doch die Entstehungsrate dieses Isotops aus dem Fluor-29-Kern passt nicht zu einem doppelt-magischen Kern. „Das Verhalten entspricht dem eines Atomkerns mit nicht-geschlossener N = 20 Neutronenkernschale“, erklärt Kondo. Damit hat Sauerstoff-28 zwar bei seinen acht Protonen eine volle Kernschale und ist damit „magisch“, nicht aber bei seinen Neutronen.

Dieses Ergebnis wirft auch ein neues Licht auf die „Insel der Inversion“ im Periodensystem: Auch Sauerstoff gehört demnach zu den Elementen, bei denen in einigen Isotopen der Energieabstand zwischen benachbarten Neutronenschalen abgeschwächt oder verschwunden ist. „Das deutet darauf hin, dass die Insel der Inversion über die Fluorisotope 28F und 29F hinaus bis zu den Sauerstoff-Isotopen reicht“, sagt Kondo.

Neuer Einblick in die Struktur des Atomkerns

Insgesamt werfen diese Resultate nicht nur ein neues Licht auf das neutronenreichste Isotop des Sauerstoffs, sie tragen auch dazu bei, gängige Modelle und Theorien zur Struktur des Atomkerns und dem Verhalten der Kernbausteine zu überprüfen. Die Erkenntnis, das Sauerstoff-28 nicht doppelt magisch ist, wirft zudem die Frage auf, wie weit sich die Insel der Inversion im Periodensystem erstreckt – hier sind weitere Experimente mit neutronenreichen Isotopen gefragt.

Ebenfalls weiter untersucht werden muss nun, warum die Neutronenschalen im Kern mancher Atome energetisch so nahe beieinanderliegen. Hier könnten Experimente helfen, die das Sauerstoff-Isotop 28O nicht nur im Grundzustand erzeugen, sondern auch in angeregten Zuständen. „Der erste angeregte Zustand von 28O muss erst noch nachgewiesen werden, aber seine Energie könnte entscheidend sein, um die nicht geschlossenen Neutronenschalen zu verstehen“, erklärt die nicht an der Studie beteiligte Physikerin Rituparna Kanungo von der Saint Mary’s University in Kanada. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06352-6)

Quelle: Tokyo Institute of Technology

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