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Medizin/Genetik

Wie endogene Viren zu Demenz und Co beitragen

Virenreste in unserem Erbgut können neurologische Krankheiten befeuern

DNA-Helix
Genetische Überreste von Viren im menschlichen Erbgut könnten für den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen von Bedeutung sein. © peterschreiber.media/ Getty Images

Virales Erbe mit Folgen: Überreste von Viren im menschlichen Erbgut könnten den Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen beschleunigen, wie eine Forschungsgruppe herausgefunden hat. Demnach tragen diese „humanen endogenen Retroviren“ (HERV) dazu bei, dass sich die Alzheimer-typischen verklumpten Tau-Proteine im Gehirn ausbreiten. Die Viren fördern dies, weil ihre Proteine den Transport der Tau-Proteine von Zelle zu Zelle über Membranbläschen erleichtern.

Die Gene von endogenen Viren sammelten sich im Laufe der Evolution in der menschlichen DNA an und sind im menschlichen Erbgut heute natürlicherweise enthalten. Sie machen rund zehn Prozent des menschlichen Genoms aus. Es handelt sich um Reste von Virengenen, die als Überbleibsel verschiedenster Virusinfektionen unserer fernen Vorfahren im Erbgut schlummern. Die Gensequenzen sind meist nicht mehr intakt oder aktiv, teilweise werden sie jedoch weiterhin abgelesen.

Seit einigen Jahren gibt es zudem Hinweise darauf, dass endogene Viren einen Einfluss auf die Gehirnentwicklung und neurologische Krankheiten wie Multiple Sklerose haben könnten.

Endogene Viren im Visier

Jetzt zeichnet sich auch ein möglicher Einfluss auf Demenzerkrankungen ab. Bislang wurde vermutet, dass zu solchen neurodegenerativen Erkrankungen vor allem Virusinfektionen zu Lebzeiten beitragen können. „Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass endogene Retroviren unter bestimmten Bedingungen aktiviert werden und zu Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen beitragen“, sagt Seniorautorin Ina Vorberg vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). „Im Blut oder Gewebe von Patientinnen und Patienten findet man nämlich Proteine oder andere Genprodukte, die von solchen Retroviren stammen.“

HERV-W und HERV-K sind zwei solcher endogenen Viren, die im menschlichen Erbgut vorkommen, sich aber meist im Schlummerzustand befinden. Frühere Studien deuten allerdings darauf hin, dass HERV-W bei Multipler Sklerose aktiviert ist und HERV-K bei der Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sowie bei der Frontotemporalen Demenz (FTD).

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Virale Proteine als Transporthelfer

Welche Rolle diese endogenen Retroviren für Demenzerkrankungen spielen, haben die Forschenden um Vorberg und Erstautorin Shu Liu vom DZNE nun näher untersucht. Sie führten Laborstudien an Zellkulturen durch, die die Situation im Gehirn modellhaft nachahmen: Dabei verwendeten sie unter anderem Zellen von Mäusen, die Proteine des endogenen Murinen Leukämievirus herstellten, und menschliche Zellen, die bestimmte Proteine aus der Hülle der beiden endogenen Retroviren HERV-W und HERV-K herstellten.

Zellkulturen
Die Forschenden führten Studien an Zellkulturen durch, wie sie in diesem Mikroskopie-Bild zu sehen sind. © DZNE / AG Vorberg (S. Heumüller)

In den Versuchen beobachteten die Forschenden, dass diese viralen Proteine den Transport bestimmter Protein-Aggregate – Verklumpungen des fehlgeformten Proteins Tau – von Zelle zu Zelle erleichtern. Tau-Aggregate treten in den Gehirnen von Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen auf – dazu zählen Alzheimer, ALS und FTD.

Die Experimente enthüllten, dass sich die endoviralen Proteine in der Zellmembran und in der Membran von nach außen von der Zelle abgeschnürten Transportbläschen einnisten und dort als Transportvermittler für die Tau-Aggregate dienen.

Mit Membranbläschen in andere Zellen

Die Proteinklumpen können dadurch auf zwei Wegen von einer Zelle zur nächsten gelangen: Entweder über die Membranfusion von zwei Zellen, die sich direkt berühren, oder eingepackt im Inneren der Vesikel. Diese kleinen Bläschen werden aus der Zellmembran nach außen abgeschnürt und können anschließend mit der Membran einer anderen Zelle wieder verschmelzen. Dadurch werden die Vesikelinhalte übertragen.

Wie Liu und ihre Kollegen feststellten, unterstützen die endoviralen Proteine diesen Prozess der Membranverschmelzung. „Endogene Retroviren wären damit zwar nicht Auslöser von Neurodegeneration, könnten den Krankheitsprozess jedoch befeuern, wenn dieser bereits in Gang gekommen ist“, erklärt Vorberg.

Insgesamt kommen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass nicht nur Vireninfektionen, sondern auch endogene Retroviren an neurodegenerativen Erkrankungen beteiligt sein können. Sie gehen davon aus, dass die „schlafenden“ endogenen Retroviren im Zuge des Alterungsprozesses „erweckt“ werden, weil sich beim Altern natürlicherweise die Regulation von Genen verändert und weil Symptome neurodegenerativer Erkrankungen meist erst im höheren Alter auftreten.

Neue Ansätze für die Therapie von neurodegenerativen Erkrankungen

Die Erkenntnis der Forschenden könnte eines Tages von neurodegenerativen Erkrankungen betroffenen Menschen helfen. Zum einen könne man versuchen, die im Alter „erwachten“ endogenen Viren wieder auszuschalten, sodass sie keine viralen Proteine herstellen. Zum andern könne man versuchen, die viralen Proteine zu neutralisieren, zum Beispiel mit Antikörpern aus einem passiven Impfstoff. Die benötigten Medikamente gibt es jedoch noch nicht, sie müssten erst entwickelt werden.

Die Bonner Forschungsgruppe will als nächstes nach passenden Antikörpern suchen. Zudem möchte das Team testen, ob vorhandene antivirale Medikamente den Transport von Protein-Aggregaten stoppen können. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-40632-z)

Quelle: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)

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