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Neurowissenschaften

Übergewicht beeinträchtigt assoziatives Lernen

"Abnehmspritze" hebt negative Wirkung der Adipositas auf den Lernerfolg wieder auf

Liraglutid
Abnehmspritzen mit GLP-1-Agonisten wie Liraglutid helfen auch gegen Adipositas-typische Beeinträchtigungen des Lernens. © Hailshadow/ Getty images

Doppelte Wirkung: Starkes Übergewicht beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit, es stört auch das assoziative Lernen, wie eine Studie enthüllt. Demnach fällt es dem Gehirn von Menschen mit Adipositas schwerer, verschiedene Reize miteinander zu verknüpfen. Die gute Nachricht jedoch: „Abnehmspritzen“ mit Wirkstoffen wie Liraglutid oder Semaglutid können diese Lerndefizite wieder ausgleichen. Im Experiment reichte schon eine einmalige Gabe von Liraglutid aus, um Lernresultate und Hirnfunktion wieder zu normalisieren.

Die unter den Präparatnamen Ozempic, Wegovy und Co gehandelten „Abnehmspritzen“ gelten als echte „Gamechanger“ im Kampf gegen hartnäckiges Übergewicht. Denn ihre Wirkstoffe –
Semaglutid oder Liraglutid – hemmen den Appetit, fördern die Insulinproduktion und lassen bei Adipositas-Betroffenen die Pfunde purzeln. Die Wirkung dieser sogenannten GLP-1 Agonisten beruht auf der Nachahmung des körpereigene Hormons GLP-1, das an Rezeptoren im Gehirn andockt und den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl beeinflusst.

Lernen durch assoziative Verknüpfung

Doch wie sich nun zeigt, entfalten Liraglutid und Co im Gehirn auch eine weitere positive Wirkung: Sie beeinflussen das assoziative Lernen. Diese Form des Lernens kommt immer dann zum Tragen, wenn wir verschiedene Reize und Erfahrungen miteinander verbinden – beispielsweise den Schmerz beim Verbrennen an einer Kerzenflamme mit dem Schein der Flamme. Aber auch Informationen über unseren internen Zustand wie Durst und Hunger werden über das assoziative Lernen mit Verhaltensweisen verknüpft.

Das Interessante daran: Eine Schlüsselrolle für diese Form des Lernens spielen Hirnregionen, die auch eng mit der Sättigung und dem Insulinhaushalt verknüpft sind. Zentral dafür ist das eng mit dem Belohnungssystem verbundene dopaminerge Mittelhirn, das zahlreiche Rezeptoren für körpereigene Hormone wie Insulin aufweist. Über Verbindungen zu weiteren Hirnbereichen beeinflusst dieses Hirnareal die Bildung neuer Synapsen und Nervenzellverbindungen – und damit das Lernen.

Lernaufgabe mit und ohne Liraglutid

Ein Team um Ruth Hanßen vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln hat nun untersucht, inwieweit das assoziative Lernen auch durch die für Adipositas typischen Stoffwechsel und Hormonveränderungen beeinflusst wird. An ihrer Studie nahmen 24 Testpersonen mit Adipositas und verringerter Insulinsensitivität teil und 30 Kontrollpersonen mit normalem Körpergewicht und guter Insulinsensitivität. Alle Teilnehmenden bekamen am Abend vor dem eigentlichen Test entweder eine Spritze mit 0,6 Milligramm des GLP-1-Agontiten Liraglutid oder eine Salzlösung als Placebo.

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Am Tag nach der Spritze folgte der eigentliche Test: Die Teilnehmenden hörten einen hohen oder tiefen Ton und sollten raten, welches von zwei Objekten sie daraufhin auf Abbildungen sehen würden – ein Haus oder ein Gesicht. Die richtige Antwort wurde nach ihrer Entscheidung eingeblendet. Im Laufe der insgesamt 320 Testdurchgänge zeigte sich, wie schnell die Testpersonen lernten, mit welchem Ton welches Objekt verknüpft war. Während dieser Experimente zeichneten die Forschenden die Hirnaktivität ihrer Testpersonen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) auf.

Defizite bei Übergewichtigen

Das Ergebnis: Bei Gabe des Placebos schnitten die normalgewichtigen Kontrollpersonen im Schnitt besser ab als die Testpersonen mit Adipositas. Auch ihre Hirnaktivität war in den für das assoziative Lernen wichtigen Hirnarealen höher. „Diese Ergebnisse sind von grundlegender Bedeutung. Ob jemand Übergewicht hat oder nicht, bestimmt also auch, wie das Gehirn lernt, sensorische Signale zuzuordnen und welcher Antrieb dabei entsteht“, sagt Seniorautor Marc Tittgemeyer vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung.

Durch den GLP-1-Agonsten Liraglutid änderte sich das jedoch: Schon die einmalige Gabe des Abnehm-Medikaments hob die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen auf, die Testpersonen mit Adipositas schnitten nun gleichgut ab wie die Kontrollgruppe, wie die Forschenden berichten. Auch in der Gehirnaktivität konnten sie nun keinen Unterschied zwischen normalgewichtigen und übergewichtigen Testpersonen mehr feststellen.

GLP-1-Agonisten normalisieren Hirnfunktion

Hanßen und ihre Kollegen schließen daraus, dass Medikamente wie Liraglutid auch gegen die negativen Folgen der Adipositas im Gehirn wirken. Unter dem Einfluss dieser GLP-1-Agonisten werden die für das assoziative Lernen wichtigen Hirnbereiche gewissermaßen wieder in den Normalzustand versetzt. Konkret zeigte sich dies im dopaminergen Mittelhirn, aber auch in den Ausläufern dieser Hirnregion, die bis in den Nucleus Accumbens und den präfrontalen Kortex reichen.

„Während es erfreulich ist, dass die verfügbaren Medikamente einen positiven Einfluss auf die Hirnaktivität bei Adipositas haben, ist es aber erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt“, betont Hanßen. „Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen. Die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option, wenn wir durch Prävention Übergewicht und Folgeerkrankungen vermeiden könnten.“ (Nature Metabolism, 2023; doi: 10.1038/s42255-023-00859-y)

Quelle: Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

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