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Biotechnologie

Synthetische menschliche Embryos erzeugt

Forschungsteam kultiviert humane Embryos aus Stammzellen bis zum Beginn der Gewebe-Differenzierung

Stammzellen
Ein Forschungsteam hat aus Stammzellen einen menschlichen Embryo erzeugt und ihn bis zum Beginn der Gastrulation kultiviert. © anusorn nakdee/ Gety images

Umstrittener Durchbruch: Ein Forschungsteam hat offenbar erstmals menschliche Embryonen aus Stammzellen gezüchtet und bis zum Beginn der Gewebe-Differenzierung am Leben erhalten. Ob und wie weit sich diese synthetischen Embryos weiterentwickelt hätten, ist unklar – das Experiment wurde nach gut 14 Tagen abgebrochen. Dennoch wirft die Produktion solcher stammzellgenerierten menschlichen Embryos erhebliche ethische und rechtliche Fragen auf.

Bisher ließen sich menschliche Embryonen nur mithilfe von Eizellen züchten – beispielsweise bei der künstlichen Befruchtung. Die Erzeugung solcher Embryos für Forschungszwecke ist dagegen stark reglementiert, in den meisten Ländern dürfen sie nicht länger als bis zum 14. Tag im Labor gezüchtet werden. Unter anderem deshalb sind die komplexen genetischen, zellbiologischen und physiologischen Prozesse bei der frühen Entwicklung eines neuen Menschen erst in Teilen erforscht.

Embryonalentwicklung
Die ersten Schritte der menschlichen Embryonal-Entwicklung bis zur Gastrula. © Anastasiia Krasavina/ Getty images

Stammzelle statt Ei und Spermium

Doch seit einigen Jahren rückt eine andere Möglichkeit immer mehr in den Fokus: Die Erzeugung menschlicher Embryos aus Stammzellen. Ausgangspunkt ist dabei statt einer befruchteten Eizelle eine Stammzelle – eine noch undifferenzierte menschliche Zelle, die aus einem frühen Embryo oder durch Reprogrammierung einer adulten Zelle gewonnen wurde. 2021 gelang es Forschenden erstmals, sogenannte Blastoide auf diese Weise zu erzeugen, Gebilde, die aber noch nicht völlig der Blastozyste eines natürlichen Embryos übereinstimmten.

2022 gelang einem Team unter Leitung von Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institute of Technology der nächste Schritt – allerdings vorerst bei Mäusen: Sie entwickelten eine Methode, mit der sie die natürlichen Einflüsse im Mutterleib so imitierten, dass die nächste Entwicklungsstufe erreicht wurde. Aus den Stammzellen wuchsen Mäuseembryonen bis in die Anfänge der Organbildung heran – sogar das Herz schlug bereits.

Jetzt auch menschliche synthetische Embryos

Jetzt haben Zernicka-Goetz und ihr Team diese Methode erstmals auch beim Menschen angewendet: Sie haben aus menschlichen embryonalen Stammzellen synthetische Embryonen gezüchtet, wie sie auf einer Tagung der International Society for Stem Cell Research berichteten. Diese menschlichen Embryos sollen im Labor etwa bis zum 14. Tag herangereift sein. Sie haben damit das Anfangsstadium der Gastrulation erreicht – die Phase, in der sich drei Keimblätter und die ersten Anlagen für Organe bilden.

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Die synthetischen menschlichen Embryos sind damit noch nicht so weit entwickelt, wie es ihre Mäusevorgänger waren: Sie haben noch kein schlagendes Herz und auch noch keine Darm- oder Nervenzellen. In den Gebilden waren aber bereits die Vorläuferzellen der Keimzellen nachweisbar, wie Żernicka-Goetz berichtete. „Unser humanes Embryomodell ist damit das erste mit allen drei Zelllinien, in dem Amnion und Keimzellen ausgebildet sind“, sagte die Forscherin gegenüber der britischen Zeitung „Guardian“.

Nähere Analysen wie die Einzelzell-RNA-Sequenzierung ergaben zudem, dass die synthetischen Embryos ihren natürlichen Gegenparts in Bezug auf ihre genetischen und biomolekularen Merkmale sehr ähnlich waren.

Potenzieller Durchbruch…

„Soweit ich weiß, ist dies das erste Mal, dass jemand menschliche Embryonen mit diesem Ansatz erzeugt hat. Daher halte ich es für einen Durchbruch oder zumindest sehr neu“, kommentiert der nicht beteiligte Humangenetiker Malte Spielmann vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Bisher gibt es allerdings keinen begutachteten Fachartikel über die Methodik – er soll aber bereits bei einem Journal eingereicht worden sein.

Unklar ist auch, ob sich diese Embryos über das 14-Tages-Stadium hinaus entwickelt hätten: Das Team brach ihr Experiment nach gut 14 Entwicklungstagen aus ethischen Erwägungen ab – vorerst. Dennoch sehen auch andere Wissenschaftler in den erzielten Ergebnissen einen wichtigen Durchbruch. „Dies hat bedeutende Implikationen. So könnte es ein Modell liefern, mit dem wir die Vorgänge in den ersten 14 Lebenstagen erforschen können“, sagt Ildem Akerman von der University of Birmingham. „Bisher hatten wir dafür nur Tiermodelle wie Zebrafische und Mäuse.“

… und rechtlich-ethische Lücke

Doch das Experiment beleuchtet auch eine gravierende Lücke in den ethischen und rechtlichen Richtlinien auf. Denn das deutsche Embryonenschutzgesetz und vergleichbare Gesetze in anderen Ländern gelten bisher nur für menschliche Embryos, die mithilfe der künstlichen Befruchtung aus Eizelle und Spermium entstanden sind. „Nach diesen Regelungen ist die Züchtung menschlicher Embryos im Labor über den 14. Tag hinaus verboten“, erklärt Akerman.

Für die aus Stammzellen gezüchteten Gebilde gelten diese Gesetze jedoch nicht: „Bisher waren ein Embryo – beispielsweise aus künstlicher Befruchtung – und ein sogenannte integriertes Embryomodell aus Stammzellen zwei unterschiedliche Dinge, denn letzteres hatte nicht die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln und implantiert zu werden“, so Akerman. Żernicka-Goetz und ihr Team haben diese Grenze nun jedoch durchbrochen: Ihre synthetischen Embryos könnten das Potenzial besitzen, sich zu menschlichen Föten weiterzuentwickeln.

„Klare Richtlinien nötig“

Das wirft die Frage auf, wie man in Zukunft mit solchen aus Stammzellen gezüchteten Embryos umgehen soll. „Einerseits bieten solche Embryomodelle aus menschlichen Stammzellen eine ethische und leichter verfügbare Alternative zu Embryos aus der künstlichen Befruchtung“, sagt James Briscoe vom Francis Crick Institute in London. „Andererseits gilt jedoch: Je näher diese aus Stammzellen erzeugten Embryomodelle an die natürlichen menschlichen Embryos herankommen, desto wichtiger ist es, klare Richtlinien für ihre Erzeugung und Nutzung zu haben.“

Dies gilt umso mehr, als dass auch andere Forschungsgruppen bereits an Verfahren zur Herstellung und Kultivierung von stammzellbasierten Embryos arbeiten. In China gelang es Wissenschaftlern im Frühjahr 2023, synthetische Affen-Embryos so weit zu züchten, dass sie Affenmüttern eingepflanzt werden konnten. Zumindest bei einigen soll die Einnistung der Embryos in die Gebärmutter gelungen sein, auch wenn sich keiner länger als ein paar Tage im Mutterleib hielt.

Quelle: The Guardian, Science Media Centre UK

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