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Medizin

Sitzverhalten: Wir stehen häufiger auf als wir denken

Beim Arbeiten sitzen die meisten Menschen nur wenige Minuten lang ohne Unterbrechung

Sitzen
Wie häufig unterbrechen wir bei der Schreibtischarbeit unser Sitzen? © YakobchukOlena/ iStock.com

Rascher Wechsel: Während der Schreibtischarbeit wechseln wir überraschend oft vom Sitzen ins Stehen und wieder zurück, wie eine Studie enthüllt. Die meisten Menschen stehen demnach schon wenige Minuten nach dem Hinsetzen wieder kurz auf. Allerdings: Auch lange, ununterbrochene Sitzphasen kommen häufig vor – und gerade die gelten als besonders ungesund. Wie wir sitzen und welche Faktoren unser „Sitzfleisch“ beeinflussen, haben die Forscher erstmals näher untersucht.

Sitzen ist das neue Rauchen: In den letzten Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass langes, ununterbrochenes Sitzen der Gesundheit schadet. Langfristig erhöht es das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs und einen früheren Tod, wie Studien belegen. Selbst wer nach der Arbeit noch Sport macht, kann diese negativen Effekte offenbar kaum ausgleichen. Deutlich effektiver ist dagegen das Herumzappeln und ein kurzes, aber regelmäßiges Unterbrechen der Sitzphasen.

Sensor am Oberschenkel

Doch wie lange dauern unsere Sitzphasen normalerweise – und wie oft stehen wir zwischendrin doch mal kurz auf? Studien zufolge wird das Sitzen ab etwa 30 Minuten ohne Unterbrechung ungesund. Aber im Alltag merken die wenigsten von uns, wie lange wir wirklich am Stück sitzen, ohne Kaffee zu holen, zum Drucker zu gehen oder die Toilette aufzusuchen. Forscher um Pam ten Broeke von der Radboud Universität in Nijmegen haben dies nun erstmals im Detail untersucht.

Für ihre Studie trugen 156 Menschen mit einem Schreibtischjob über mehrere Tage hinweg einen Beschleunigungssensor am Oberschenkel. Dieser registrierte, wann und wie lange die Versuchspersonen während ihrer Arbeitszeit aufstanden oder saßen. Im Laufe von sieben Tagen sammelten die Wissenschaftler so Daten zu mehr als 30.000 Positionswechseln ihrer Probanden. Dies ermöglichte es ihnen auszuwerten, wer wann, wie lange sitzenblieb oder aufstand.

Aufstehen schon nach gut fünf Minuten

Das überraschende Ergebnis: Die meisten Menschen wechseln weit schneller zwischen Sitzen und Stehen als ihnen bewusst ist. „Im Schnitt standen die Teilnehmer nach 5,6 Minuten des Sitzens wieder auf und setzten sich nach rund 1,8 Minuten des Stehens“, berichten ten Broeke und ihr Team. „Diese kurzen Zeitintervalle deuten darauf hin, dass Teilnehmer häufig relativ schnell zwischen Sitzen und Stehen wechseln.“

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Allerdings galt dies nicht für alle und auch nicht alle Tage: Im Schnitt 15 Prozent der Sitzphasen dauerten länger als 30 Minuten und 88 Prozent der Probanden verbrachten an mindestens einem der untersuchten Tage lange ununterbrochene Zeiten des Sitzens. „Trotz der verhältnismäßig großen Zahl kurzer Sitz- und Stehphasen gibt es demnach reichlich ungesundes Sitzverhalten am Arbeitsplatz“, konstatieren die Forscher.

Nachmittags werden wir unruhiger

Aber welche Faktoren beeinflussen, wie oft und lange wir unser Sitzen unterbrechen? Auch dazu lieferte die Studie einige Hinweise. Demnach ist die Tageszeit ein wichtiger Faktor: Um 09:00 Uhr morgens dauerten die Sitzphasen der Versuchspersonen im Schnitt 7,1 Minuten und die Stehphasen zwei Minuten. Am Nachmittag gegen 17:00 Uhr verkürzten sich beide Phasen dagegen auf nur noch 4,4 und 1,6 Minuten. Je weiter der Arbeitstag fortgeschritten ist, desto unruhiger werden wir offenbar.

Ein möglicher Grund dafür: „Später am Tag fühlen sich die Menschen erschöpfter und damit auch rastloser und weniger konzentriert“, so ten Broeke und ihr Team. „Als Folge verändern sie ihre Position beim Arbeiten dann häufiger.“ Am Vormittag arbeiten Menschen dagegen häufiger konzentriert und vertieft an einer Aufgabe und sitzen dabei über längere Zeit am Stück. Interventionen sollten sich nach Ansicht der Forscher daher vor allem auf diese frühen Phasen des Arbeitstages konzentrieren.

Alter und Fitness spielen keine Rolle

Interessant auch: Die körperliche Fitness und das Alter haben offenbar keinen Einfluss auf das „Sitzfleisch“. Denn Menschen mit Übergewicht, in höherem Alter oder mit eher unsportlicher Lebensweise blieben im Experiment nicht länger oder häufiger sitzen als junge, sportliche Versuchspersonen. „Diese Resultate sprechen dafür, dass ungesundes Sitzverhalten ein allgemeines Problem vieler Berufstätiger ist und nicht nur eines der körperlich weniger fitten oder älteren Menschen“, betonen die Forscher.

Die Studie zeigte aber auch, dass vorherige Bewegung ein aktiveres, kürzeres Sitzen fördern kann: „Nach Perioden längeren Stehens, höherer Aktivität und mehr Anstrengung neigten die Teilnehmer eher dazu, schnell wieder aufzustehen und saßen weniger lange“, berichten ten Broeke und ihre Kollegen. Ihrer Ansicht nach könnten ihre Erkenntnisse dazu beitragen, gezielte und effektivere Strategien gegen das zu lange Sitzen zu entwickeln – und so die Gesundheit von Millionen „Schreibtischtätern“ zu verbessern. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2020; doi: 10.1073/pnas.2001284117)

Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences

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