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Medizin

Schlangenbisse: Erster Schritt zum universellen Gegengift?

Synthetischer Antikörper neutralisiert mehrere häufige Nervengifte von Schlangen

Giftschlange
Wissenschaftler haben einen Antikörper entdeckt, der mehrere Toxine aus Schlangengiften hemmt. Basierend darauf kann nun ein universelles Gegengift entwickelt werden, das gegen das Gift aller Schlangen wirksam wäre. © Simon Townsley

Potentes Gegengift: Biomediziner haben einen synthetischen Antikörper hergestellt, der die Giftstoffe gleich mehrerer tödlicher Giftschlangen unwirksam macht. Anders als die bisher gängigen Gegengifte ist der neue Antikörper leicht herzustellen und besser verträglich. Damit sind die Forschenden dem Ziel, ein universelles Gegengift für alle Schlangentoxine zu entwickeln, einen großen Schritt nähergekommen. Nach demselben Prinzip können nun weitere Antikörper gegen andere Toxine hergestellt werden.

Zahlreiche Tiere verwenden Gifte, um Feinde auszuschalten oder Beute zu machen, darunter auch viele Schlangen. Jedes Jahr sterben weltweit bis zu 138.000 Menschen an einer Vergiftung infolge eines Schlangenbisses. Vor allem in afrikanischen und asiatischen Ländern mit unzureichendem Gesundheitssystem und hohem Schlangenvorkommen sterben viele Menschen an den Giften, die die Schlangen in deren Körper injizieren.

Warum braucht es neue Gegengifte?

Die bislang verfügbaren Gegengifte bestehen aus Antikörpern, die aus Tieren gewonnen werden und meist nur gegen ein spezielles Schlangengift wirken. Dafür wird den Tieren, meist Pferden, eine geringe Dosis des entsprechenden Schlangengifts verabreicht, so dass ihr Immunsystem Antikörper gegen dieses Toxin produziert. Aus dem Blut der Tiere können die Antikörper dann herausgefiltert und Menschen verabreicht werden, die von einer solchen Schlange gebissen wurden. Voraussetzung ist, dass der Übeltäter bekannt ist und das passende Gegengift verabreicht wird.

Diese Technik rettet seit Jahrzehnten Leben, hat jedoch gravierende Nachteile. Zum einen ist die Produktion in Tieren aufwendig und liefert Gegengifte mit schwankender Qualität. Zum anderen können die Antikörper beim Menschen schwere Nebenwirkungen wie einen anaphylaktischen Schock auslösen und wirken nur in einer relativ hohen Dosierung. Darüber hinaus liefert die Methode Gegengifte, die jeweils nur gegen exakt ein Schlangentoxin wirken. Forschende suchen daher seit Längerem nach einer einfacheren und zuverlässigeren Technik, die ein Gegengift mit breiterer Wirkung hervorbringt.

Forscher beim Melken einer Kobra
Das Team extrahierte für die Versuche Gift aus Kobras in Ostindien. © Kartik Sunagar

Gemeinsamkeit der Elapiden-Gifte entdeckt

Eine Forschungsgruppe um Irene Khalek vom Scripps Research Institute in Kalifornien hat nun bestimmte Nervengifte verglichen, die von zahlreichen Schlangen in Afrika, Asien und Australien erzeugt werden, darunter Elapiden wie Kraits, Kobras und Schwarzen Mambas. Deren Gifte bestehen jeweils aus einer Mischung verschiedener Proteine. Dabei stellten die Biomediziner fest, dass alle diese Schlangengifte Proteine aus der Gruppe der sogenannten langkettigen Dreifinger-α-Neurotoxine enthalten und dass diese eine bestimmte Struktur gemeinsam haben.

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16 dieser Toxine stellten Khalek und ihre Kollegen anschließend im Labor her. Zudem entwickelten sie eine Screening-Plattform, mit der sie 60 Milliarden verschiedene synthetische Antikörper daraufhin testeten, ob sie an einen oder mehrere dieser Giftstoffe binden können. Solche monoklonalen Antikörper basieren auf dem Design menschlicher Antikörper und können im Labor künstlich hergestellt werden. Dieser Herstellungsweg ist deutlich einfacher als die Produktion in Tieren und liefert in der Regel verträglichere Antikörper.

Synthetische Antikörper binden an Schlangengifte

Das Screening ergab 3.873 Antikörper, die an eines der Schlangengifte binden konnten. 16 der synthetischen Antikörper passten jedoch auf gleich fünf Toxine im Giftcocktail. „Wir konnten den sehr kleinen Prozentsatz der Antikörper identifizieren, die mit all diesen verschiedenen Toxinen reagierten“, sagt Khalek. Einer dieser Antikörper namens 95Mat5 stach dabei heraus, weil er besonders stark an die Giftsubstanzen binden konnte.

Um dessen Wirkung weiter zu testen, verwendeten die Forschenden Mäuse, denen sie sowohl den Antikörper 95Mat5 als auch tödliche Dosen der verschiedenen Toxine oder komplette Toxinmischungen direkt aus den Schlangen verabreichten. Und tatsächlich: Dieser Antikörper war in allen Mäusen in der Lage, die Nervengifte zu neutralisieren, so dass die Tiere nicht starben und nicht einmal Lähmungserscheinungen zeigten, wie die Wissenschaftler berichten.

Strukturanalysen ergaben zudem, dass der Antikörper die Giftproteine daran hindert, an den nikotinischen Acetylcholinrezeptor zu binden, der bekanntermaßen für die Nervenlähmungen verantwortlich ist. Das funktioniert, weil der Antikörper dem Rezeptor strukturell sehr ähnlich ist, wie das Team berichtet.

Erster Schritt zum universellen Gegengift

„Die Entdeckung und Entwicklung von 95Mat5 ist ein wichtiger erster Schritt in der Entwicklung eines universellen Gegengifts auf monoklonaler Basis, da es einen der gängigsten und giftigsten Bestandteile des Schlangengifts wirksam neutralisiert“, sagen Khalek und ihre Kollegen. Folgeexperimente des Antikörpers 95Mat5 mit dem Gift von Vipern waren allerdings nicht erfolgreich. Demnach wirkt 95Mat5 nur gegen die Giftcocktails der Elapiden, blockiert jedoch nicht die Gifte von Vipern – der zweitwichtigsten Gruppe an giftigen Schlangen.

Für ein „universelles“ Gegengift gegen alle Schlangengifte oder zumindest alle häufigen Toxinklassen müssten daher wahrscheinlich vier bis fünf Antikörper kombiniert werden, schließen die Biomediziner. Dafür wollen sie nun nach demselben Prinzip drei weitere synthetische Antikörper gegen Elapiden- und Vipern-Gifte entwickeln und herstellen. „Wir glauben, dass ein Cocktail dieser vier Antikörper möglicherweise als universelles Gegengift gegen jede medizinisch relevante Schlange auf der Welt wirken könnte“, sagt Khalek. (Science Translational Medicine, 2024; doi: 10.1126/scitranslmed.adk1867)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS), Scripps Research Institute

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